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Das mystische Gnadenleben

Von Hieronymus Jaegen

Hieronymus Jaegen (1841-1919) war Bankdirektor und Mystiker. Er wird „Triers heimlicher Heiliger“ genannt. Sein Seligsprechungsprozess ist eingeleitet.
Den Text entnehme ich seiner Schrift Das mystische Gnadenleben. Erlebnisse und Bekenntnisse eines heiligmäßigen Bankdirektors, 1934 in der dritten, neubearbeiteten Auflage herausgegeben von der Jaegengesellschaft, Trier, mit Empfehlungsschreiben von Bischof Ludwig Maria Hugo von Mainz, Bischof Maximilian Kaller von Ermland und Theologieprofessor Dr. Lorenz Bauer in Dillingen a.d. Donau. Die Vorreden des Herausgebers und des Verfassers lasse ich weg.

I. Abschnitt: Allgemeines über Aszese und Mystik

Der Beruf des Menschengeschlechts

Unser Schöpfungsberuf

In diesem Werkchen besprechen wir die innigsten Beziehungen, die zwischen Gott und der Seele auf Erden bestehen, als das Erhabenste und Erstrebenswerteste, das es hienieden für uns gibt.

Deshalb müssen wir zuerst die Fragen stellen: Wie will Gott diese Beziehungen zu uns gestalten? Wozu hat er uns erschaffen? Welches ist unser Schöpfungsberuf?

Gott der Unendliche tut wegen seiner Erhabenheit alles in erster Linie um seiner selbst willen. So hat er im Anfange der Zeit Himmel und Erde und auf dieser das Menschengeschlecht erschaffen, damit er seine Vollkommenheit und Herrlichkeit nach außen offenbarte, die Menschen ihn verherrlichten und nach dem Maße ihrer Fähigkeit seine Vollkommenheit und Herrlichkeit in sich zur Geltung brächten.

Er zeigte schon in unseren Stammeltern seine Vollkommenheit, indem er sie nach seinem Bilde und Gleichnisse erschuf. Adam und Eva sollten ihn verherrlichen. Sie sollten ihn voll und ganz als ihren Herrn anerkennen, ihn lieben und ihm nach seinen Anordnungen dienen. Zur Bekundung dessen gab er ihnen ein leichtes Gebot. – Allein vom Satan betört, erkannten sie seine Oberhoheit nicht an. Ihrem Ungehorsam folgte die Strafe auf dem Fuße, und zwar nicht nur für sie allein, sondern auch für ihre Nachkommen, die von ihnen die Erbschuld, die Erbsünde, mit allen natürlichen und übernatürlichen Folgen erben.

Gott sah diese schmähliche Handlung unserer Stammeltern voraus und bestimmte von Ewigkeit her eine so schöne Erlösung, daß ein hl. Augustinus ausrufen konnte: „O selige Sünde Adams, die uns einen solchen Erlöser gebracht hat!“ Der Sohn Gottes, die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit, wurde nämlich Mensch, um uns zu erlösen, und zeigte uns durch sein Beispiel und seine Lehre, wie wir unsern Schöpfungsberuf erfüllen, den Schöpfer am besten verherrlichen und seine Herrlichkeit in uns zur Offenbarung bringen könnten. Zu dem Zwecke stiftete er auch seine Kirche, in der er seine Lehren und Gnadenmittel niederlegte.

Wir dürfen diese wichtige Erlösungstag des menschgewordenen Gottessohnes nie aus den Augen verlieren. Sie muss vielmehr unser ganzes Leben beherrschen. Von unsern persönlichen Beziehungen zu ihm hängt unser irdisches und ewiges Glück wesentlich ab.

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