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Wiederverzauberung der Natur?

Wie Benedikt Vernunfttheologen provoziert

Von P. Engelbert Recktenwald

“Himmel und Erde sind voll von deiner Herrlichkeit”, so beten wir in der hl. Messe. Dieses Gebet ist mehr als ein frommer Jubel. Es drückt eine tiefe Wahrheit aus. Mit Himmel und Erde ist die gesamte Wirklichkeit gemeint, die uns umgibt. “Herrlichkeit” ist ein Ausdruck für den Wertreichtum, von dem sie überströmt.

Doch im Zeitalter der Wissenschaft ist diese Wirklichkeit entwertet. Max Weber sprach von der Entzauberung der Welt. Was übrigbleibt, sind nackte, neutrale Tatsachen: ein Sein, das kein Sollen mehr enthält. Alle Herrlichkeit liege nur im Auge des Betrachters, ist die seitdem geläufige Ansicht. “Werte existieren nicht in der Welt, sondern nur in unseren Köpfen”, bringt es Julian Nida-Rümelin auf den Punkt, um diese Position kritisch zu beschreiben.

Diese Entzauberung ist das Ergebnis jener Art von Wissenschaft, für die Francis Bacon (1561-1626) Pate steht: Es geht nicht darum, ehrfürchtig und staunend den Reichtum der Natur wahrzunehmen, sondern sie durch Experimente auf die Folter zu spannen, damit sie ihre Geheimnisse preisgibt und beherrschbar wird. Naturerkenntnis wird beschränkt auf Beobachtung, Beschreibung, Messung von Tatsachen. Auguste Comte (1798–1857) gab dieser Denkrichtung den Namen Positivismus. Erkenntnis ist kein Selbstzweck, sondern dient der Daseinsbewältigung des Menschen. Bei Richard Rorty kann man beobachten, wie dieser Pragmatismus im Endeffekt den Erkenntnisbegriff selber zerstört: Wissenschaft spiegelt demnach nicht die Natur, sondern ist nur noch ein Werkzeug, mit ihr fertig zu werden (Der Spiegel der Natur).

Das Tragische ist, dass auch katholische Theologen sich dieser Entwertung angeschlossen haben, wie aus dem Sammelband Verfassung ohne Grund? Die Rede des Papstes im Bundestag hervorgeht. Christoph Hübenthal wirft Papst Benedikt eine “Wiederverzauberung der Natur” vor, weil dieser in seiner Naturrechtsrede vor dem Bundestag dazu aufgefordert hatte, auf die “Sprache der Natur” zu hören, jener Natur, die es “in ihrer wahren Tiefe, in ihrem Anspruch und mit ihrer Weisung” wiederzuentdecken gilt. Das lehnt Hübenthal ab. Der Natur seien “keine ontologisch fragwürdigen Werte” eingeschrieben, “sondern moralische Werte verdanken sich notwendigen Bewertungen, die kein Handelnder ohne Selbstwiderspruch bestreiten kann.” Das ist unsauber argumentiert. Erstens gibt es noch andere als moralische Werte. Die außermenschliche Natur kann zwar nicht moralisch sein, aber das bedeutet nicht, dass sie jeder Werthaftigkeit entbehrt. Zweitens verdanken sich moralische Werte in keiner Weise unserer Bewertung, sondern umgekehrt: Die Legitimität unserer Bewertung verdankt sich dem Wert. Dieser ist das Maß unseres Wertens. Drittens wird durch die Charakterisierung des Bewertungsaktes als notwendig die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Eine zutreffende Bewertung impliziert immer die gebührende Anerkennung des moralischen Wertes. Eine solche Anerkennung aber ist selber ein moralischer Akt und als solcher immer frei. Er ergibt sich niemals bloß als notwendige logische Folgerung aus irgendwelchen Prämissen, auch nicht bloß als Konsequenz des Versuchs, als Handelnder einen performativen Selbstwiderspruch zu vermeiden.

Hübenthal steht in der kantischen Tradition. Kant wollte die strenge Allgemeingültigkeit moralischer Urteile durch ihre Reinigung von jedem empirischen Element erreichen. Deshalb mussten sie a priori sein, und das einzige Apriori, das er anerkannte, war die Vernunft. So verwandelte er das Naturrecht in ein reines Vernunftrecht. Die Kantische Ethik hat mit der Naturrechtslehre, die Benedikt vertritt, die Ablehnung des Rechtspositivismus gemeinsam, der Recht und Gerechtigkeit, Gut und Böse zu wandelbaren Produkten der Gesetzgebung macht. Doch mit dem Rechtspositivismus hat sie gegen das Naturrecht die Entwertung der empirischen Wirklichkeit gemeinsam. Nach jener Papstrede boten katholische Gelehrte wie Hübenthal und Rudolf Langthaler der Öffentlichkeit das merkwürdige Schauspiel einer Kritik, der die Verteidigung eigener kantischer (transzendentalphilosophischer) Ideen gegen den Papst wichtiger war als dessen Unterstützung in dem ebenfalls kantischen Anliegen der Zurückweisung des Rechtspositivismus.

