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Euthanasie - ein Bruch in der europäischen Rechtskultur

von Prof. Dr. Manfred Spieker

Jahrzehntelang war die Euthanasie in Deutschland tabu, weil sie während der Herrschaft der Nationalsozialisten in großem Stil betrieben wurde. Sie war Teil der nationalsozialistischen Rassenideologie und zielte auf die Beseitigung von Behinderten, unheilbar Kranken und Schwachen, deren Leben als lebensunwert und die Volksgemeinschaft belastend galt.

Das Ende eines Tabus

Tabus dienen dem Schutz des Menschen vor sich selbst. Ihr Nutzen wird erst spürbar, wenn sie zerbrechen. Mit der Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden ging die ein halbes Jahrhundert währende Tabuisierung der Euthanasie in Europa zu Ende. Das holländische Parlament verabschiedete am 10. April 2001 das Gesetz zur "Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe zur Selbsttötung", das am 1. April 2002 in Kraft trat. Es legalisierte eine Praxis der Euthanasie, die auf dem Umweg einer Änderung des Bestattungsgesetzes und durch Richtlinien der Niederländischen Ärztegesellschaft schon 1994 eingeführt worden war. Mit der Einführung eines Rechtfertigungsgrundes für die Tötung eines Patienten stellte es die Euthanasie aber auf eine völlig neue rechtliche Grundlage. Galt der Arzt, der einen Patienten tötete, bis Anfang der 90er Jahre als Mörder [1], dann bis zur Verabschiedung des Euthanasiegesetzes als geduldeter Delinquent, so soll er fortan ein Wohltäter sein, der die Realisierung einer finalen Selbstbestimmung und einen schmerzfreien Tod ermöglicht. In Deutschland haben sich zwar Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien, der Deutsche Ärztetag und die christlichen Kirchen wiederholt und einmütig gegen die Legalisierung der Euthanasie ausgesprochen, aber auch hier steht das Tabu zur Disposition.[2] Die Euthanasie steht auf der Agenda des Ethikrates des Bundeskanzlers, der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des 15. Deutschen Bundestages und der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz. Auch Philosophen, Theologen und Juristen glauben, einem selbst bestimmten Tod das Wort reden zu müssen.[3] Nicht zuletzt haben preisgekrönte Spielfilme, die im Frühjahr 2005 in die Kinos kamen, wie "Das Meer in mir" von Alejandro Amenabar und Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" die Zulassung der Euthanasie propagiert.

Das weltweit beachtete Drama um den Tod der 41-jährigen Terri Schiavo am 31. März 2005 hat zwar nicht der Debatte über die Euthanasie, aber jener über Patientenverfügungen einen neuen Schub gegeben und zugleich gezeigt, wie die Grenzen zwischen beiden fließend sind. Terri Schiavo lebte 15 Jahre als Wachkoma-Patientin in einem Krankenhaus in Florida. Ein Wachkoma ist eine schwere, durch eine Gehirnschädigung bedingte Behinderung, aber keine tödlich verlaufende Krankheit. Unter Berufung auf eine mündliche Äußerung seiner Frau, im Ernstfall nicht durch Maschinen am Leben erhalten werden zu wollen, bemühte sich ihr Mann Michael Schiavo seit 1998 vor Gericht um eine Anordnung, die künstliche Ernährung einzustellen. Gegen entsprechende Gerichtsentscheidungen kämpften die Eltern von Terri Schiavo, Mary und Robert Schindler, mit dem Argument, ihre Tochter habe eine solche Erklärung nie abgegeben. Sie kämpften außerdem um die Übertragung des Sorgerechts auf sie selbst, da Michael Schiavo inzwischen mit einer anderen Frau zusammenlebte, mit der er zwei Kinder hatte. Die Gerichte hielten am Sorgerecht des Ehemannes fest und ordneten trotz verschiedener Interventionen des Kongresses in Washington und des Gouverneurs von Florida, Jeb Bush, am 18. März 2005 die endgültige Entfernung der Magensonde an. Terri Schiavo war damit zum Tod durch Verhungern und Verdursten verurteilt.

Nicht weniger dramatisch war der Fall Nighbert 1995. Die 83-jährige Schlaganfallpatientin, die künstlich ernährt wurde, hatte ihren Bruder mit einer Vollmacht ausgestattet. Er ließ die Magensonde entfernen. Die Patientin bat danach nicht nur ausdrücklich um Nahrung, sie soll sogar die Essentabletts anderer Patienten geplündert haben. Ein Gericht aber verbot dem Pflegepersonal, sie mit Nahrung oder Flüssigkeit zu versorgen, da sie geistig nicht in der Lage sei, ihre Vollmachtserklärung zu widerrufen. Sie starb am 6. April 1995. Mutmaßliche Willensfeststellungen und Vollmachtserklärungen können so zu einer tödlichen Falle werden. Betreuungsverfügungen, Vorsorgevollmachten und Vormundschaftsgerichtsentscheidungen, die dem mutmaßlichen Willen des Patienten Verbindlichkeit zusprechen, enthalten deshalb ein beträchtliches "Gefahrenpotential".[4] Sie verwässern nicht nur das Verbot der Tötung auf Verlangen, sie öffnen, wie der Fall Nighbert zeigt, auch den Weg zur Tötung ohne Verlangen.

Die Enttabuisierung der Euthanasie hat auch den Europarat erreicht. Dick Marty, ein liberaler Abgeordneter aus der Schweiz, hatte bereits 2003 einen Euthanasiebericht verfasst, der damals vom Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Familienangelegenheiten mit 15 gegen 12 Stimmen angenommen wurde. Ziel dieses Berichts war es, allen 45 Mitgliedsstaaten des Europarats zu empfehlen, die Euthanasie nach dem niederländischen und belgischen Modell zu legalisieren. Nachdem Marty damals scheiterte, legte er 2004 einen neuen Bericht vor, der den Begriff "Euthanasie" nicht nur im Titel, sondern auch im Text vermied. Er trug den Titel "Unterstützung von Patienten am Lebensende". Sein Ziel war jedoch das gleiche wie 2003: die Legalisierung der Euthanasie nach niederländischem und belgischem Vorbild. Erneut nahm der Sozialausschuss am 17. Dezember 2004 den Bericht an, erneut lehnte die Parlamentarische Versammlung der inzwischen 46 Mitgliedsstaaten die Empfehlungen ab. Sie stimmte am 27. April 2005 mit 138 zu 26 Stimmen gegen die Empfehlungen, die durch zahlreiche Anträge zuvor so verwässert worden waren, dass selbst die Euthanasiebefürworter um Marty sie nicht mehr akzeptieren wollten.

