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Evolution.
Grenzen eines naturwissenschaftlichen Paradigmas

Von Dr. Josef Bordat

1. Einleitung

Im März 1973 erschien in der Zeitschrift The American Biology Teacher ein Aufsatz des Biologen Theodosius Dobzhanskys mit einer seither oft zitierten Überschrift: "Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution". Dobzhansky zitiert darin den französischen Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin: "Is evolution a theory, a system, or a hypothesis? It is much more, it is a general postulate to which all theories, all hypotheses, all systems much henceforward bow and which they must satisfy in order to be thinkable and true. Evolution is a light which illuminates all facts, a trajectory which all lines of though must follow. This is what evolution is.", um sich diesem "great thinker" anzuschließen, der, so Dobzhansky, nicht nur ein "truly and deeply religious man" war, für den "Christianity was the cornerstone of his worldview", sondern über dies hinaus ein "creationist" (Dobzhansky 1973: 129). Dobzhansky bekennt: "It is wrong to hold creation and evolution as mutually exclusive alternatives. I am a creationist and an evolutionist. Evolution is God s, or Nature s method of creation. Creation is not an event that happened in 4004 BC; it is a process that began some 10 billion years ago and is still under way." (Dobzhansky 1973: 127).

In dem sich zuspitzenden und weitgehend weltanschaulich und wissenschafts- sowie bildungspolitisch geprägten Diskurs um Evolution und Schöpfung nicht zuletzt hier in Hessen werden nach einer Phase der Konvergenz im Sinne Dobzhanskys und Teilhards zunehmend die Kategorien "Wissen des Biologen" und "Glaube des Theologen" gegeneinander ausgespielt, vertreten durch (Neo-)Darwinismus [1] und (Neo-)Kreationismus, paradigmatisch festgeschrieben durch die forschungsmethodischen Ansätze Naturalismus und "Intelligent Design (ID)" [2].

Man kann sich dem Thema Evolution und Schöpfung von unterschiedlichen Seiten nähern, ich möchte dies mit einer Unterscheidung von Kausalität und Finalität tun, unter Bezug auf Leibniz (Kap. 2). Sodann möchte ich den Naturalismus, der dem neodarwinistischen Paradigma der Evolutionstheorie zugrunde liegt, wissenschaftstheoretisch untersuchen, um die Probleme eines Übergangs von der Methodologie zur Ontologie zu kennzeichnen (Kap. 3). Schließlich möchte ich mit dem Astrophysiker und Wissenschaftshistoriker Owen Gingerich ein kurzes Fazit ziehen (Kap. 4).

2. Kausalität und Finalität

Einerseits unterscheidet Leibniz mit Aristoteles in seiner Erkenntnistheorie die Kontingenz eines material-phänomenologischen Kausalnetzes im "Reich der Natur", das experimentell zugänglich ist, aber nur Wirkursachen enthält (causes efficientes), von der Notwendigkeit der Zielursachen (causes finales) im "Reich der Zwecke" bzw. der "Gnade", das experimentell nicht zugänglich ist. Wir können also erfahren, wie die Welt ist, aber wir können nicht in Erfahrung bringen, warum sie so ist, wie sie ist. [3]

Die beiden Reiche sind andererseits aber nicht getrennt voneinander zu denken, sie stehen miteinander in Verbindung, mehr noch: sie stehen "unter einander in Harmonie" (Leibniz, Monadologie, § 79; "Et les deux règnes, celui des causes efficientes et celui des causes finales, sont harmoniques entre eux."). Sie durchdringen sich wechselseitig: "Das Reich der Natur muss allerdings dem Reich der Gnade dienen; da jedoch im großen Plan Gottes alles miteinander verknüpft ist, ist anzunehmen, dass auch das Reich der Gnade in gewisser Weise dem Reiche der Natur angepasst ist, so dass dieses die größtmögliche Ordnung und Schönheit in sich birgt, um die Verbindung beider zu der vollkommensten zu machen, die möglich ist." (Leibniz, Theodizee, § 118). Aus dieser Universalharmonie folgt, "daß die Dinge durch die Wege der Natur selbst zur Gnade führen" (Leibniz, Monadologie, § 88; "Cette Harmonie fait que les choses conduisent à la grâce par les voies mêmes de la nature").