Inwiefern nun können wir von Werten in der Natur sprechen? Richard Egenter bringt zur Illustration das Beispiel eines Spaziergängers, der Blumen am Wege sieht und, ungerührt von ihrer Schönheit, den Spazierstock schwingt, um sie “in sausendem Hieb zu köpfen. Was ist geschehen? Eine Sünde? Kaum.” Und trotzdem ist sein Verhalten unangemessen. Er gibt dem Wert, der in der Schönheit der Pflanzen aufscheint, nicht die gebührende Antwort. Die Unempfindlichkeit gegenüber ästhetischen Werten der Natur ist noch keine moralische Schuld. Sie ist dennoch ein Mangel. Es gibt eine gestufte Normativität, die von den Werten ausgeht und die durch deren hierarchische Rangfolge bestimmt ist. Dietrich von Hildebrand spricht von der Beziehung des Gebührens. Jedem Wert gebührt eine Antwort. Gegenüber den moralischen Werten - und das sind immer Personwerte - nimmt diese Gebührensbeziehung den Charakter einer moralischen Norm an. Der moralische Wert steht an der Spitze der Werthierarchie. Aber das bedeutet nicht, dass die niederen Werte, etwa die ästhetischen und vitalen, normativ belanglos wären.

Die Verachtung der Schönheit einer Pflanze ist zwar ein Fehlverhalten, aber noch nicht moralisch verwerflich. Tierquälerei dagegen ist es, z.B. das mutwillige Verbrennen einer Katze. Kant und die katholische Morallehre haben gemeinsam, dass sie Tiere nicht als Rechtssubjekte ansehen. Folglich hat man ihnen gegenüber auch keine Pflichten. Kant löst das Problem durch die Annahme, dass der Mensch in Ansehung der Lebewesen Pflichten gegen sich selbst habe: Grausamkeit gegenüber Tieren stumpfe das Mitgefühl mit ihren Leiden ab. Solches Mitgefühl aber sei eine natürliche Anlage, die der zwischenmenschlichen Moralität dienlich sei (MST § 17). Ähnlich argumentiert der Katechismus der Kath. Kirche: “Es widerspricht der Würde des Menschen, Tiere nutzlos leiden zu lassen und zu töten” (nr 2418).

Dieses Argument aus dem bloß instrumentellen Wert eines angemessenen Naturumgangs für die zwischenmenschliche Moralität würde bei einem Robinson Crusoe ins Leere laufen. Wäre die sichere Aussicht auf die soziale Folgenlosigkeit tatsächlich ein moralischer Freibrief für Tierquälerei? Und warum ist ein unangemessener Umgang mit der Natur überhaupt möglich? Ist die Unangemessenheit der Tierquälerei die Ursache oder die Folge der Abstumpfung unserer moralischen Disposition? Die Frage stellen, heißt sie beantworten: Tierquälerei ist nicht unangemessen, weil sie diese Folge hat, sondern umgekehrt: Sie hat diese Folge, weil sie unangemessen ist. Warum sollte ein an und für sich angemessenes Verhalten gegenüber der Natur schädliche Folgen für unser moralisches Empfinden haben? Warum sollte es unserer Würde widersprechen?

Die Unangemessenheit hat ihren Grund woanders, nämlich in der ehrfurchtslosen Missachtung der Eigenwerte der Natur. Albert Schweitzer sprach von der Ehrfurcht, die wir dem Leben schulden. Romano Guardini charakterisiert den Menschen des technischen Zeitalters, der auf Naturbeherrschung aus ist, als denjenigen, der die Ehrfurcht vor der Natur verloren habe. “Dieser Mensch empfindet die Natur weder als gültige Norm, noch als lebendige Bergung” (Das Ende der Neuzeit). In Laudato si greift Papst Franziskus dieses Wort auf, um den modernen Anthropozentrismus zu kennzeichnen, der die technische Vernunft über die Wirklichkeit stelle.

