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Moralische Werte?

Wozu soll das gut sein?

Von Annie Foster

Jeden Sonntag sitzt ein Bettler namens Frederick auf einer Bank am Rand der Hauptstraße, abseits der drei meistbesuchten Kirchen der Stadt. Er sitzt dort, um auf das Ende des Gottesdienstes und auf die Kirchenbesucher zu warten, die aus den Seiteneingängen strömen. Er nimmt seine alte zerbrochene Violine aus der Tasche und beginnt, das einzige Musikstück zu spielen, das er kennt. Jede Woche bleiben dieselben zwei Leute stehen, um für einen kurzen Moment zuzuhören, bevor sie ihr übriges Kleingeld in seine Dose werfen und weitergehen. Frederick ist fast eins mit der Szenerie des Straßenrandes geworden, seine zerlumpte Gestalt verschmolzen mit der abgenutzten Sitzbank. Nur einige Leute, die nicht aus der Gegend stammen, nehmen überhaupt Notiz von seiner Gegenwart. Für diejenigen, die ihm täglich über den Weg laufen, ist Frederick nicht mehr Mensch als die Bank, auf der er sitzt. Er ist zu einem bloßen Ornament der Straßenecke geworden. Vielleicht war diese Entmenschlichung und Objektivierung eines armen Landstreichers der Grund, warum niemand Frederick an dem Sonntag beachtete, an dem er einen Herzinfarkt bekam und beinahe starb.

Zwei Freunde, die neu in der Gegend waren, kamen gerade aus der Kirche, als einer von ihnen Frederick auf der Bank liegen sah, während dieser stark zuckte. Der Mann, der Frederick bemerkte, drehte sich um und sagte zu seinem Freund: „Hast du den Mann auf der Bank gesehen? Ich glaube, er ist gerade dabei, einen Herzinfarkt oder etwas ähnliches zu bekommen. Komm, wir müssen ihm helfen!“ Sein Freund antwortete: „Mann, ich weiß nicht. Vielleicht ist es ja gar nichts. Außerdem bin ich hungrig. Wir sollten schnell zu einem Restaurant gehen, damit wir noch einen Tisch bekommen.“ Und so machte er kehrt und begann, auf das Pfannkuchenhaus auf der anderen Straßenseite zuzugehen. Für einen kurzen Moment starrte der Mann auf den Rücken seines Freundes, während dieser immer weiter lief. Dann rannte er sofort zu Frederick, der immer noch auf der Bank lag.

Der Mann hob Fredericks schweren Körper an und rief ein Taxi, um ihn ins Krankenhaus zu bringen. Als sie dort ankamen, wurde ihm gesagt, dass Frederick beinahe an diesem Tag auf der Bank gestorben wäre. Niemand hätte seinen starren bewegungslosen Leib dort liegen sehen. Die Gemeindemitglieder wären davongeeilt, um mit ihren Familien zu frühstücken – zu beschäftigt, um Fredericks Existenz zu bemerken, geschweige denn, dass er immer noch tot auf der Sitzbank lag.

Diese fiktive Geschichte zeigt eine allzu reale und bekannte moralische Situation. Der gute Samariter, der stehen blieb, um dem Bettler zu helfen, traf die moralisch gute Entscheidung, während sein Freund sich für die moralisch schlechte entschied. Dennoch sollten wir nicht nur auf die Moralität aufgrund guter oder schlechter Handlungen schauen, sondern auch die Wichtigkeit einer inneren Antwort auf moralische Werte in Betracht ziehen. Wir können nicht immer durch Handlungen auf einen Wert antworten. Gelegentlich ist eine Antwort aus unserem Inneren vonnöten. Diese innere Antwort besteht etwa im Gefühl der Dankbarkeit, das man gegenüber einer Person fühlt, die ihr Leben geopfert hat, um einem das eigene zu retten. Diese innere Antwort der Dankbarkeit gebührt dem Wert dieses heroischen Aktes der Lebensrettung. Es ist bedeutsam, edel und wichtig, echte Bescheidenheit, Großmut, selbstlose Liebe und wirkliche Vergebung dem gegenüber auszudrücken, was diese Antworten zu Recht verdient. Indem wir den Werten die gebührende Ehrfurcht erweisen, können wir in der Formung einer Persönlichkeit voranschreiten, die Tugend und Sittlichkeit ausstrahlt.

Wenn die zwei Männer, die aus der Kirche kamen, bemerkt hätten, dass eine Blume unter den Füßen eines Gemeindemitglieds zertreten worden wäre, dann wäre von ihnen in geringerem Maße eine Antwort gefordert gewesen. Der Bettler hat dagegen einen intrinsischen Wert, weil er ein menschliches Wesen ist, der höher als der Wert einer Blume steht. Ich erweise einem Menschen nicht dieselbe Liebe wie einer Blume. Folglich verlangt ein Unrecht, das dem Bettler angetan wird, eine stärkere Reaktion als das Zertrampeln einer Blume.