3. Wissenschaftstheoretische Überlegungen zum Naturalismus

Der Naturalismus ist in der Gegenwartsphilosophie ein breiter Strom, der sowohl in der Wissenschaftstheorie (zur Orientierung: Kanitscheider 2007: 56-97), als auch in der Praktischen Philosophie, namentlich der Ethik [4], wirkmächtig fließt. Seine vermeintlichen Stärken liegen in der angeblichen Voraussetzungslosigkeit des Ansatzes, die sich aus der Freiheit von metaphysischen Ideen ergebe, und als Folge in der empirischen Prüfbarkeit ihrer Postulate. Dass diesem methodologischen Optimismus einige Skepsis entgegengebracht werden kann, soll im folgenden Kapitel gezeigt werden.

Das Empirismus-Prinzip als Grundlage der naturalistischen Wissenschaftstheorie sei hier nur kursorisch rekonstruiert [5]. Das Kernkonzept der naturalistischen Wissenschaftstheorie ist das empiristische Signifikanzkriterium, das besagt, dass eine synthetische Aussage nur dann Bedeutung hat, wenn wir sagen können, unter welchen Bedingungen sie falsch und unter welchen sie wahr ist. Es gilt also methodologisch: Die Wahrheit bzw. Falschheit von synthetischen Aussagen ist nur empirisch nachweisbar, d. h. der Test ist durchzuführen anhand dessen, was wir als Wirklichkeit sinnlich wahrnehmen. Handelt die Aussage von Sachverhalten, die auf diese Weise nicht testbar ( testable ) sind, ist die Aussage nicht bestätigungsfähig ( confirmable ) und scheidet damit aus dem Kreis der sinnvollen Sätze aus [6]. Damit ist das Urteil über wissenschaftliche Aussagen, die ja zumeist synthetisch sind, eines, dass sich auf einen empirischen Nachweis stützen muss. Mit dem empiristischen Signifikanzkriterium liegt ein Abgrenzungskriterium gegenüber nichtempirischer Realerkenntnis vor, ein Kriterium für die scharfe Trennung zwischen syntaktischer Zulässigkeit und empirischer Signifikanz [7].

Am Beginn der praktischen wissenschaftlichen Arbeit steht die Beobachtung und das Formulieren von Beobachtungssätzen [8]. Empirisch signifikant sind aber nicht nur diese Beobachtungssätze sonst kämen die Forscherinnen und Forscher bei der naturwissenschaftlichen Theoriebildung nicht sehr weit, sondern auch Aussagen, zu denen die Beobachtungssätze in deduktiver Relation stehen (Hypothesen, Gesetze). Diese Aussagenklasse bildet die vollständig interpretierte empiristische Wissenschaftssprache als Sprache einer Einheitswissenschaft (vgl. Carnap 1932b: 432), d. h. nur Aussagen, die derart formuliert sind, das sie zu dieser Klasse zählen, verdienen im wissenschaftlichen Diskurs Beachtung. Negativ ausgedrückt: Aussagen, die in diesem Sinne nicht empirisch signifikant sind, gehören nicht in die Wissenschaftssprache und haben im Diskurs keinen Platz. Kurzum: Von empirischer Signifikanz schließt der Naturalist auf wissenschaftliche Relevanz.