Tatsächlich ist es die technische Vernunft, die die Natur ihrer Eigenwerte beraubt, um durch keine Skrupel an ihrer Ausbeutung gehindert zu sein. Die ökologische Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht einher mit einer philosophischen Rückbesinnung auf jene Eigenwerte. Die Vorreiter dieser Rückbesinnung kamen aus den verschiedensten Richtungen. In Frankreich forderte 1968 Bertrand de Jouvenel vom Menschen die Besinnung auf seine Berufung, Gärtner der Erde zu sein, nicht ihr Verwüster (in Arcadie). Der Gärtner respektiert die Güter der Erde, geht behutsam mit ihnen um, hat ein Auge für ihre Schönheit. Das gereicht auch ihm selbst zum Vorteil. Der Marxist Herbert Marcuse brachte 1972 in Counterrevolution and Revolt diese Verschränkung von Eigenwert und Nutzwert der Natur auf den Punkt, wenn er die Verfügbarkeit der Natur für den Menschen unter den Vorbehalt ihrer gleichzeitigen Selbstzwecklichkeit stellte (“Is nature only a productive force - or does it also exist «for its own sake» and, in this mode of existence, for man?"). Er schrieb ihr normative Qualitäten zu, die es im Falle ihrer Missachtung erlauben, von Verletzung und Unterdrückung der Natur zu sprechen. Wichtiger noch wurden für jene Rückbesinnung Hans Jonas und Robert Spaemann. Dieser forderte 1979 eine Überwindung der anthropozentrischen Perspektive, die die Natur nur funktional auf die menschlichen Bedürfnisse hin interpretiert. Wenn er als Grundhaltung einer nichtfunktionalen Ethik die Ehrfurcht anmahnt, steht er in einer alten Tradition, die zu ihren prominenten Vertretern Goethe und Max Scheler zählen darf. Sie konvergiert mit der christlichen Lehre von der Gutheit der Schöpfung, aufgrund deren der KKK “Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der Schöpfung” (2415) verlangt.

Während Benedikt in seiner Rede jede Kritik an der Aufklärung unterließ, ist es eine moderne Philosophin wie Ursula Wolf, die im Vernunftmonismus der Aufklärung ein Hindernis für eine ökologische Ethik sieht (Brauchen wir eine ökologische Ethik?). Die Vernunft sei in der Aufklärung “zum höchsten Ideal oder Wert” geworden, an den man glaubt. Dadurch seien andere Wertkonzeptionen aufgelöst und der Gedanke von Verpflichtungen gegenüber Tieren unmöglich gemacht worden. Das Selbstverständnis der Aufklärung sei nicht weniger einseitig und unbegründet wie jedes andere.

Hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Benedikt dagegen erkaufte in seiner Rede die Anerkennung der Eigenwerte der Natur nicht mit einer Abwertung der Vernunft, sondern mit deren Ausweitung: Natur ist nicht einfachhin das Andere der Vernunft, das Irrationale, sondern Offenbarung einer “objektiven Vernunft”, die in der schöpferischen Vernunft Gottes gründet. Die Wertrationalität mindert nicht die Zweckrationalität, sondern vollendet sie.

Mit seiner Naturrechtslehre unter dem Primat der Vernunft erweist sich Benedikt als ganz auf der Höhe der Zeit stehend, ohne hinter das bleibende Erbe der Aufklärung zurückzufallen. Um so unfairer ist die Kritik eines Langthaler, der ihm unter völliger Verzeichnung der philosophiegeschichtlichen Situation eine “rückwärtsgewandte Denkart” unterstellt.

“Himmel und Erde sind voll von deiner Herrlichkeit.” Diese Wahrheit ist auch philosophisch von höchster Relevanz. Der Positivismus verschließt das Auge vor dieser Herrlichkeit, die Wertethik schärft es für sie. Der Wertreichtum der Natur weist über sich selbst hinaus. Durch die Offenbarung hat der Christ einen Informationsvorsprung, der ihn diesen Wertreichtum als Abglanz göttlicher Herrlichkeit erkennen lässt. Es ist Seine Herrlichkeit, von der Himmel und Erde erfüllt sind. Und gleichzeitig weiß der Christ, dass diese Herrlichkeit ein Weg zur Gotteserkenntnis sein kann, wenn es in Weish. 13, 5 heißt, dass “aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe durch Vergleichung deren Schöpfer erschaut” wird. Jenen, die für diesen Weg offen sind, kann die Rede Benedikts hilfreich sein. Es ist tragisch, dass ihm Theologen dabei in den Rücken fallen.

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Recktenwald: Der Kampf um das Naturrecht

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