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Symbolik

oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren Bekenntnisschriften (Fortsetzung)

Von Johann Adam Möhler

(Zu Seite 1)
(Zu Seite 2)

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Drittes Kapitel
Gegensätze in der Lehre von der Rechtfertigung

§ 10
Allgemeine Darstellung der Weise, in welcher der Mensch nach den verschiedenen Konfessionen gerechtfertigt wird

Die Verschiedenheit der Auffassung des Falles der Menschheit ist begreiflich von dem entscheidendsten Einfluß auf die Lehre von der Erhebung aus dem Falle. Die Behandlung dieser Lehre aber wird für uns um so wichtiger, und nimmt alle Aufmerksamkeit um so mehr in Anspruch, als die Reformatoren gerade in der vermeintlichen Verbesserung der katholischen Betrachtungsweise von der Rechtfertigung des Menschen ihr Hauptverdienst suchten, was besonders die Schmalkaldischen Artikel hervorheben. Sie nennen diesen Gegenstand nicht nur den ersten und wichtigsten, sondern auch denjenigen, ohne dessen Bestand die Widersager des Protestantismus vollkommen Recht hätten, und siegreich aus dem Streite hervorgingen (Pars II. §. 3. cf. Solid. Declar. III. p. 653). Übereinstimmend hiermit sagt Luther in seinen Tischreden ganz kurz und bündig: “fällt aber die Lehre, so ist es mit uns gar aus.” Wir werden zuerst die verschiedenen Darstellungen, welche die entgegengesetzten Konfessionen von dem Prozesse der Wiedergeburt geben, ganz allgemein vorlegen, und hierauf in die Einzelheiten mit der möglichsten Genauigkeit eingehen.

Nach dem Concilium von Trient verhält es sich also: Der von Gott entfernte Sünder wird, ohne irgend ein Verdienst aufweisen, d. h. ohne irgend einen Anspruch auf Begnadigung, auf verzeihende Barmherzigkeit machen zu können, zum göttlichen Reiche zurückgerufen [107]. Der göttliche, an ihn um Christi willen ergehende Ruf spricht sich nicht bloß durch die äußere Einladung mittels der Verkündigung des Evangeliums aus, sondern zugleich durch eine innere Tätigkeit des heiligen Geistes, der die schlummernden Kräfte des mehr oder weniger in sittlichen Todesschlaf verfallenen Menschen erweckt, und denselben antreibt, sich mit der Kraft von oben zu verbinden, um eine entgegengesetzte Lebensrichtung zu gewinnen und die Gemeinschaft mit Gott zu erneuern, (zuvorkommende Gnade). Hört der Sünder auf den an ihn ergangenen Ruf, so ist der Glaube an Gottes Wort die erste Folge der in genannter Weise zusammen wirkenden göttlichen und menschlichen Tätigkeit. Der Sünder vernimmt das Dasein einer höheren Weltordnung, und mit voller, früher nie geahnter Gewissheit ist er von derselben überzeugt. Die höheren Wahrheiten und Verheißungen, die er vernimmt, insbesondere die Kunde, Gott habe so sehr die Welt geliebt, dass er seinen Eingebornen für sie dahin gab, und allen Vergebung der Sünde um der Verdienste Christi willen anbiete, erschüttern den Sünder.

[107] Concil. Trident. Sess. VI. c. 5. Declarat praeterea, ipsius justificationis exordium in adultis a Dei per Christum Jesum praeveniente gratia sumendum esse, hoc est, ab ejus vocatione, qua, nullis eorum existentibus meritis, vocantur; ut, qui per peccata a Deo aversi erant, per ejus excitantem atque adjuvantem gratiam ad convertendum se ad suam ipsorum justificationem, eidem gratiae libere assentiendo et cooperando disponantur; ita ut tangente Deo cor hominis per spiritus sancti illuminationem, neque homo ipse omnino nihil agat, inspirationem illam recipiens, quippe qui illam et abjicere potest, neque sine gratia Dei movere se ad justitiam coram illo libera sua voluntate possit. Unde in sacris litteris, cum dicitur: convertimini ad me, et ego convertar ad vos, libertatis nostrae admonemur. Cum respondemus: Converte nos domine ad te, et convertemur, Dei nos gratia praeveniri confitemur.

Indem er, was er ist, mit dem vergleicht, was er nach dem geoffenbarten Willen Gottes sein soll; indem er erfährt, so groß sei die Sünde und das Verderben der Welt, daß es nur durch die Dazwischenkunft des Sohnes Gottes getilgt werden könne, gelangt er zur wahren Selbstkenntnis, und wird zugleich mit Furcht vor der Strafgerechtigkeit Gottes erfüllt. Er wendet sich nun an die göttliche Barmherzigkeit in Christo Jesu, und faßt die vertrauensvolle Hoffnung, daß auch ihm um der Verdienste des Erlösers willen Gottes Huld und Vergebung der Sünde zuteil werden möge. Aus demselben Blicke auf die unendliche Menschenfreundlichkeit Gottes entzündet sich in der Brust des Menschen ein Funke göttlicher Liebe, der Haß und der Abscheu gegen die Sünde erwachen, und der Mensch tut Buße [108]. So wird durch die ineinanderwirkende Tätigkeit des heiligen Geistes und des mit Freiheit sich ergebenden Menschen die eigentliche Rechtfertigung eingeleitet. Bleibt nämlich dieser dem begonnenen heiligen Werke treu, so teilt sich nun der göttliche Geist, heiligend und sündenvergebend zugleich in seiner Fülle mit, und gießt die Liebe Gottes in das Herz des Menschen aus, so daß dieser von der Sünde in ihrer tiefsten Wurzel befreit und innerlich erneuert wird, ein neues, gottgefälliges Leben lebt, d. h. vor Gott wirklich gerecht ist, wahrhaft gute Werke, als Früchte des erneuerten Geistes, der geheiligten Gesinnung wirkt, von Gerechtigkeit zu Gerechtigkeit fortschreitet, und infolge seiner jetzigen durch die Verdienste Christi und dessen Geist erworbenen religiös-sittlichen Beschaffenheit der himmlischen Seligkeit teilhaftig wird [109]. Jedoch erfreut sich auch der Gerechte ohne besondere Offenbarung der schlechterdings untrüglichen Gewißheit nicht, daß er unter die Auserwählten gehöre.

