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Umleitung zum Glück

Von P. Engelbert Recktenwald

Es war im Jahre 1988, also in jener fernen, vergangenen Zeit, als es noch keine Navis gab, kein Internet und keinen Google-Routenplaner. Ich fuhr zum ersten Mal mit dem Auto nach Wigratzbad, hatte mir vor Fahrtbeginn die Route genau angeschaut und wusste, dass ich mich auf der richtigen Straße befand und nahe am Ziel war. Da tauchte vor mir eine Straßensperrung mit einem Umleitungsschild auf, das mich zwang, links in eine Seitenstraße abzubiegen. Ich ärgerte mich, dass ich kurz vor dem Ziel zu einem Umweg von ungewisser Länge gezwungen wurde. Doch siehe da: nach 300 Metern tauchte das Ortsschild von Wigratzbad auf! Die vermeintliche Umleitung war exakt der richtige Weg! Ohne sie wäre ich ahnungslos am Ziel vorbeigefahren und hätte es verpasst.

Dieses Erlebnis ist für mich ein Gleichnis für das Verhältnis, das zwischen Moral und Glück besteht. Oft erscheint uns die Moral wie ein Hindernis auf unserem Weg zum Glück, doch wenn wir ihr folgen, entpuppt sie sich gerade als der kürzeste Weg zu ihm. Wir finden das Glück nicht, indem wir es ansteuern, sondern indem wir der Moral folgen. Warum ist das so? Und ist es tatsächlich so? Wenn wir über diese Frage nachdenken, betreten wir ein heiß umkämpftes Gebiet der Philosophie.

Für uns Christen ist die Sache ganz einfach und sonnenklar: Die Zehn Gebote als der Inbegriff der Moral stammen von Gott. Und da Gott es gut mit uns meint, sind sie mit Sicherheit kein Hindernis für unser Glück, sondern im Gegenteil untrügliche Wegweiser zu ihm, auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt. Wenn wir mitunter den Eindruck haben, als ob die Moral unserem Glück im Wege steht, dann deshalb, weil wir uns vom Glück eine falsche Vorstellung machen - so wie ich auf meinem Weg nach Wigratzbad. Ich dachte, mein Ziel liege vor mir auf der Verlängerung der Straße, die ich gerade befuhr. In Wirklichkeit war ich ihm näher, als ich dachte, und ich fand es, indem ich den Schildern gehorchte. Der sicherste Weg zum Glück ist der Gehorsam gegenüber Gottes Geboten.

Doch wie ist es mit den Menschen, die nicht an Gott glauben? Wir Christen wissen zwar, dass die Schilder von Gott stammen und deshalb den richtigen Weg weisen. Aber woher sollen die Ungläubigen das wissen? Sollen sie trotzdem den Wegweisern der Moral folgen? Dürfen sie darauf vertrauen, dass die Moral sie nicht am Glück vorbeiführt?

Hier wird die Sache nun etwas komplizierter. Zunächst könnte man tatsächlich denken, dass nun die Moral ihren ganzen Sinn verliert. Jean-Jacques Rousseau schreibt zum Beispiel: “Wenn es keine Gottheit gibt, so ist der Böse der einzige Vernünftige, der Gute ist nur ein Dummkopf” (Emile oder über die Erziehung). Dahinter steht der Gedanke: Warum soll ich aus moralischen Gründen mein Glück vernachlässigen? Ich wäre dumm, wenn mir die Moral wichtiger wäre als mein Glück.

