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Ansprache von Kardinal Ratzinger über die Liturgie
vom 24. Oktober 1998

Zehn Jahre Motu proprio Ecclesia Dei - welche Bilanz können wir in diesem Augenblick ziehen? Ich denke, zunächst und vor allem gibt es da Grund zur Dankbarkeit. Die verschiedenen Gemeinschaften, die auf dem Boden des Motu proprio entstanden sind, haben der Kirche eine große Zahl von Priester- und Ordensberufen geschenkt, die mit Eifer und Freude und in tiefer innerer Einheit mit dem Papst den Dienst für das Evangelium in dieser Zeit tun. Sie haben viele Gläubige in der Freude an der Liturgie und in der Liebe zur Kirche bestärkt oder sie neu geschenkt. In nicht wenigen Bistümern der Welt vollzieht sich ihr Dienst in einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Bischöfen und in einem guten, brüderlichen Verhältnis mit den Gläubigen, die sich in der erneuerten Form der Liturgie zu Hause fühlen. All dies muß in dieser Stunde Grund zur Dankbarkeit sein.

Aber es wäre unrealistisch zu verschweigen, daß es an vielen Orten nach wie vor Schwierigkeiten gibt, weil Bischöfe, Priester und Gläubige die Anhänglichkeit an die alte Liturgie - die liturgischen Bücher von 1962 - als ein Element der Spaltung ansehen, das den Frieden der Gemeinden stört und Vorbehalte in der Annahme des Konzils wie überhaupt im Gehorsam gegen die rechtmäßigen Hirten der Kirche vermuten läßt. Unsere Frage muß sein: Wie können diese Schwierigkeiten überwunden werden; wie kann Vertrauen geschaffen werden, so daß sich die Gruppen und Gemeinschaften, die die alte Liturgie lieben, friedvoll und fruchtbar ins gemeinsame Leben der Kirche einfügen können? Diesen Fragen liegt eine andere voraus: Was ist der eigentliche Grund für das Mißtrauen oder gar für die Ablehnung eines Fortbestehens der alten Formen liturgischen Feierns? Zweifellos kann es da zunächst vortheologische Gründe geben, die am Temperament der einzelnen Menschen, am Gegensatz der Charaktere oder an anderen äußeren Umständen hängen. Aber sicher gibt es auch tiefer liegende und weniger zufällige Ursachen für die Probleme.

Die beiden Begründungen, die am meisten genannt werden, sind mangelnder Gehorsam dem Konzil gegenüber, das nun einmal die liturgischen Bücher erneuert habe sowie die Spaltung der Einheit, die sich aus den unterschiedlichen Formen der Liturgie ergebe. Beide Gründe lassen sich zunächst verhältnismäßig leicht auflösen. Das Konzil hat zwar nicht selbst die liturgischen Bücher erneuert, wohl aber hat es den Auftrag zu deren Revision erteilt und dafür einige Grundsätze festgelegt. Vor allem aber hat es eine Wesensbestimmung von Liturgie gegeben, die das innere Maß der einzelnen Reformen vorgibt und zugleich den beständigen Maßstab rechten liturgischen Feierns ausdrückt. Der Gehorsam gegenüber dem Konzil wäre dann verletzt, wenn diese wesentlichen inneren Maßstäbe mißachtet und die normae generales beiseite geschoben würden, die in den Abschnitten 34 - 36 der Liturgiekonstitution formuliert sind. Nach diesen Maßstäben ist sowohl die Feier der Liturgie nach den alten wie nach den neuen Büchern zu beurteilen, denn das Konzil hat - wie schon gesagt - nicht Bücher vorgeschrieben oder abgeschafft, sondern Grundnormen gegeben, die in allen Büchern respektiert werden müssen. In diesem Zusammenhang ist an die Feststellung von Kardinal Newman zu erinnern, daß die Kirche nie in ihrer Geschichte rechtgläubige Formen von Liturgie einfach abgeschafft oder verboten hat - das wäre dem Geist der Kirche durchaus fremd. Eine rechtgläubige Liturgie ist ja nie eine bloß pragmatisch geschaffene Zusammenstellung von Zeremonien, die man dann positivistisch heute so und morgen anders verfügen könnte. Rechtgläubige Formen eines Ritus sind lebendige Wirklichkeiten, die aus dem liebenden Dialog der Kirche mit ihrem Herrn gewachsen sind, Lebensgestalten der Kirche, in denen sich der Glaube, das Beten und das Leben von Generationen verdichtet und in denen das Miteinander von Gottes Handeln und Antwort des Menschen Form gefunden hat. Solche Riten können absterben, wenn das sie tragende Subjekt in der Geschichte verschwindet oder sich mit seinem Erbe einem anderen Lebensraum einfügt. Die Autorität der Kirche kann in wechselnden geschichtlichen Situationen den Gebrauch solcher Riten umschreiben und einschränken, aber sie verbietet sie nie einfach. So hat das Konzil den Auftrag zu einer Erneuerung der liturgischen Bücher und damit auch ritueller Gestaltungen gegeben, aber nicht ein Verbot von Büchern formuliert. Der Maßstab des Konzils ist zugleich weiträumiger und anspruchsvoller; er fordert alle zur Selbstprüfung heraus.

Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen müssen. Zunächst ist aber noch das Argument der Störung der Einheit zu bedenken. Da muß man wohl zwischen der theologischen und der praktischen Seite der Frage unterscheiden. Was das Theoretische, das Grundsätzliche angeht, so hat es immer mehrere Formen von lateinischen Riten gegeben, die mit der Vereinheitlichung der Lebensräume in Europa allmählich zurückgetreten sind, aber bis zum Konzil gab es neben dem römischen den ambrosianischen Ritus, den Ritus von Toledo, den Ritus der Dominikaner, vielleicht auch noch andere, mir nicht bekannte. Niemand hat daran Anstoß genommen, daß die Dominikaner, die ja durchaus in unseren Pfarreien gegenwärtig waren, die Messe etwas anders feierten als der Pfarrer. Wir wußten, daß die eine Weise so katholisch war wie die andere und freuten uns des Reichtums der Überlieferungen. Des weiteren ist zu sagen, daß die Freiräume der Kreativität, die der neue Meßordo läßt, nicht selten überdehnt werden und daß der Unterschied zwischen den einzelnen örtlichen Anwendungen der neuen Bücher oft größer ist als der Unterschied zwischen alten und neuen Büchem, wenn sie in ihrem eigenen Bestand an Texten und Riten streng beobachtet werden. Ein lateinisches Hochamt nach dem alten und nach dem neuen Missale ist für den liturgisch weniger gebildeten Christen kaum zu unterscheiden, während der Unterschied zwischen der getreulich nach dem neuen Meßbuch gefeierten Liturgie und den „kreativ" ausgeweiteten Formen muttersprachlicher Zelebration gewaltig sein kann.