Die Argumente der Befürworter

Marty bedient sich 2003 in seinem Plädoyer für die Legalisierung der Euthanasie zweier Argumente. Er behauptet erstens, Euthanasie werde überall und täglich praktiziert. Der Gesetzgeber sei deshalb verpflichtet, sie aus der Grauzone der Illegalität herauszuholen, durch eine Legalisierung transparent zu machen und die Kluft zwischen dem Recht und der alltäglichen Praxis zu schließen. Nur so könne "die Achtung vor der Rechtsstaatlichkeit Bestand haben".[5] Er behauptet zweitens, niemand habe "das Recht, einem todkranken oder sterbenden Menschen die Pflicht aufzuerlegen, sein Leben unter unerträglichen Leiden oder Qualen fortzusetzen, wenn er selbst beharrlich den Wunsch geäußert hat, es zu beenden." [6]

Diese Argumente haben bereits im Kampf um die Freigabe der Abtreibung Anfang der 70er Jahre Verwendung gefunden. Auch damals wurde behauptet, Abtreibungen würden überall und täglich vorgenommen. [7] Der Gesetzgeber müsse die Kluft zwischen dem Strafgesetzbuch und der Praxis durch eine Legalisierung der Abtreibung schließen, dem Recht auf Selbstbestimmung der Frau Rechnung tragen und das Leben Ungeborener durch eine obligatorische Beratung der Schwangeren besser schützen. Das Ergebnis ist bekannt: Das Lebensrecht Ungeborener wurde dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren geopfert. Die Zahl der Abtreibungen ist explodiert. Zwischen 1974 und 2004 sind in Deutschland (Ost und West) nach offiziellen Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,3 Millionen, nach plausiblen Schätzungen aber weit mehr als acht Millionen ungeborener Kinder getötet worden, und die Abtreibungsrate steigt immer noch. Dem zweiten Argument zugunsten der Legalisierung der Euthanasie, es gäbe kein Recht, dem Sterbenden eine Pflicht zum Weiterleben unter Schmerzen aufzuerlegen, entsprach das Argument, es gäbe kein Recht, der Schwangeren die Pflicht aufzuerlegen, das Kind zu gebären.

Diese beiden Argumente waren damals so falsch wie sie es heute sind. Gegen das erste Argument ist einzuwenden: die Kluft zwischen dem Recht und der Praxis lässt sich zwar theoretisch dadurch schließen, dass das Recht abgeschafft wird, nicht aber praktisch. Das Recht auf Leben ist das grundlegende Menschenrecht. Es schließt das Verbot der Tötung Unschuldiger ein. Die Aufhebung dieses Verbotes lässt sich nicht gesetzlich regeln. Die Aufrechterhaltung und Durchsetzung dieses Verbots ist die Legitimitätsbedingung des Rechtsstaates. Es preiszugeben bedeutet die Verleugnung des Rechtsstaates. Die Kluft zwischen Recht und Alltag lässt sich deshalb nur dadurch schließen, dass dem Recht auf Leben und dem Verbot der Tötung Unschuldiger konsequent Geltung verschafft wird. Gegen das zweite Argument ist einzuwenden: Es geht weder in der Euthanasie noch in der Abtreibungsdebatte um ein Recht, anderen eine Pflicht aufzuerlegen. Es geht allein um das Verbot, Unschuldige zu töten oder positiv ausgedrückt, die Verpflichtung, das Leben zu respektieren, das des Ungeborenen wie das des Sterbenden, eine Verpflichtung, deren Einhaltung Auskunft gibt über die Humanität einer Gesellschaft.

Ein weiterer Versuch, die Euthanasie zu begründen, bedient sich eines anthropologischen Arguments. Die Kommunikationsfähigkeit wird zum konstituierenden Merkmal der menschlichen Existenz erklärt. Ist sie erloschen, ist der Mensch konsequenterweise kein Mensch mehr. Seine Tötung wird legitim. Am besten sei es, sie gar nicht mehr Euthanasie zu nennen: "Wenn es um die Tötung von Menschen geht, die aufgrund von physischen Mängeln nicht am Kommunikationsprozess teilnehmen können, dann sollte eigentlich auch ein anderer Ausdruck als Euthanasie verwendet werden", so der Soziologe Klaus Feldmann. Jeder Erwachsene solle verpflichtet werden, "für den Fall des totalen oder partiellen Kommunikationsverlustes eine entsprechende Verfügung zu hinterlegen", an die die verantwortlichen Personen gebunden sind. Immerhin ist sich der Autor dieses Plädoyers für die Euthanasie bewusst, dass seine Vorstellungen ohne "politischen Kampf" nicht durchsetzbar sind und einer "death education" bedürfen. [8]