Derart bildet der Signifikanzvorbehalt des Naturalismus einen Filter für Sinn und Unsinn. Er erhebt infolgedessen die empirisch arbeitenden Naturwissenschaften zum Paradigma wissenschaftlicher Tätigkeit überhaupt. Im Ergebnis entsteht ein Methodenmonopolismus, der jede Erfahrung, die nicht empirisch signifikant ist, abweist, so dass jede Aussage, mit der auf Entitäten nichtempirischer Realerkenntnis referenziert wird, a priori als unerheblich gekennzeichnet wird. Die Frage, die sich aufdrängt lautet: Was berechtigt den Naturalisten zu einer Diskursregel, die den Begriff der Wissenschaft derart verkürzt? Wissenschaftliche Wahrheit über Aussagen, also sprachanalytisch zu bestimmen, zugleich aber bestimmte Positionen methodisch von der Kommunikation auszuschließen, beschränkt den Wahrheitsbegriff unzulässig, mehr noch: eine solche Filterung hemmt die Suche nach Wahrheit. Zur Wahrheit führt nur ein Dialog, der keine Form menschlicher Selbstvergewisserung und Daseinsorientierung von vorne herein ausschließt, denn naturalistische Weltbilder genießen keineswegs prima facie Vorrang vor religiösen Auffassungen. (Habermas 2004).

Es stellt sich zudem die Frage, ob dies nicht eine zirkuläre, selbstwidersprüchliche Definition von Relevanz ist, die der Naturalismus anbietet, weil die Aussage, die die Relevanz festschreibt, am Maß der Definition gemessen, selbst irrelevant ist, denn die Forderung, wissenschaftliche Relevanz setze empirische Signifikanz voraus, ist als normative Aussage gerade keine Aussage, die mit der naturalistischen Methode, sprich: empirisch, beweisbar wäre. Nur deskriptive Aussagen sind empirisch beweisbar, normative Aussagen enthalten Wertungen, also Werte, die, im Verständnis der Naturalisten, kein Teil der empirisch signifikanten Wirklichkeit sind. Ergo: Sie, die entsprechenden normativen Aussagen, sind irrelevant. Am Anfang - gewissermaßen bei der Errichtung des naturalistischen Filters - steht also eine Aussage, die selbst den Filter nicht passieren könnte.

Verstöße gegen das eigene empiristische Prinzip ziehen sich auch durch die im Geiste des Naturalismus gewonnene Evolutionstheorie, was weniger an einer unsauberen Anwendung der Methodik, sondern mehr an den zu hohen Ansprüchen an selbige liegt, was deren Erklärungsfähigkeit betrifft. Makroevolution ist beispielsweise nicht empirisch nachgewiesen, wie sollte dies auch gehen, handelt es sich doch um die Interpretation von Naturgeschichte. [9] Die Zugangsmöglichkeiten zur Naturgeschichte umfassen eben nicht allein empirische Vorgehensweisen, sondern immer das Zusammenspiel von synthetisch-induktiven, probabilistisch-stochastischen und analytisch-deduktiven Schritten, der Zugang zur Naturgeschichte ist - wie der zur Geschichte allgemein - ein hermeneutisch-verstehender. Wenn aus der Naturgeschichte dennoch eindeutige Prognosen für naturwissenschaftliche Erklärungen gewonnen werden sollen, die keine Alternative zulassen, werden die eigenen Ansprüche an wissenschaftliche Relevanz gelockert, ohne damit eine prinzipielle Methodenvielfalt oder zumindest die Möglichkeit alternativer Ansätze einzugestehen - ein höchst unlauteres Vorgehen. Doch anders geht es freilich auch nicht: Würde man sich auf das empirische Prinzip beschränken und den Königsweg des Naturalismus zuende gehen, käme man nicht weit, etwa bei der Aufstellung von Hypothesen zur Makroevolution. Zudem müsste - wie bei jeder anderen Methode - auch verhindert werden, dass die Erwartungshaltung die Deutung in eine bestimmte Richtung drängt. Wenn Evolution das heuristische Grundkonzept ist und Empirismus die Methode, fällt es schwer, Fossilienfunde, die für Evolution sprechen, anders zu interpretieren, obgleich damit Theorie und Befund, also Aussagen, die aus dem Beobachtungssatz abgeleitet werden und der Beobachtungssatz selber, einander wechselseitig bedingen, so dass am Ende umgekehrt der Beobachtungssatz von der zur Theorie passenden Aussage abgeleitet zu werden droht, die Beobachtung also ausschließlich im Lichte der Theorie erfolgt. Reinhard Löw hält aufgrund dieses Problems insbesondere die Deutung so genannter “missing links” wie des “Urvogels Archäopterix, der in Wirklichkeit ein echtes Reptil war”, für präjudiziert, obwohl (oder besser: weil) die Evolution im Sinne der “Auseinanderentwicklung der Arten” eine “vernünftige Hypothese” darstelle (1986: 20).[10] Evolution ist gewissermaßen zu vernünftig, um sich in ihrer Rekonstruktion allzu lange mit der Frage zu beschäftigen, ob denn die Befunde und Beobachtungen auch anders deutbar sein könnten. Diese von “Duhem bis Feyerabend” (Löw 1986: 21) angesprochene “Theoriebeladenheit der Fakten” verkompliziert nicht nur die wissenschaftstheoretischen Bedingungen selbst rein deskriptiv arbeitender und empirisch-induktiv voranschreitender Forschung, sondern bringt diese mit ihrer Zirkelstruktur zudem in einen unvermeidlichen Selbstwiderspruch im Hinblick auf die methodologischen Prämissen, denn schließlich verrät der Naturalismus entweder die Dignität der empirischen Methode oder überschätzt deren Leistungsfähigkeit - er wird in jedem Fall Opfer des methodischen Monopolismus, den er selbst proklamiert.