Der Mann in der Geschichte, der sich eher dafür entschied, zum Frühstück zu gehen, als dem Bettler zu helfen, war nur an dem interessiert, was für ihn subjektiv zufriedenstellenden Wert hatte, was ihm angenehm war. Er hatte kein Interesse an dem Wert, der dem Menschenleben innewohnt. Der Mann, der sich moralisch verhielt, sah, dass das Leben des Bettlers in sich selbst wertvoll war. Dietrich von Hildebrand legt in seinem Werk The Art of Living (Chicago: Franciscan Herald Press, 1965) die moralische Verpflichtung dieser Situation dar: „Ob man einer Person, die in Not ist, hilft oder nicht, hängt nicht vom eigenen willkürlichen Belieben ab; man macht sich deshalb schuldig, wenn man diesen objektiven Wert ignoriert.“ Positive moralische Werte verlangen unsere Bejahung, negative Werte unsere Zurückweisung (The Art of Living, S. 3).

Moralische Werte zu erfassen ist wichtig für die Verwirklichung einer Person, zu ihrer Formung zu einer moralisch integeren Person, die Werte erkennt und darauf tugendhaft antwortet. Hildebrand fasst es so zusammen: „Die Fähigkeit, Werte zu begreifen, sie anzuerkennen und auf sie zu antworten, ist die Grundlage zur Verwirklichung moralischer Werte des Menschen.“ Moralische Werte sind die höchsten unter allen natürlichen Werten und sie sind immer personale Werte, die nur vom Menschen umgesetzt werden können. Ein materielles Ding wie ein Hund oder der Baum kann weder gut noch schlecht sein noch moralische Güte besitzen. Der Mensch alleine hat die Freiheit, für seine Handlungen verantwortlich zu sein. Der Mensch alleine kann verantwortlich sein für seine Liebe, seinen Hass, seine Freude und seine Trauer, und kann moralisch gut oder schlecht sein (The Art of Living, S. 2). Es ist von großer Wichtigkeit für den Menschen, sich auf die Welt der positiven Werte zu konzentrieren und negative moralische Werte zurückzuweisen. Diese Forderung wird unterstützt von großen Geistern wie Platon oder Sokrates, die selbst die Überzeugung teilten, dass es besser sei, Unrecht zu erleiden als es zu verüben (The Art of Living, S. 1). Moralische Werte stehen höher als jegliche Art kultureller Leistung, Persönlichkeit oder oder intellektueller Eigenschaften. Es ist besser, demütig als charmant zu sein, besser ehrlich zu sein als eine Goldmedaille zu gewinnen und besser liebevoll zu sein als den besten Notendurchschnitt zu besitzen.

„Güte, Reinheit, Aufrichtigkeit und Demut des Menschen stehen höher als Genie, Brillanz und überschwängliche Vitalität, höher als die Schönheit der Natur oder der Kunst und höher als die Stabilität und Macht eines Staates“ (The Art of Living, S. 3).

Hildebrand erklärt, dass nur der Mensch, der Dinge, die in sich gut und schön sind, erkennen und den Anspruch der Werte begreifen und sich von ihnen formen lassen kann, fähig ist, moralische Werte zu verwirklichen. Daher mögen wir es den moralischen Werten erlauben, uns zu verändern, und auf ihre Forderungen antworten, auf dass wir mit einer klaren Vision die Fülle der Welt der Werte sehen können.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf dem amerikanischen Studentenblog zur Philosophie Dietrichs von Hildebrand. Die Übersetzung besorgte Manuel Schuster.


Zum Thema: Die Wertethik Hildebrands


Reason, will, and affectivity

I very strongly recommend that people read The Heart by Dietrich von Hildebrand. Affect, intellect, and will must work together. Any one of them can be destructive if disconnected from the others. A purely intellectual faith disconnected from the heart is sterile, and disconnected from the will it is fruitless. An overly intellectual presentation of Catholic faith, too abstract, in which the affective dimension of both liturgy and popular piety is scorned is one major reason for people falling away from the practice of the faith. A faith based purely on the will, disconnected from the intellect and the heart, is tyrannical. A purely affective faith, disconnected from reason, can be destructively sentimental, as we see in “mercy killing”, and in the glorification of feelings to create a parody of the true sacrificial love that is rooted in the truth that sets us free. Conscience can be reduced to “what I feel is right”, and that leads to moral incoherence.  But Catholic devotion to the Eucharist, to Mary, and to the Sacred Heart is solidly based on reason, will, and affectivity.

Kardinal Thomas Christopher Collins im Interview mit Nico Spuntoni, Daily Compass vom 19. Juni 2024.


Warum Dankbarkeit so wertvoll ist

Meine Predigt vom 13. Sonntag nach Pfingsten

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