Verhängnisvolle Folgen

Wie verhängnisvoll das Argument der Kommunikationsfähigkeit werden kann, zeigen die Fälle der Wachkoma-Patienten. Sie genügen "normalen" Kommunikationsansprüchen nicht, auch wenn sie für manche Angehörige und Pflegekräfte durchaus auf ihre Weise kommunikationsfähig sind. Messen sorgeberechtigte Angehörige die Kommunikationsfähigkeit jedoch an "normalen" Maßstäben, hat der Wachkoma-Patient kaum noch eine Überlebenschance, wenn die Rechtsordnung die Sterbehilfe aufgrund mündlicher Willensbekundungen ermöglicht. Der mit einer Vorsorgevollmacht ausgestattete Angehörige, dem das Leben des Wachkoma-Patienten nicht mehr lebenswert erscheint, kann den Abbruch der Behandlung verlangen. Die Patientenverfügung wird zur Euthanasiefalle. Das Schicksal von Wachkoma-Patienten gestaltet sich noch dramatischer, wenn sich jene Bioethiker durchsetzen, die die kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten zum zentralen Kriterium des Person-Seins erklären und damit Wachkoma-Patienten aus der menschlichen Gemeinschaft hinausdefinieren. Sie gelten dann als "human Non-Persons" oder "sentient property", in etwa als empfindsame Sache oder fühlender Besitz zu übersetzen. Sie dürfen dann auch ohne Patientenverfügungen getötet, für Forschungszwecke genutzt oder als Ressourcenlager für Organtransplantationen ausgeschlachtet werden. Das Argument, dass die Kommunikationsfähigkeit das Menschsein konstituiere und dass das Fehlen dieser Kommunikationsfähigkeit der Gesellschaft eine Verfügungsberechtigung über den Menschen verleihe, hat auch in der Diskussion über die embryonale Stammzellforschung Konjunktur. Da dem Embryo in vitro die Kommunikationsfähigkeit fehle, sei er noch kein Mensch. Er falle noch nicht unter die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes und könne den Forschungs- und Therapieinteressen der Biologen und Mediziner nicht entzogen werden. Der Embryo sei "kein Diskurspartner". [9] Hier wie in der Euthanasiedebatte zeigt sich, dass jede Definition des Menschen, die das Menschsein der Anerkennung durch Dritte unterwirft, tödliche Folgen hat.

Die Illusion des selbstbestimmten Sterbens

Befürworter der Euthanasie, wie Dick Marty, erklären, es gehe nur um Sterbehilfe für jene, die beharrlich, freiwillig und wohl überlegt den Wunsch geäußert hätten, ihrem Leben ein Ende zu setzen. [10] Ihnen müsste das Recht auf Euthanasie zustehen. Das entsprechende ärztliche Handeln müsste aus der Grauzone der Illegalität herausgeholt werden. Aber das Recht auf Euthanasie "impliziert nicht die Verpflichtung für das Gesundheitspersonal, sich an einem Akt der Sterbehilfe beteiligen zu müssen". [11] Der Forderung, Euthanasie nur im Falle eines wohl überlegten, beharrlichen und freiwilligen Wunsches des Patienten zu legalisieren, liegt die Vorstellung zugrunde, die Selbstbestimmung sei der Kern menschlicher Identität und ihr Verlust sei gleichbedeutend mit dem Verlust der Menschenwürde. Diese Vorstellung entspricht nicht der conditio humana. Schon der Eintritt ins Leben unterliegt nicht der Selbstbestimmung. Auch das Ende des irdischen Lebens hat – soll es menschenwürdig sein – mit Selbstbestimmung nichts zu tun. Der Mensch will nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen sterben. Unter alten und pflegebedürftigen Menschen nimmt denn auch die Befürwortung der Euthanasie deutlich ab. Wenn der Mensch in der Mitte seines Lebens und im Vollbesitz seiner Kräfte steht, neigt er dazu, auch noch das Sterben seinen Autonomieansprüchen zu unterwerfen. Er möchte Planungssicherheit bis zum letzten Tag seines Sterbens. Aber Planungssicherheit bis zum Ende des Lebens ist eine Illusion. Je mehr die Kräfte schwinden und je näher der Tod kommt, desto schärfer wird der Blick dafür, dass weniger Selbstbestimmung, als vielmehr Selbsthingabe das Wesen des Menschen ausmacht. Nicht das abgebrochene, sondern das zu Ende gelebte Sterben ist Ausdruck wahrer Selbstbestimmung. Im Sterben verwandelt sich die Selbstbestimmung zur Selbsthingabe.

Die Eigendynamik der Legalisierung

Die Praxis der Euthanasie in den Niederlanden zeigt, dass die Vorstellung, Euthanasie werde nur bei Vorliegen eines beharrlichen, freiwilligen und wohl überlegten Wunsches des Patienten vorgenommen, eine Illusion ist. Dies ergab eine von der Regierung in Auftrag gegebene, von van der Waal und van der Maas 2001 und 2002 durchgeführte Untersuchung, deren Ergebnisse im Juni 2003 veröffentlicht wurden.[12] In den Niederlanden waren 2001 3,3 % der rund 140.000 Todesfälle (4632) auf aktive Euthanasie zurückzuführen. In über 20 % dieser Fälle (982) erfolgte die Euthanasie ohne Einwilligung des Patienten. In Belgien ist der Anteil der Lebensbeendigung ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten noch deutlich höher. [13] In 25 % der niederländischen Fälle unterblieb die vorgeschriebene Konsultation eines zweiten unabhängigen Arztes. In ca. 50 % der Fälle unterblieb auch die seit 1. November 1998 obligatorische Meldung der Euthanasie an die zuständige Regionale Kontrollkommission. Diese Meldung an die Regionale Kontrollkommission, die aus einem Juristen, einem Mediziner und einem Ethiker besteht und vom Euthanasie-Gesetz 2001 übernommen wurde, sollte dem Arzt die Angst vor der Staatsanwaltschaft nehmen und seine Meldebereitschaft erhöhen. Die niederländischen Strafverfolgungsbehörden sind zwar nicht an das Votum der Regionalen Kontrollkommission gebunden, wenn sie den Verdacht auf eine Straftat hegen und Ermittlungen aufnehmen wollen. Aber in der Praxis gilt jeder Euthanasiefall als "erledigt", wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, der Arzt habe die im Gesetz genannten Sorgfaltskriterien eingehalten. Der gemeinsame Jahresbericht 2002 der fünf Regionalen Kontrollkommissionen, der erste nach der Inkraftsetzung des Euthanasiegesetzes, zeigt, dass nur in fünf Fällen das Urteil "nicht sorgfältig" ausgesprochen wurde. [14] Die von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung unter den Ärzten zeigt zwar, dass die Meldebereitschaft von 41 % 1995 auf 54 % 2001 gestiegen ist, bestätigt damit aber zugleich, dass fast die Hälfte der Euthanasie-Fälle nicht gemeldet wird. Dies wiederum setzt eine wahrheitswidrige Angabe der Todesursache, mithin eine Fälschung des Totenscheines voraus.