Bedeutet dies, dass sich nur dem Christen der Sinn der Moral erschließt? Hier müssen wir aufpassen, dass der Schuss nicht nach hinten losgeht. Denn wir müssen uns die Frage stellen: Halten wir Christen die Gebote denn bloß aus blindem Gehorsam gegen Gott? Und geht es uns dabei nur darum, glücklich zu werden? Gibt es nicht auch moralisches Handeln aus moralischer Einsicht? Ist nicht jedem Menschen, wie Paulus schreibt, das Gesetz ins Herz geschrieben (Röm 2,15)? Hat nicht jeder Mensch ein Gewissen, das ihm zumindest in den wichtigsten Dingen das Sittengesetz zeigt und demselben zu folgen befiehlt? Aber welchen Grund hat der Atheist, diesem Gesetz zu folgen, wenn er nicht weiß, dass es ein Wegweiser zum Glück ist? Doch ehe wir uns versehen, kann sich das Verhältnis nun plötzlich umkehren, indem der Atheist sich als der moralischere Mensch präsentieren und sagen könnte: Wenn ich es vermeide, dem Nächsten zu schaden, und statt dessen hilfsbereit und rücksichtsvoll bin, dann tue ich das Gute nicht, weil ich mir dadurch selber einen Vorteil erhoffe, sondern einfach darum, weil ich in meinem Gewissen erkenne, dass das gut und richtig ist und das Gegenteil schändlich. Wenn ihr Christen das aber nur tut, um glücklich zu werden, dann ist eure Ethik nur eine billige Lohnethik. Ihr tut das Gute um des Lohnes willen, ich tue es um des Guten willen. Ihr helft dem Nächsten um euretwillen, ich tue es um seinetwillen.

Plötzlich erscheint nun also der Wegweisercharakter der Moral als etwas, das ihren Sinn verdunkelt. Die Moral ist nicht dazu da, uns den Weg zum Glück zu weisen. Das ergibt nur eine billige Lohnethik. Sondern sie ist dazu da, uns zu guten Menschen zu machen, und in diesem Sinne ist sie Selbstzweck. Deshalb gibt es tatsächlich Philosophen, die meinen, nur der Atheist könne wahrhaft moralisch sein. Christen handelten immer nur um des himmlischen Lohnes willen, der Atheist aber selbstlos um des Guten willen.

Angesichts solcher Vorwürfe sollten wir uns als Christen vor billigen Ausflüchten hüten, indem wir z.B. dem Atheisten die aufrichtige Gesinnung absprechen und kontern, auch er handle - entgegen seiner Beteuerung - stets um des Vorteils willen, nur sei es eben ein irdischer Vorteil, kein himmlischer. Erstens können wir nie wissen, wie aufrichtig oder unaufrichtig der je einzelne Mensch es meint. Und zweitens würde die Unaufrichtigkeit des Atheisten seine Idee des selbstlosen Handelns nicht ungültig machen. Selbst wenn völlige Selbstlosigkeit in der Praxis nahezu unmöglich wäre, würde dies die Idee des selbstlosen Tuns des Guten um des Guten willen nicht weniger schön und erstrebenswert machen. “Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!” Man kann sich über dieses Wort Goethes lustig machen, wie ich es bei einem katholischen Philosophen erlebt habe. Aber damit schneidet sich der Christ ins eigene Fleisch. Denn wenn er die Moral für wertlos und verächtlich hält, sobald von ihrem instrumentellen Wert als Glücksbringer abstrahiert wird, dann desavouiert er genau das, was die Mitte christlicher Moral ausmacht: die Idee selbstloser Liebe. Dann ist übrigens auch der liebe Gott ziemlich “dumm”, wenn er gut handelt, denn er ist so unendlich glücklich, dass ihm seine Güte gegen uns gar nichts bringt.

Mit dem Begriff der Liebe haben wir nun aber die entscheidende Antwort auf den atheistischen Einwand gefunden. Die Liebe, nicht das Glück, ist das Motiv unseres moralischen Handelns. Dass die Moral uns nicht vom Glück trennt, ist bloß eine Voraussetzung, ihr zu folgen, nicht aber das Motiv. Das Motiv ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Wir lieben Gott nicht bloß um unseres Vorteils willen, sondern weil er in sich selber liebenswürdig ist. “Seid heilig, weil auch ich heilig bin”, heißt es deshalb sowohl im Alten wie im Neuen Testament (Lev 11,45; 1. Pet 1,16). Den Nächsten lieben wir, weil er nach Gottes Ebenbild erschaffen ist und deshalb eine Würde besitzt, die um ihrer selbst willen zu achten ist. Der Nächste ist aufgrund seiner Würde Selbstzweck und nicht bloß Mittel zu unserem Glück. Auch der Atheist erkennt diese Würde, so dass ihm sein Gewissen befiehlt, diese Würde zu achten. Der Unterschied zum Christen besteht lediglich darin, dass er diese Würde nicht begründen kann und deshalb mehr als der Christ der Versuchung ausgesetzt ist, sie zu leugnen und dem Gewissen seine Autorität und Verbindlichkeit abzusprechen.