Die Kritik am Naturalismus erfolgt aber vor allem vor dem Hintergrund dessen, dass er sich zum allgemeinen und hinreichenden Weltdeutungsmittel aufspreizt und damit die Unterscheidung von Finalität und Kausalität obsolet zu machen glaubt bzw. dazu auffordert, sich mit der Kausalität zu begnügen, da es so etwas wie Finalität nicht gebe. Dies ist als unzulässige Weiterung des naturwissenschaftlichen Deutungsraums zu kritisieren, in dem letztlich jedes Gottesbild nicht nur unnötig, sondern auch unsinnig erscheint. Dazu Gingerich, auf den ich später noch genauer eingehen werde: “Einige der geistreichsten Verteidiger der Evolutionstheorie, wie Richard Dawkins, nutzen ihr Ansehen als wissenschaftliche Wortführer und werben ungehemmt für den Atheismus.” (2008: 85). Die Auffassung, die Leugnung Gottes sei gewissermaßen als Abfallprodukt der evolutionsbiologischen Forschung durch eben diese gerechtfertigt, ist aber unbegründet, weil sie den Aussagerahmen der Wissenschaft überschreitet, denn der methodische Naturalismus wird zu einem ontologischen Naturalismus aufgebläht, der nur mehr eine materialistische Seinsauffassung sinnvoll, ja überhaupt nur möglich erscheinen lässt.