Auch eine Frist zwischen dem Verlangen nach Euthanasie und der Durchführung der Euthanasie, die Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit des Euthanasieverlangens zuließe und die zum Beispiel im belgischen Euthanasiegesetz für entsprechende Wünsche psychisch kranker Patienten einen Monat beträgt, wird nicht beachtet. In 13 % der Euthanasiefälle in den Niederlanden, dessen Euthanasiegesetz über solche Fristen nichts sagt, lag 2001 zwischen Verlangen und Durchführung nur ein Tag, in rund 50 % nur eine Woche. Die niederländischen Erfahrungen zeigen, dass die Euthanasie nach ihrer Legalisierung eine Eigendynamik entfaltet, die sich einer effektiven Kontrolle entzieht. Dass die Regionalen Kontrollkommissionen jemals eine Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet hätten, ist nicht bekannt geworden. Selbst die wenigen Fälle, in denen die Kontrollkommissionen zu dem Urteil kommen, der Arzt habe die Sorgfaltskriterien nicht eingehalten, bedeuten nicht, dass sich die Justiz dieser Fälle annimmt. Die Kommissionen stellen allenfalls Rückfragen an den Arzt und ermahnen ihn gegebenenfalls. Ihre Funktion ist deshalb eher die Erziehung als die Kontrolle der Euthanasieärzte.

Der drohende Vertrauensverlust zwischen Arzt und Patient

Die Legalisierung der Euthanasie reißt nicht nur eine ganze Reihe neuer Klüfte zwischen Recht und Alltag auf, sie verändert darüber hinaus auch die sozialen Beziehungen, in erster Linie die zwischen Arzt und Patient. Der schwerkranke Patient wird vom leidenden Subjekt, dem Mitleid und Solidarität der Gesellschaft zuteil werden, zum Objekt, das der Gesellschaft zur Last fällt. Nicht der Patient kann das Mitleid der Gesellschaft erwarten, sondern die Gesellschaft erwartet das Mitleid des Patienten. Aus der Euthanasie auf Verlangen wird eine Euthanasie ohne Verlangen. Sie wird nicht nur bei alten, pflegebedürftigen Patienten, sondern auch bei Neugeborenen und Kindern im ersten Lebensjahr praktiziert. So starben nach einer Untersuchung der Niederländischen Ärzte-Gesellschaft 1995 von 1041 Kindern 8 %, also über 80 durch aktive Euthanasie.[15] Nach einer belgischen Untersuchung, die sich auf die Todesfälle von Kindern unter einem Jahr in Flandern in der Zeit von August 1999 bis Juli 2000 bezog, starben von 194 Kindern, bei denen Ärzte eine Entscheidung zur Lebensbeendigung trafen, 17, also rund 9 % durch aktive Euthanasie.[16] Wie sehr die Euthanasie das Vertrauen in die Ärzte belastet, zeigt die Ausbreitung der "Credo-Card" in den Niederlanden, eines Ausweises mit dem Aufdruck "Maak mij niet dood, Doktor" und dem Namen des Trägers, der dem Arzt signalisiert, dass der Inhaber auf keinen Fall euthanasiert werden will. Auch die verstärkte Nachfrage holländischer Interessenten nach Alters- und Pflegeheimplätzen in Deutschland entlang der deutsch-holländischen Grenze spiegelt das euthanasiebedingte Misstrauen in die niederländischen Ärzte, vor dem die katholischen Bischöfe in den Niederlanden schon bei der Einbringung des Euthanasiegesetzes in das Parlament gewarnt haben.[17]

Die Legalisierung der Euthanasie verändert somit das Selbstverständnis der Gesundheitsberufe. Ärzte, Schwestern und Pfleger werden von Helfern des Kranken, die dessen Subjektstatus achten, seine Genesung fördern, ihn im Sterben begleiten und im Angesicht des Todes ihre eigene Ohnmacht akzeptieren, zu Herrschern, die nicht nur die Therapie einer Krankheit wie Manager regeln, sondern auch das Sterben ihrem technischen Zugriff unterwerfen wollen. Der Sterbende wird zum Objekt, das ihrer ebenso totalen wie unberechenbaren Macht unterworfen ist. Das ärztliche Handeln, die Praxis im aristotelischen Sinne, mutiert zur Tötungstechnik. In der Logik einer Empfehlung der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften zum Thema "Suizid unter Beihilfe eines Dritten" vom Juni 2003 liegen ausgebildete, diplomierte Sterbehelfer, die für ihre Dienstleistung eine Erfolgs-, oder zumindest eine Qualitätsgarantie anbieten. Der Tod "made in Switzerland" soll so ein Gütesiegel und einen Wettbewerbsvorteil auf dem Euthanasiemarkt gegenüber dem Tod "made in Netherlands" erhalten, der, wie der erste Jahresbericht der Regionalen Kontrollkommissionen nach Inkraftsetzung des Euthanasiegesetzes zeigt, 2002 in 26 Fällen der Beihilfe zur Selbsttötung wegen unzureichender Wirkung der tödlichen Medikamente misslang, so dass Patienten schließlich doch aktiv getötet wurden.[18]

Die Erfahrungen mit der Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden und in Belgien bestätigen die Vermutung, dass sich ein Rechtsstaat in unauflösbare Widersprüche verstrickt, wenn sein Gesetzgeber meint, die Aufhebung des Verbots der Tötung Unschuldiger gesetzlich regeln zu können. Ein Rechtsstaat zerstört damit die Bedingung seiner eigenen Existenz. Die katholischen Bischöfe der Niederlande wurden nicht müde, die Einbringung und die Verabschiedung des Euthanasiegesetzes sowohl in der Zweiten als auch in der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments als unannehmbaren Rechtsbruch zu beklagen, der die Fundamente der Gesellschaft zerstört.[19]

Die Problematik der Patientenverfügung

In der Debatte über Patientenverfügungen wird zumindest in Deutschland zwar betont, dass solche Verfügungen mit Euthanasie nichts zu tun hätten, dass sie dem Patienten mithin nicht die Befugnis einräumten, von Ärzten oder Pflegekräften eine aktive Sterbehilfe zu verlangen. Sie sollen nur die Patientenautonomie gewährleisten, also das Recht einräumen, Festlegungen zum Schutz vor Übertherapie zu treffen, die gegebenenfalls zu einem Behandlungsabbruch führen. Dem Gesetzgeber soll nach den im Detail stark divergierenden Vorschlägen des Bundesjustizministeriums und seiner Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende", der Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz, der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des 15. Deutschen Bundestages und des Nationalen Ethikrates die Aufgabe übertragen werden, die Verbindlichkeit, die Reichweite und die Wirksamkeitsvoraussetzungen solcher Verfügungen zu regeln.