Dass die Moral ein Wegweiser zum Glück ist, verdunkelt also nicht ihr Wesen, sondern entzieht nur einem möglichen Einspruch gegen sie die Grundlage, nämlich dem Vorwurf der Menschenfeindlichkeit. Eine Moral, die das Glück verhindert, wäre dem Menschen schädlich. Wie oft hören wir heute von modernen und postmodernen Denkern, dass sie gegen eine Moral protestieren, die dem Menschen schädlich sei, ihn einenge, ihn an der Selbstverwirklichung hindere! Die Moral habe dem Menschen zu dienen, nicht der Mensch der Moral. Tatsächlich: Eine Moral, die - aufs Ganze gesehen - dem Menschen schaden würde, wäre ein Widerspruch in sich.

Der atheistische Einspruch entfaltet also eine Dialektik, die der Moral keine Chance lässt und gerade deshalb die eigene Fragwürdigkeit offenbart: Macht die Moral uns glücklich, wird sie als billige Lohnethik abqualifiziert; macht sie uns nicht glücklich, wird sie als menschenfeindlich abgelehnt.

Das christliche Moralverständnis überwindet diese Dialektik. Die Auffassung von den Geboten als Wegweisern zum Glück begründet nicht eine Lohnethik, sondern macht der Moral nur den Weg frei, ihre Verbindlichkeit zu entfalten. Dass Gott kein Glücksverhinderer ist, sondern es gut mit uns meint, ist die erste Voraussetzung dafür, dass wir ihn überhaupt lieben können. Aber die Liebe selber geht über dieses Nutzendenken hinaus und findet ihr eigentliches Motiv in der Güte, Vollkommenheit und Liebenswürdigkeit Gottes an sich.

Selbst Immanuel Kant, der schärfste Kritiker einer Lohnethik, hat gesehen, dass der Mensch notwendigerweise nach Glück strebt und deshalb in praktischer Hinsicht einen Gott annehmen muss, der das Glück des Menschen zu seiner Tugend ins rechte Verhältnis setzt.

Um das noch besser zu verstehen, müssen wir uns die Frage stellen, auf welche Weise denn die Moral ein Mittel zum Glück ist. Sie ist es nicht auf technische Weise. In diesem Punkt lässt uns der Vergleich mit dem Wegweiser im Stich. Der Sinn des entsprechenden Verkehrsschildes geht völlig in seiner Wegweiserfunktion auf. Hat es seine Funktion erfüllt, ist es überflüssig. Die Eigenart der Mittlerfunktion der Moral besteht darin, dass sie uns heilig und damit des Glücks würdig macht. Diese Heiligkeit und Glückswürdigkeit ist nicht nur ein zeitlich befristetes Mittel zum Zweck, sondern trägt ihren Sinn und Wert in sich selbst und bleibt deshalb als notwendiges Fundament unseres Glücks auch dann bestehen, wenn dieses erreicht ist. Ihm gegenüber ist das Glück bloß eine zusätzliche Dreingabe, ganz im Sinne des Wortes des Herrn: “Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles andere wird euch dazugegeben werden” (Mt 6,33).

Wir sollen nach Heiligkeit streben aus Liebe. Wir sollen Gott lieben um seiner selbst willen und den Nächsten um Gottes willen, d.h. weil er Abbild Gottes und Gegenstand Seiner Liebe ist. All das trägt seinen Sinn und Wert in sich. Wenn ich dem Nächsten helfe, tue ich es aus Liebe, und durch eben diese Liebe werde ich des himmlischen Lohnes würdig, egal, ob ich an den Lohn denke oder nicht. Das Geheimnis des Glücks besteht also darin, das Streben nach Glück zugunsten einer wertvolleren Tätigkeit aufzugeben. Ich werde erst glücklich, wenn es mir wichtiger ist, ein guter Mensch zu sein als ein glücklicher. Oder wie Jeremias Gotthelf es ausgedrückt hat: “Eben das ist das Unglück, dass die Leute durch das Glück glücklich werden wollen und nicht durch ein Leben, bei dem der Segen Gottes ist.”

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