Der Naturalismus führt in seiner ontologischen Spielart zu weitreichenden Folgen, die nicht nur den Ursprungs-, Entstehungs- und Entwicklungsdiskurs betreffen. Vom ontologischen Naturalismus geht ein direkter Weg zum naturalistischen Fehlschluss in der Ethik, wie Eberhard Schockenhoff zeigt: “Dem epistemologischen Vorwurf eines naturalistischen Fehlschlusses liegt der ontologische Irrtum einer naturalistischen Weltdeutung zugrunde, die einen Ausschnitt der Wirklichkeit, nämlich die empirischer Betrachtung zugängliche Welt der nackten Tatsachen für das Ganze hielt. Nur unter der Prämisse eines wertfreien, sinnleeren Seinsverständnisses, das Seiendes nicht als Träger von Bedeutungen, sondern nur als bloße Entitäten ohne objektiven Sinngehalt kennt, ist es plausibel, Wertannahmen auf die Projektion subjektiver Einstellungen zurückzuführen. Außerhalb dieser ontologischen Vorentscheidung, für die es keine guten philosophischen Gründe gibt, ist es dagegen durchaus vorstellbar, humane Güter und moralische Werte als Bestandteile unserer Welt und somit als etwas Reales anzusehen. Ein szientistischer Realitätsbegriff verkürzt dagegen die mehrdimensionale Bedeutung des Wirklichen. Die Welt, in der wir leben, umfasst nicht nur den Bereich der empirischen Tatsachen, die wir aus einer Beobachterperspektive mit naturwissenschaftlichen Methoden erkennen, sondern auch die Sphäre von Gütern, Werten und Rechten, deren Notwendigkeit für die gedeihliche Entfaltung unseres Menschseins wir als Teilnehmer einer gemeinsamen Lebenspraxis erfassen.” Denn: “Die Vorherrschaft eines szientistischen Rationalitätsbegriffes verleitet leicht dazu, Aussagen über erstrebenswerte Güter und Ziele, über die offenen Entwicklungsmöglichkeiten der Dinge und ein ideales Sein-Können des Menschen, die ein metaphysisches Verständnis der Welt erfordern, als unwissenschaftlich abzutun.” (2007: 335 ff.) Schockenhoff zitiert dazu McDowell (2002): “Wollte man den Status dieser Weltsichten mit der Begründung anzweifeln, sie seien nicht wissenschaftlich, so entspränge das keiner wissenschaftlichen, sondern einer szientistischen Motivation.” Schockenhoff nimmt diesen Gedanken auf und fährt fort: “Sollen Fragen der praktischen Lebensorientierung nur dann als rational entscheidbar gelten, wenn sie nach dem Methodenideal empirischer Naturerkenntnis beantwortet werden können, so liefe eine solche Forderung auf einen Kategorienfehler hinaus: Sie verwechselt die epistemologischen Voraussetzungen, die der jeweiligen Wirklichkeitssphäre angemessen sind und begeht dadurch den logischen Fehlschluss, der schon mehrfach als Irrtum einer naturalistischen Weltanschauung herausgestellt wurde.” (2007: 337). Die Ursprungsfrage, die Frage, ob unsere Welt Zufall oder Sinn durchwaltet, ob es einen Schöpfer gibt, diese Frage gehört zweifelsohne in den Bereich der “praktischen Lebensorientierung”, in dem sich der Naturalismus zu Unrecht als alternativlos darstellt. Im Gegenteil: Der Naturalismus ist eine Weltanschauung. Und mit der kann man falsch liegen, auch wenn die empirische Forschung im Rahmen ihrer speziellen techné gute Ergebnisse liefert.

4. Fazit

Es ist ab und zu nötig, inne zu halten und in festgefahrene Debatten die nötige Ordnung zu bringen. Das gilt in der Politik wie auch in der Wissenschaft, insbesondere dann, wenn in Politik und Wissenschaft weltanschauliche Fragen berührt werden, wenn es an das “Eingemachte” menschlicher Selbstvergewisserung geht. Diese Ordnung bringt Owen Gingerich, Astronom und Wissenschaftshistoriker am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, mit “Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen” (2008) in die Debatte um Evolution und Schöpfung. Der im März auf Deutsch erschienene Text ist aus den “Nobel Lectures” von 2006 entstanden.