Damit haben wir aber die Ebene des Theoretischen schon überschritten und sind im Bereich des Praktischen angelangt, wo natürlich die Dinge komplizierter sind, weil es sich ja um das Miteinander von lebendigen Menschen handelt. Die Aversionen sind - wie mir scheint - deshalb so groß, weil man die beiden Weisen liturgischen Feierns mit zwei unterschiedlichen spirituellen Haltungen verbindet, zwei verschiedenen Weisen, die Kirche und das Christsein überhaupt zu verstehen. Das hat mancherlei Gründe. Es liegt zuallererst aber daran, daß man die beiden liturgischen Gestalten an äußeren Elementen ihrer Form mißt und von daher dann auch zu gegensätzlichen Grundhaltungen kommt. Als wesentlich für die erneuerte Liturgie sieht der Durchschnittschrist an, daß sie muttersprachlich ist, daß sie in Zuwendung zum Volk gefeiert wird, daß Gestaltungsfreiheiten sind und daß Laien aktive Funktionen in der Liturgie ausüben. Als wesentlich für die Feier nach den alten Büchern sieht man an, daß sie in lateinischer Sprache erfolgt, daß der Priester zum Altar gewendet steht, daß der Ritus streng vorgegeben ist und daß die Gläubigen in stillem Beten der Messe folgen, ohne selbst aktive Funktionen auszufüllen. Die Phänomenologie der Liturgie ist entscheidend für ihre Aufnahme, nicht das, was sie selbst als das Wesentliche versteht. Damit freilich mußte man rechnen, daß der Gläubige die Liturgie von den konkreten Formen ihrer Erscheinung her deutet, von ihr her spirituell bestimmt wird und nicht ohne weiteres ihre tieferen Schichten wahrnimmt. Zu den eben aufgezählten Gegensätzen ist nämlich zu sagen, daß sie aus Geist und Buchstaben des Konzils keineswegs abzuleiten sind. Die Konzilskonstitution selbst spricht überhaupt nicht von der Zuwendung zum Altar oder zum Volk. Sie sagt über die Sprache, daß das Latein bewahrt werden müsse, aber der Muttersprache mehr Raum zu geben sei, besonders „in den Lesungen und Hinweisen (admonitionibus) und in einigen Orationen und Gesängen" (36 § 2). Was die Beteiligung der Laien angeht, so betont das Konzil zunächst ganz allgemein, daß die Liturgie ihrem Wesen nach vom ganzen Leib Christi, Haupt und Glieder, getragen wird (7), daß daher ihre Feier „den ganzen mystischen Leib der Kirche angeht" (26) und daß sie demgemäß auf „gemeinschaftliches Feiern mit Beteiligung und tätiger Teilnahme der Gläubigen angelegt" ist (27). Das wird dann so konkretisiert: „Bei den liturgischen Feiern soll jeder, sei er Liturge oder Gläubiger, in der Ausübung seiner Aufgaben nur das und all das tun, was ihm aus der Natur der Sache und gemäß den liturgischen Regeln zukommt" (28). „Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen des Volkes, dem Psalmengesang, den Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden" (30).

Diese Maßgaben des Konzils müssen allen zu denken geben. Es gibt gerade in Kreisen mancher moderner Liturgiker Tendenzen, zwar den konziliaren Ansatz aufzugreifen, ihn aber in einer Weise einseitig weiter zu entwickeln, daß die Intentionen des Konzils auf den Kopf gestellt scheinen. Die Stellung des Priesters wird von manchen aufs rein Funktionale reduziert. Die Tatsache, daß der ganze Leib Christi Subjekt der Liturgie ist, wird dahin umgebogen, daß die jeweilige Gemeinde das eigentliche Subjekt der Liturgie sei und darin die Rollen verteile. Es gibt eine bedenkliche Tendenz, den Opfercharakter zu minimalisieren, das Moment des Mysteriums und überhaupt das Sakrale über dem Anliegen schneller Verständlichkeit fast ganz verschwinden zu lassen. Schließlich ist die Tendenz zu beobachten, durch eine einseitige Betonung des gemeindlichen Charakters des Gottesdienstes eine Fragmentierung der Liturgie herbeizuführen, die jeweils Sache der Gemeinde sei, die selbst ihre Feier entscheide. Es gibt aber gottlob inzwischen auch einen großen Überdruß an den banalen Rationalismen und Pragmatismen solcher Theoretiker und Praktiker der Liturgie und eine entschiedene neue Zuwendung zum Mysterium, zur Anbetung, zum sakralen, zum kosmischen und eschatologischen Charakter der Liturgie, wofür die Oxford-Declaration on Liturgy von 1996 ein eindrucksvolles Beispiel ist. Andererseits muß man zugeben, daß die Feier der alten Liturgie oft zu sehr ins Individualistische und Private abgesunken war, daß die Gemeinschaft von Priester und Volk ungenügend gewesen ist. Ich habe großen Respekt vor unseren Vorfahren, die während der stillen Liturgie aus ihren Meßbüchem ihre Meßandachten beteten, aber als ideale Form liturgischer Feier kann man dies gewiß nicht ansehen. Vielleicht sind solche reduktionistische Weisen liturgischer Feier sogar der eigentliche Grund dafür, weshalb in vielen Ländern das Verschwinden der alten liturgischen Bücher überhaupt nicht als ein einschneidender Vorgang empfunden wurde. Man war gar nicht mit der Liturgie selbst in Berührung gekommen. Der Schmerz über eine hastig und oft äußerlich durchgeführte Reform ist da entstanden, wo die Liturgische Bewegung Liebe zur Liturgie geschaffen und wesentliche Postulate des Konzils, nämlich die betende Einbeziehung aller in das gottesdienstliche Geschehen vorweggenommen hatte. Wo es gar keine Liturgische Bewegung gab, ist die Liturgiereform zunächst schmerzlos vor sich gegangen. Unbehagen ist erst da und dort aufgestiegen, wo willkürliche Kreativität das Mysterium verschwinden ließ. Deswegen ist es wichtig, daß bei der Feier der Liturgie nach den alten Büchern die wesentlichen Maßstäbe der Liturgiekonstitution eingehalten werden, die ich eben zitiert habe. Wenn diese Liturgie wirklich die Gläubigen mit ihrer Schönheit und Tiefe erreicht, dann wird sie geliebt, dann steht sie aber auch in keinem unversöhnlichen Gegensatz zu den neuen Büchern, wo diese wiederum in wahrhaft konzilsgemäßer Form angewandt werden.