Ungesicherte Entscheidungskriterien

Aber auch die Debatte über Patientenverfügungen wird von einer Illusion getragen, der Illusion, den eigenen Sterbeprozess steuern zu können. Dahinter steht einerseits die Angst vor dem Sterben und andererseits der Mangel an Vertrauen in eine humane ärztliche und pflegerische Fürsorge in den letzten Lebenstagen. Patientenverfügungen sollen klare Anweisungen für die ärztliche Behandlung in einer bestimmten Situation geben, in der der Patient nicht mehr entscheidungsfähig ist. Je mehr solche Patientenverfügungen verbreitet sind, desto größer ist die Gefahr einer negativen Selbstbewertung bei alten und kranken Menschen, zumal zahlreiche Patientenverfügungsformulare einen Behandlungsverzicht für schwerwiegende Krankheiten als Wahlmöglichkeit enthalten. Es entsteht ein sozialer Druck, den medizinischen, pflegerischen und finanziellen Aufwand zu vermeiden und sich dem Trend des sozialverträglichen Frühablebens anzuschließen. Eine weitere tödliche Falle der Selbstbestimmung: sie mündet in Selbstentsorgung. Die dunkle Ahnung einer solchen Falle scheint weit verbreitet zu sein, weil der Anteil derer, die eine verbindliche Patientenverfügung ihr eigen nennen, trotz vieler Werbekampagnen weder in Deutschland noch in den USA steigen will. "Viele haben einen Vordruck, wenige füllen ihn aus, kaum einer unterschreibt." [20] Auch wenn 80 % der Bevölkerung erklärten, sie bejahen eine Patientenverfügung, so verfügten im Jahre 2003 nur 10 % über eine solche.

Schlüssig nachzuweisen, dass die konkrete Situation, in der eine Patientenverfügung zur Anwendung kommen soll, genau der Situation entspricht, die der Patient bei ihrer Abfassung oder in einer entsprechenden mündlichen Willensäußerung im Auge hatte, wird schwierig sein. Über die Grenze zwischen Therapie und Übertherapie können auch Ärzte geteilter Meinung sein. Konflikte zwischen dem verfügten Willen und dem Wohl des Patienten, dem der Arzt immer den Vorrang zu geben hat, sind damit vorprogrammiert. Umstritten ist auch, ob Patientenverfügungen nur für Krankheiten gelten sollen, die unumkehrbar sind und zum Tode führen, oder für alle schweren Erkrankungen sowie für Altersdemenz und Wachkoma, ob die künstliche Ernährung zu den ärztlich indizierten medizinischen Maßnahmen gehört, die bei einem Behandlungsabbruch eingestellt werden müssen oder – wie Waschen und Pflegen – zu den Basismaßnahmen, die ungeachtet aller Patientenverfügungen auch bei einer unumkehrbar zum Tode führenden Krankheit anzuwenden sind, um dem leidenden Patienten die Qualen des Verhungerns und Verdurstens zu ersparen. Für die Katholische Kirche erklärte Papst Johannes Paul II. am 20. März 2004, "dass die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen geschieht, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Handlung ist. Ihre Anwendung ist deshalb prinzipiell als normal und angemessen und damit als moralisch verpflichtend zu betrachten ..." [21]

Umstrittene Bindungswirkung

Umstritten ist, ob die Bindungswirkung von Patientenverfügungen im Falle einer Altersdemenz aufgehoben werden kann, wenn der entscheidungsunfähige Patient Anzeichen von Lebenswillen bekundet. Der Ethikrat des Bundeskanzlers ist in seiner Stellungnahme zu Patientenverfügungen vom 2. Juni 2005 der Meinung, dass eine schriftliche Patientenverfügung "Bindungskraft über den späteren bloßen Lebenswillen des Betroffenen haben (soll)" [22], wenn in ihr auf mögliche Anzeichen von Lebenswillen am Lebensende Bezug genommen und deren Entscheidungserheblichkeit schriftlich ausgeschlossen worden ist. Damit würden Patientenverfügungen zu tödlichen Fallen. Umstritten ist schließlich, wie bei sterbenden Patienten zu verfahren ist, die einerseits eine Patientenverfügung erlassen haben und andererseits einen Organspenderausweis besitzen. Die Patientenverfügung ordnet den Behandlungsabbruch an, der Organspenderausweis aber induziert die Fortsetzung der intensivmedizinischen Maßnahmen, um die Funktionsfähigkeit der für eine Spende in Frage kommenden Organe zu erhalten. Er verzögert damit den Todeseintritt und konterkariert die Patientenverfügung. Die Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin empfiehlt deshalb, gleichzeitig mit einer Patientenverfügung eine Erklärung abzugeben, welche der beiden Erklärungen im Ernstfall Vorrang haben soll, die Anordnung des Behandlungsabbruches oder die Bereitschaft zur Organspende. Eine Minderheit der Enquete-Kommission um den SPD-Abgeordneten Wolfgang Wodarg hingegen weist darauf hin, dass die Organspende "mit dem Geist einer Patientenverfügung, die ein durch keine unerwünschten medizinischen Maßnahmen belastetes Sterben zum Ziel hat, nicht in Einklang zu bringen" sei. [23]