Gingerich deutet an, dass beim Zugang zur Ursprungsfrage die scheinbar grundverschiedenen Paradigmata “Evolution” und “Schöpfung” keine klare Abgrenzung bedeuten, denn die unterstellte Dichotomie von “Schaffen” und “Entwickeln” existiert nicht. Auch das Entwickelte bzw. sich Entwickelnde kann geschaffen worden sein, auch das Geschaffene kann so geschaffen sein, dass es sich erst durch seine Entwicklung zum eigentlichen Zweck entfaltet. Gingerich betont außerdem: “Evolution als eine materialistische Philosophie ist Ideologie, und sie als solche darzustellen erhebt sie in den Rang einer Zielursache. Evolutionisten, die die kosmische Teleologie ablehnen, auf ein kosmisches Roulette vertrauen und für die Zweckfreiheit des Universums eintreten, äußern keine wissenschaftlich fundierten Tatsachen; sie vertreten ihre persönliche metaphysische Meinung”, von der Gingerich der Ansicht ist, sie sei unbegründet. Über die Begründetheit dieser Meinung kann man sich sicherlich streiten, nicht aber - das hoffe ich, gezeigt zu haben -, dass es sich tatsächlich um eine Meinung handelt, die außerhalb des naturwissenschaftlichen Diskurses steht.

Die Frage nach der Schöpfung bleibt wissenschaftstheoretisch betrachtet berechtigterweise offen. Die Grenze des Evolutionsparadigmas ist der Aussagerahmen der naturwissenschaftlichen Methode. Jedem Evolutionstheoretiker, der jenseits der Formulierung von Hypothesen als Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung des Lebens letztgültig Auskunft über dessen Entstehung geben zu können glaubt, ist mit großer Skepsis zu begegnen. Wissenschaft - und die Debatte um Evolution ist hierbei nur ein exponiertes Beispiel - darf nicht ins Gewand des Szientismus gekleidet werden, wenn sie weltanschaulich soweit neutral bleiben soll, wie es ihr gebührt.

Anmerkungen:

[1] Da im Diskus zwischen Darwinisten und Vertretern des ID von niemandem ernsthaft bestritten wird, dass Evolution als Entwicklungsprozess stattfindet, sondern nur die von Darwin nahegelegte Makroevolution zur Diskussion steht, bei der sich alle Arten aus einer ursprünglichen Lebensform entwickelt haben, so dass ein kontinuierlicher Prozess "von der Amöbe bis Goethe" nachgezeichnet werden kann und sich die ursprüngliche Lebensform (und in der Folge das Bewusstsein) aus Materie entstanden sind, müssten hier im Sinne begrifflicher Klarheit diverse Evolutionskonzepte unterschieden werden (vgl. Wells 2006: 2). Ich werde darauf verzichten, weil die Differenzierung für meine philosophische Argumentation nichts austrägt. Festzuhalten ist jedoch, dass insbesondere Makroevolution (einschließlich der Frage nach der Humanisation) gemeint ist, wenn im folgenden von "Evolution" gesprochen wird.

[2] Auch hier gäbe es einiges an begrifflichen Bestimmungen vorzunehmen, was allerdings den Rahmen dieses Aufsatzes bei weitem sprengen würde; für eine Definition von ID vgl. Wells (2006: 7-9).

[3] Das bedeutet für die Naturwissenschaften im übrigen, dass sie durch Erfahrung und Induktion nicht begründbar sind. Vielmehr setzen sie nach Leibniz logisch-göttliche Prinzipien voraus, ohne die eine geordnete empirische Erkenntnis aus Experimenten gar nicht möglich ist.

[4] Wie einseitig und kurzsichtig eine naturalistisch-evolutionäre Ethik werden kann, zeigt sich bei Kanitscheider (2007: 268-273), wo sich die komplexe Thematik der Moraltheorie in Fragen der Freiheit zum Konsum von Drogen und zum Lustgewinn aufgrund sexueller Aktivitäten erschöpft. Dieser Hedonismus der Sinnlichkeit, der für die Praktische Philosophie im Paradigma des Naturalismus nicht untypisch zu sein scheint, zeigt, wohin die Aufgabe von Sinnhaftigkeit und Zweckbezüglichkeit des menschlichen Lebens führen kann: in die kontraintuitive Vorstellung, ein möglichst offener Umgang mit Betäubungsmitteln und die Reduzierung von Sexualität auf Körperlichkeit führten zu einem Mehr an Lebensfreude. Jeder Mensch, der mit halbwegs offenen Augen durch die Welt geht, weiß, dass das Gegenteil der Fall ist.