Natürlich bleiben unterschiedliche spirituelle und theologische Akzentuierungen bestehen, aber die sind dann nicht mehr gegensätzliche Weisen des Christseins, sondern Reichtum des einen Glaubens. Als vor etlichen Jahren das Stichwort einer neuen Liturgischen Bewegung in die Debatte geworfen wurde, wodurch das Auseinanderdriften beider liturgischen Formen gebremst und ihre innere Konvergenz neu sichtbar werden solle, haben einige Freunde der alten Liturgie gefürchtet, dies sei ein Trick, um doch endlich die alten Bücher ganz verabschieden zu können. Solche Ängstlichkeiten sollten aufhören. Wenn in beiden Weisen des Feierns deutlich die Einheit des Glaubens und die Einzigkeit des Mysteriums erscheint, kann das für alle nur Grund der Freude und der Dankbarkeit sein. Je mehr wir alle aus solcher Gesinnung heraus glauben, leben und handeln, desto mehr werden wir auch die Bischöfe überzeugen können, daß die Präsenz der alten Liturgie nicht ein Störungselement und eine Bedrohung der Einheit ist, sondern eine Gabe, die dem Aufbau des Leibes Christi dient, dem wir alle verpflichtet sind. So möchte ich Sie, liebe Freunde, ermutigen, die Geduld nicht zu verlieren, das Vertrauen zu bewahren und aus der Gabe der Liturgie die Kraft zum Zeugnis zu nehmen, das Christus hineinträgt in diese unsere Zeit.

Kardinal Ratzinger hielt diese Ansprache vor den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften anläßlich derer Jubiläumswallfahrt nach Rom zum zehnjährigen Bestehen des Motu Proprio "Ecclesia Dei".


Ordnungsliebende Anarchisten

Goethe macht auf das anthropologische Faktum Aufmerksam, daß Ehrfurcht keine natürliche Eigenschaft des Menschen ist, sondern daß er sie sich erwerben muß. In der Formlosigkeit der modernen Gesellschaft ist die alte Liturgie tatsächlich ein Fremdkörper. Sie zieht jetzt diejenigen an, die eine innere Widerstandsbereitschaft besitzen – und das kann immer nur eine kleine Elite sein – eine Elite nicht im Sinn akademischer Würden oder ökonomischer Macht wohlgemerkt, sondern an seelischer Kraft und Selbstständigkeit – die ist in allen Etagen der Gesellschaft zu finden. Die Glaubenskatastrophe hat ein Paradoxon hervorgebracht. Die alte Liturgie lebt aus einer Verehrung für Hierarchie und Ordnung, aber ihre Verteidiger haben ein anarchisches Temperament.

Martin Mosebach im Interview mit der Una-Voce-Korrespondenz


Ratzinger: Wir müssen die Dimension des Heiligen in der Liturgie zurückerobern

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