Besinnung auf die ars moriendi

Was ist die Alternative zur Euthanasie? Eine Wiederbelebung der ars moriendi. Sterben ist Teil des Lebens. "Death education", wenn man dem Begriff eine positive Dimension abgewinnen will, ist dann mehr als die schriftlich verfügte Übergabe des eigenen Leibes an die Euthanasietechniker. "Death education" heißt, die soziale Dimension des Sterbens wiederzugewinnen, lernen, von den Familienangehörigen Abschied zu nehmen und das Zeitliche zu segnen. Nicht nur das Begräbnis, das Sterben selbst muss wieder ein soziales Ereignis werden. Die stationären Hospize, aber auch die ambulanten Hospizdienste sind ein Schritt in diese Richtung. Ein menschenwürdiges Sterben erfordert von den Angehörigen nicht nur "Respekt vor einer angeblich unbeeinflussten Selbstbestimmung des Sterbenden", sondern auch in belastenden Situationen "die Bereitschaft zum Dabeibleiben, zum geduldigen Ausharren und zuletzt: zum gemeinsamen Warten auf den Tod". [24]

Für den Christen ist das Sterben noch mehr. Es ist das Ende des irdischen Pilgerstandes [25], ein "Tor zum Leben".[26] Die Vorbereitung auf einen guten Tod und das Gebet um ihn sind Teil eines gelingenden Lebens. Dem Sterbenden beizustehen, den Kranken, auch den Todkranken zu besuchen, ist Teil der Nächstenliebe, nach der jeder beim Jüngsten Gericht gefragt wird (Mt 25, 36 und 43). Die Euthanasie ist für ihn als aktive Sterbehilfe vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person, mithin eine "schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes" und deshalb "sittlich nicht zu akzeptieren". Sie ist Symptom einer Kultur des Todes. [27] Für den Christen ist Sterben eine Gnade, ein "Lebensabschlussgottesdienst", für den die Kirche nicht nur eine eigene Liturgie, sondern auch das Sakrament der Krankensalbung, der "letzten Ölung" anbietet. "Die letzte Verfügung des Menschen, mit welcher er sein irdisches, viatorisches Dasein zugleich beendet und vollendet, ist ein im strikten Sinn kultischer Akt liebender Hingabe, worin der Mensch, sein Todesschicksal ausdrücklich annehmend, sich selber mitsamt dem ihm jetzt entgleitenden Leben Gott darbringt und überliefert." Das sei, so Josef Pieper, zwar keine philosophische Antwort auf die Frage nach dem Tod, aber doch eine Antwort, die auch dem Philosophen Respekt abnötigt, weil sie die "verborgene Bauform" eines sinnvollen Lebens ahnen lasse, "dass man nämlich nur das besitzt, was man loslässt". Das eigene Leben buchstäblich und wirklich zu verlieren, um es zu gewinnen, das sei dem Menschen zum ersten und einzigen Mal im Angesicht des Todes abverlangt.[28] Folgt der Mensch Christus im Glauben an die Verheißung einer Auferstehung und an ein ewiges Leben, kann er auch mit ihm sagen, "Niemand entreißt mir das Leben, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin" (Joh 10,18). Das sich hingebende, nicht das sich selbst behauptende Ich ist das wahrhaft menschliche Ich. "Ich bin froh, seid ihr es auch!" Diese letzten Worte Johannes Pauls II. auf seinem Sterbebett Anfang April 2005 sind ein großes Vermächtnis für die Wiederbelebung der ars moriendi, für eine neue Kultur des Lebens, die dem Leiden und dem Tod nicht ausweicht.

Anmerkungen

[1] "Aktive Sterbehilfe des Arztes ... ist ein rechtswidriger Angriff auf das Leben des Patienten, ist objektiv Mord oder Totschlag", so Willi Geiger, Sterbehilfe - was heißt das?, Reihe "Kirche und Gesellschaft" Nr. 130, Köln 1986, S. 13.

[2] Orientiert man sich an den Ergebnissen demoskopischer Untersuchungen, dann ist das Tabu der Euthanasie längst gebrochen. Vgl. Manfred Spieker, Gescheiterte Reformen. Zur Problematik des Lebensschutzes in Deutschland, Reihe "Kirche und Gesellschaft" Nr. 306, Köln 2004, S. 11.

[3] Walter Jens/Hans Küng, Menschenwürdig sterben, München 1996; Volker Gerhardt, Letzte Hilfe, in: FAZ vom 19.9.2003; Elena Fischer, Recht auf Sterben?! Ein Beitrag zur Reformsdiskussion der Sterbehilfe in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach der Übertragbarkeit des Holländischen Modells der Sterbehilfe in das deutsche Recht, Frankfurt 2004.

[4] Johann-Christoph Student, Wie nützlich sind Patientenverfügungen?, in: Zeitschrift für Lebensrecht, 13. Jg. (2004), S. 95f. Vgl. auch R. Beckmann, Selbstbestimmung durch Mutmaßungen über den Sterbewillen?, in: Zeitschrift für Biopolitik, 4. Jg. (2005), Heft 1, S. 15ff.

[5] Council of Europe, Dokument 9898, Ziffer 61

[6] A.a.O. Ziffer 7

[7] M. Spieker, Kirche und Abtreibung in Deutschland, Paderborn 2000, S. 52f.

[8] Klaus Feldmann, Tod und Gesellschaft. Eine soziologische Betrachtung von Sterben und Tod, Frankfurt 1990, S. 236.

[9] Volker Gerhardt, Der Embryo ist kein Diskurspartner, Interview, in: Die Welt vom 5.7.2001; Wolfgang Kersting, Hantiert, wenn es euch frei macht, in: FAZ vom 17.3.2001.

[10] So Art. 3, § 1 des belgischen Gesetztes zur Sterbehilfe vom 28.5.2002 und Art. 2, Abs. 1, Ziffer a des niederländischen Euthanasiegesetzes vom 10.4.2001.

[11] Council of Europe, Dokument 9898, Ziffer 7 und Art. 14 des belgischen Gesetzes zur Sterbehilfe vom 28.5.2001.