[5] Vgl. die Klassiker zum Empirismus-Prinzip, u. a. Ayer (1936), Carnap (1936/1937) und Hempel (1950); zur Kritik am Empirismus-Prinzip vgl. Quine (1951).

[6] Der Unterscheidung von testable und confirmable bei Carnap (1936/1937) entspricht die Differenz von Verifikation und Verifizierbarkeit bei Schlick (1936).

[7] Ein Satz wie Es gibt einen Schöpfer der Welt. wäre z. B. syntaktisch zulässig, nicht aber empirisch signifikant, da er die Existenz einer übersinnlichen Entität behauptet, was mit Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung nicht verifizierbar ist, zumindest nicht im naturalistischen Paradigma der (neo-)darwinistischen Evolutionstheorie; ID versucht ja gerade, den Schöpfer (Designer) vermittels seiner Spuren sinnlich wahrnehmbar zu machen, was erhebliche onto-theologische Probleme mit sich bringt.

[8] Synonym wird der Begriff Protokollsätze verwendet (Carnap 1932a; Neurath 1932).

[9] So scheint die Mahnung Owen Gingerichs angemessen, der betont, wie vorsichtig wir sein müssen, wenn wir etwas über makroevolutionäre Veränderungen sagen und wie sie auftreten können oder nicht (2008: 75).

[10] Bei missing links handele es sich, so Löw mit bezug auf Illies (1979), um logisch erschlossene Schreibtischarten, die nicht ins methodologische Schema ausschließlich empirisch-induktiver Forschung passen, weil für ihre Interpretation theoretische Annahmen gebraucht werden, die es zugleich zu bestätigen gilt.

Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen Vortrag, den Dr. Josef Bordat am 26. September 2008 auf der Tagung des Driburger Kreises zum Thema Naturwissenschaft, Medizin und Technik und ihr Verhältnis zur Populärkultur in Darmstadt gehalten hat.


Übernatürlich

Als junger Mann war ich praktizierender Atheist. Die Erforschung des Universums hat mir gezeigt, dass die Existenz von Materie ein Wunder ist, das sich nur übernatürlich erklären lässt.

Der amerikanische Astrophysiker Allan Sandage (1926-2010)


Alternative zum Naturalismus

“Angesichts des Erklärungserfolgs der Wissenschaft liegt es nahe, einen Schritt weiter zu gehen und zu behaupten, dass es nichts anderes gibt als nur diese Erfahrungswelt. Diese Haltung bezeichnen wir als Naturalismus. Sie geht aber deutlich über die Ergebnisse der Wissenschaften hinaus, denn aus den Ergebnissen der Wissenschaften folgt immer nur, dass es die Erfahrungswelt gibt und dass sie so beschrieben werden kann, wie die Wissenschaften es tun.”
“Wenn Gott der Schöpfer der Welt ist, dann wird die Welt nicht, wie der Naturalist behauptet, im Innersten durch materielle Teilchen zusammengehalten, die nach sinn- und moralfreien Naturgesetzen miteinander interagieren. Vernunft und Geist halten die Welt im Innersten zusammen.”

Aus einem Gespräch von Magdalena Hegglin, Sarah Luger und Lauren Lauer mit dem Philosophen Holm Tetens über Wunschdenken, vernünftige Hoffnung, das Leiden und offene Fragen, in der Zeitschrift Melchior. Auf der Suche nach dem Schönen, Wahren, Guten Nr. 4/2016, S. 71-75. Holm Tetens, emeritierter Professor für theoretische Philosophie (Logik und Wissenschaftstheorie) an der Freien Universität Berlin, ist Autor des Büchleins Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie, Reclam 2015.


Naturalismus und Theodizee

In diesem Video trägt der Philosoph Holm Tetens einige Gedanken vor, in denen er das Argument aus der Existenz von Leid nicht gegen den Gottesglauben, sondern gegen den Naturalismus wendet. Naturalismus ist eine philosophische Richtung, die nur das als wirklich anerkennt, was den Naturwissenschaften zugänglich und von den Naturgesetzen bestimmt ist, so dass sie - je nachdem, wie konsequent sie ist - nicht nur Gott und alles “Übernatürliche”, sondern auch Geist, Freiheit, Verantwortlichkeit, Intentionalität, Moralität, Personalität aus der Welt verbannt bzw. diese Phänomene umdeutet und naturalisiert.
Das Besondere an Holm Tetens ist, dass er selber Naturalist war und durch sein Philosophieren eine Wende vollzogen hat. Insofern bezeichnet die von Jesuiten geführte Münchener Hochschule für Philosophie, die auch dieses Video produziert hat, Tetens’ 2015 erschienenes Büchlein Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie zurecht als “kleine Sensation”. Obwohl sich Tetens darin einem Begriff von Gott zuwendet, der sogar die Erlöserdimension einschließt, ist derselbe immer noch vom christlichen Gottesbegriff unterschieden, da er die Möglichkeit von Wundern und des göttlichen Vorauswissens freier menschlicher Handlungen leugnet. Dennoch sind seine Ausführungen bedenkenswert.

Theodor Haecker über das Theodizeeproblem


Hopkins als Befreier vom Szientismus

Der kanadische Philosoph Charles Taylor fragt, “welchen Gewinn es uns Menschen brächte, der Existenz Gottes wieder inne zu werden. Für die Antwort weist ihm der englische Lyriker Gerard Manley Hopkins (†1889) die Richtung. Ich kann hier nur sehr verkürzt einige der aufgezeigten Wegzeichen erwähnen. Hopkins hat Taylor aufmerksam gemacht, daß die nachromantische, disziplinierte, instrumentelle Vernunft das menschliche Leben einengt und reduziert. Im gängigen empirischen Denksystem verlören wir den Kontakt zu der uns umgebenden natürlichen Welt und uns käme zugleich unsere Verbindung mit einer höheren Dimension unseres eigenen Lebens abhanden. Taylor spricht sich dann ausdrücklich gegen das Abgleiten christlichen Denkens in eine Religion systematischer unpersönlicher Ordnung aus, in die moderner Szientismus sie verdünnt hat. Eine neue Sprache könne stattdessen dazu dienen, einen Weg zurück zum Gott Abrahams zu finden, nicht zuletzt, um sich – wie er schreibt – ‘vom heftigen Unbehagen an starken, aber wirren Gefühlen zu befreien’. Der Wissenschaftler formuliert: Unserer ‘Erfahrung wird ein tieferer Sinn gegeben, und das Wirken Gottes erwirbt eine neue Erfahrungsrealität’ (Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Suhrkamp: Frankfurt 2009, S. 1249 ff.). Gott habe sich – heißt es dann weiter - nicht verbergen wollen hinter den Wolken einer gesichtslosen Macht oder eines blinden Schicksals. Er habe uns vielmehr geschaffen, ‘damit wir an seiner Liebe teilhaben’.”

Aus: Paul Josef Cardinal Cordes, Der verdrängte Gott. Zwischen Glauben und Skepsis, in: Die Neue Ordnung Nr. 2/2016, S. 91.


Was Naturgesetze leisten

Wenn die Entstehung des Universums ein physikalischer Vorgang ist, dann brauchen wir physikalische Gesetze. Das ist so weit einleuchtend. Aber ein physikalisches Gesetz beschreibt und erklärt nur ein Ereignis, es erzeugt es nicht, auch nicht in den ersten Millionstelsekunden der Welt. Selbst eine Theorie »von allem« erklärt vielleicht alles, aber sie erzeugt nichts.

Aus dem Artikel von Eduard Kaeser über Stephen Hawking Physik aus der Gottesperspektive, in: Die Zeit 1/2011


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