[12] Zusammenfassung der Ergebnisse in: Antonia Grundmann, Das niederländische Gesetz über die Prüfung von Lebensbeendigung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung, Aachen 2004, S. 203ff.

[13] Agnes van der Heide u. a., End-of-life decision-making in six Europaen countries: descriptive study, in: The Lancet 362, S. 345ff., online vom 17.6.2003; Roland Kipke, Sterbehilfe in Belgien, in: R. Beckmann u. a., Hrsg., Sterben in Würde, a.a.O., S. 251ff.

[14] A. Grundmann, a.a.O., S. 202 (1999 wurden nur drei Fälle, 2000 ebenfalls drei und 2001 nur ein Fall moniert).

[15] A. Grundmann, a.a.O., S. 66f.

[16] Veerle Provoost u. a., Medical end-of-life decisions in neonates and infants in Flandern, in: The Lancet vol 365, 9. April 2005, S. 1316f.

[17] Vgl. z. B. die Erklärung des Vorsitzenden der Niederländischen Bischofskonferenz Adrianus Simonis, Care during Suffering and Dying vom 7.4.2000, in: Euthanasia and Human Dignity. A Collection of Contributions by the Dutch Catholic Bishop's Conference to the Legislative Procedure 1983-2001, hrsg. von P. Kohnen und G. Schumacher, Utrecht/Leuven 2002, S. 152.

[18] A. Grundmann, a.a.O., S. 201. Dass die Zahlen deutlich höher sind, zeigen die empirischen Untersuchungen von 1990/91 und 1995/96, nach denen in etwa 18% aller Fälle von Beihilfe zur Selbsttötung Probleme auftraten, die den Arzt veranlassten, zur aktiven Sterbehilfe überzugehen.

[19] Vgl. die Presseerklärungen der Niederländischen Bischofskonferenz vom 29.11.2000 und vom 11.4.2001, in: Euthanasia und Human Dignity, a.a.O., S. 159ff. Vgl. auch die Kritik des Vizepräsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben Elio Sgreccia, Euthanasie in den Niederlanden nun auch bei Kindern, in: Osservatore Romano (deutschsprachige Wochenausgabe) vom 22.10.2004, S. 11f.

[20] Stephan Sahm, Wollen Sie Patient zweiter Klasse sein? Zu Risiken und Nebenwirkungen von Patientenverfügungen: Ernüchterndes aus Amerika, in: FAZ vom 5.11.2004.

[21] Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer eines Internationalen Kongresses zum Thema "Lebenserhaltende Behandlungen und vegetativer Zustand: Wissenschaftliche Fortschritte und ethische Dilemmata" am 20.3.2004, in: Osservatore Romano (deutschsprachige Wochenausgabe) vom 9.4.2004.

[22] Nationaler Ethikrat, Patientenverfügung - Ein Instrument der Selbstbestimmung. Stellungnahme vom 2.6.2005, S. 23 und 34.

[23] Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin, Zwischenbericht Patientenverfügungen, Bundestagsdrucksache 15/3700, S. 45f.

[24] Eberhard Schockenhoff, Aus Mitleid töten? Der Auftrag des medizinischen Sterbebeistands aus ethischer Sicht, Reihe "Kirche und Gesellschaft" Nr. 283, Köln 2001, S. 10.

[25] Peter Christoph Düren, Der Tod als Ende des irdischen Pilgerstandes. Reflexion über eine katholische Glaubenslehre, Buttenwiesen 2002.

[26] Hubert Windisch, Der Tod - Tor zum Leben?, in: R. Beckmann u. a., Hrsg., Sterben in Würde. Beiträge zur Debatte über Sterbehilfe, Krefeld 2004, S. 145ff.

[27] Johannes Paul II., Evangelium Vitae (1995), 64 und 65; Katechismus der Katholischen Kirche (1993), 2277.

[28] Josef Pieper, Tod und Unsterblichkeit, in: Werke Bd. 5, Hamburg 1997, S. 370. Vgl. auch Johannes B. Lotz, Tod als Vollendung. Von der Kunst und Gnade des Sterbens, Frankfurt 1976, S. 89ff.

Dieser Beitrag erschien zuerst 2005 als Heft Nr. 323 in der sehr empfehlenswerten Reihe "Kirche und Gesellschaft" ("Grüne Reihe"), herausgegeben von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach.
Prof. Dr. Manfred Spieker, der Autor, ist 2009 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet worden.


Gottes rettende Liebe

Gott hat ein Herz: Das zeigt uns das Evangelium vom verlorenen Schaf. Was für uns die Rettung bedeutet, war für die Pharisäer ein Stein des Anstoßes. Die Geschichte wiederholt sich heute. Meine Predigt zum 3. Sonntag nach Pfingsten.


Recht auf Sterbehilfe?

"Macht man aus der Selbsttötung ein Recht, dann hat das schlimme Folgen. Dann trifft den Träger dieses Rechtes die Verantwortung für alle Folgen, alle Belastungen persönlicher und finanzieller Art, die sich daraus ergeben, dass er von diesem Recht keinen Gebrauch macht. Dadurch entsteht mit logischer Notwendigkeit ein unzulässiger Druck auf den Kranken oder Alten. Von der Verantwortung ist der Patient nur frei, wenn es für ihn gar keine rechtliche Möglichkeit gibt, seine Tötung durch andere zu erreichen."

Prof. Dr. Robert Spaemann in seiner Rede Menschenwürde und menschliche Natur an der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Die Rede ist auf der Website der Akademie als pdf-Dokument downloadbar.

Die Voraussage Spaemanns wurde auf einer weiteren Tagung der Politischen Akademie in Tutzing vom ehemaligen SPD-Abgeordneten Robert Antretter bestätigt: “Mittlerweile sähen sich alte Menschen in den Niederlanden, Vorreiter bei der aktiven Sterbehilfe, geradezu gezwungen, sich töten zu lassen”, gibt Michael Stallknecht Antretter in seinem Tagungsbericht Menschenrechte - ein positives oder ein Naturrecht (Tagespost vom 6. Oktober) wieder.


Große Dringlichkeit

Zeuge Christi sein bedeutet, Zeugnis zu geben für die Wahrheit, für Gott und die wahre Größe des Menschen, für die gottgewollte Ordnung in allen Lebensbereichen. Darum ist Kardinal von Galen damals so entschieden gegen die organisierte Ermordung sogenannten unwerten Lebens aufgetreten. Gegenüber menschenverachtender Tyrannei erinnerte er an das Gebot Gottes: “Du sollst nicht töten!” Wenn auch heute die Bedrohung der Würde und Grundrechte des Menschen auf nicht so dramatische, sondern subtilere Weise geschieht, muß die Kirche nicht weniger bereit sein, “nec timore nec laudibus”, ohne Rücksicht auf Einschüchterung und Lob, sich gleichermaßen stets zum Anwalt des Lebens zu machen. Angesichts der erschreckend hohen Zahl der Abtreibungen und der zunehmenden unerlaubten Praktiken sogenannter “Sterbehilfen” hat der Dienst am Leben für uns Bischöfe in der heutigen Gesellschaft erneut eine große Aktualität und Dringlichkeit erlangt. Es gilt, Gott als den alleinigen Herrn über Leben und Tod mit neuem Nachdruck zu verkünden und die feindliche Einstellung dem Leben gegenüber sowie den mangelnden Mut zur Weitergabe des Lebens durch ein neues Ja zum Leben zu überwinden.

Johannes Paul II. am 30. April 1987 in seiner Ansprache an die Deutsche Bischofskonferenz im Maternushaus in Köln


Schutz statt Suizidhilfe

Weit mehr als 90 Prozent aller Suizide sind durch Depressionen oder andere psychische Erkrankungen verursacht. Menschen, die an solchen Krankheiten leiden, bedürfen ärztlicher Heilbehandlung sowie menschlicher Solidarität und Hilfe. Die Schutzpflicht des Staates gebietet es, sie vor der Gefahr eines krankheitsbedingten Entschlusses zur Selbsttätung zu schützen.

Der Jurist Bernward Büchner, zitiert in der Tagespost vom 21. Juni 2012


Die Maske des Mitleids

Ich verfüge nicht über meine Würde, schon gar nicht über die Würde eines Anderen. Das ist eine Relativierung der Selbstbestimmung. Absolute Autonomie im Zeichen des Machens und Unantastbarkeit - das ist eine unheimliche Spannung, ein ungelöster Konflikt im Projekt Moderne. Wenn die Haltung des nicht antastenden Annehmens eines uns vorgegebenen und nicht zu machenden Menschenlebens verschwindet, werden wir keine Ethik der Würde mehr haben, sondern am Ende nur noch eine Ethik der Erfolgsinteressen, in welcher sich das von Gesundheitskonzernen stimulierte Bedürfnis nach Fitness zu einer neuen Religion verselbstständigt. Im Handumdrehen trägt dann die Selektion die Maske der Selbstbestimmung, die Vernichtung von Menschen die Maske des Mitleids.

Der emeritierte Bischof von Limburg Franz Kamphaus in seiner Rede zur Eröffnung des "Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft" am 1. März 2002 in Berlin.
In Belgien hat nun, am 12. Dezember, der Senat mit 50 gegen 17 Stimmen ein Gesetz gebilligt, das aktive Sterbehilfe an Kindern erlaubt. Christliche, jüdische und muslimische Glaubensgemeinschaften hatten sich in einem gemeinsamen Aufruf dagegen gewandt: “Wir sollten nicht den Tötungsakt verharmlosen, zumal wir für das Leben geschaffen worden sind”, hatten sie laut FAZ darin erklärt.


Guter schneller Tod?

Kürzlich ist von Robert Spaemann und Bernd Wannenwetsch unter dem Titel Guter schneller Tod? (Brunnen Basel, 112 Seiten) eine Streitschrift für ein menschenwürdiges Sterben erschienen. Der evangelische Pressedienst schreibt darüber u.a.:
“Wohin die Reise geht, beschreibt der Philosoph anhand der Entwicklung in den Niederlanden mit deren liberalen Sterbehilferegelungen. Dort werde bereits ein Drittel der jährlich legal Getöteten nicht mehr auf eigenes Verlangen aus dem Leben befördert, sondern auf das Urteil von Ärzten und Angehörigen hin. Sie entschieden, dass es sich hier um ‘lebensunwertes Leben’ handele. Doch selbst bei Zustimmung lägen die Motive oft anders als vermutet. Eine niederländische Studie weise nur 10 von 187 Fällen aus, in denen Schmerzen der alleinige Grund für den Sterbewunsch gewesen seien. In weniger als der Hälfte aller Fälle spielten Schmerzen überhaupt eine Rolle. Man wolle aus dem Leben scheiden, weil man sich in ‘einer Situation des Sich-verlassen-Fühlens’ befinde, so Spaemann.”


Die Mär vom selbstbestimmten Suizid

In der bisher umfangreichsten Meta-Studie aus dem Jahr 2004, bei der 27 wissenschaftliche Studien miteinander verglichen wurden, in denen wiederum insgesamt 3275 Suizide erfasst wurden, kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass in 87,3 Prozent der Fälle eine zuvor diagnostizierte psychische Erkrankung die Hauptursache für die Selbsttötung war. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Auch bei den verbleibenden 12,7 Prozent konnte nicht etwa ein „freiverantwortlicher Suizid“ nachgewiesen werden, sondern die Hauptursache bloß nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Wenn aber der Suizid – zumindest in der Mehrzahl der Fälle – Ausdruck einer geistig-seelischen Krankheit ist – dann kann er eigentlich nicht als eine Form, sich selbst zu bestimmen, betrachtet werden. Wer dies dennoch tut, müsste auch den Spirituosenkonsum eines Alkoholkranken als Ausdruck seiner Willensfreiheit werten und nicht – wie es gemeinhin üblich ist – als Beleg für eine mangelnde Willensfreiheit.

Aus: Stefan Rehder, Nun sollen die Ärzte ran, in: Lebensforum Nr. 111, 3. Quartal 2014, S. 6


Zum Thema:

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