[108] L. c. c. 6. Disponuntur ad ipsam justitiam, dum excitati divina gratia et adjuti, fidem. ex auditu concipientes, libere moventur in Deum, credentes vera esse, quae divinitus revelata et promissa sunt, atque illud imprimis, a Deo justificati impium per gratiam ejus, per redemptionem, quae est in Christo Jesu, et dum peccatores se intelligentes, a divinae justitiae timore, quo utiliter concutiuntur, ad considerandum Dei misericordiam se convertendo in spem eriguntur, fidentes Deum sibi propter Christum propitium fore, illumque, tanquam omnis justitiae fontem, diligere incipiunt, ac propterea mo ventur adversus peccata per odium aliquod er detestationem etc.

[109] L. c. c. 7. Hanc dispositionem, seu praeparationem justificatio ipsa consequitur, quae non est sola peccatorum remissio, sed et sanctificatio et renovatio interioris hominis per voluntariam susceptionem gratiae et donorum, unde homo ex injusto fit justus, et ex inimico amicus, ut sit haeres secundum spem vitae internae ... Ejusdem sanctissimae passionis merito per spiritum sanctum caritas Dei diffunditur in cordibus eorum, qui justificantur etc.

Die lutherische Betrachtungsweise hingegen ist diese: Wenn der Sünder durch die Predigt des Gesetzes, dessen Nichterfüllung sich ein jeder bewußt ist, eingeschüchtert und der Verzweiflung nahe gebracht ist, wird ihm das Evangelium verkündet, und in demselben der Trost, daß Christus das Lamm Gottes sei, das die Sünden der Welt trägt. Mit einem von Schrecken und Furcht erfüllten Herzen ergreift er die Verdienste des Erlösers durch den Glauben, der allein gerecht macht. Gott erklärt den Gläubigen um der Verdienste Christi willen für gerecht, ohne daß er es in der Tat ist; obschon freigesprochen von der Schuld und Strafe, wird er doch von der Sünde (Erbsünde) nicht befreit; die angeborene Sündhaftigkeit bleibt vielmehr auch im Gerechten, obwohl nicht mehr in ihrer alten Kraft. Ist es nämlich dem Glauben vorbehalten, allein vor Gott gerecht zu machen, so ist er doch nicht allein; vielmehr schließt sich an die Rechtfertigung die Heiligung an, und der Glaube offenbart sich in guten Werken, die seine Früchte sind. Die Rechtfertigung vor Gott und die Heiligung dürfen jedoch, ungeachtet ihrer engen Verbindung, durchaus nicht als ein und dasselbe betrachtet werden, weil dies die Gewißheit der Sündenvergebung und Seligkeit, eine Gewißheit, die eine wesentliche Eigenschaft des christlichen Glaubens ist, unmöglich machte. Das ganze Werk der Wiedergeburt ist endlich Gottes Tat allein, und der Mensch verhält sich schlechthin leidend dabei. Gottes Tat geht nicht nur dem Tun des Menschen voran, als müßte oder könnte dieser nachkommen, als wirkte dieser mit jenem und sonach beide zusammen; der heilige Geist ist vielmehr ausschließend tätig, auf daß Gott allein der Ruhm zukomme, und jede Anmaßung menschlichen Verdienstes unmöglich werde [110].

[110] Solid. Declar. V. de lege et Evangel. § 6. p. 678. Peccatorum agnitio ex lege est. Ad salutarem vero conversionem illa poenitentia, quae tantum contritionem habet, non sufficit; sed necesse est, ut fides in Christum accedat, cujus meritum, per dulcissimam et consolationis plenam Evangelii doctrinam, omnibus resipiscentibus peccatoribus offertur: qui per concionem legis perterriti et prostrati sunt. Evangelion enim remissionem peccatorum non securis mentibus, sed perturbatis et vere poenitentibus annuntiat. Et ne contritio et terrores legis in desperationem vertantur, opus est praedicatione Evangelii: ut sit poenitentia ad salutem, Apolog. IV. § 45. p. 87. Fides illa, de qua loquimur, existit in poenitentia, hoc est, concipitur in terroribus conscientiae, quae sentit iram Dei adversus nostra peccata et quaerit remissionem peccatorum et liberari a peccato. Aplog. IV. de justif. § 26. p. 76. Igitur sola fide justificamur, intelligendo justificationem, ex injusto justum effici, seu regenerari. §. 19. p. 72. Nec possunt acquiescere perterrefacta corda, si sentire debent se propter opera propria, aut propriam dilectionem, aut legis impletionem placere, quia haeret in carne peccatum, quod semper accusat nos. § 25. p. 75. Dilectio etiam et opera sequi fidem debent, quare non sic excluduntur, ne sequantur, sed fiducia meriti dilectionis aut operum in justificatione excluditur.

Die Reformierten stimmen im Grunde den Lutheranern bei, jedoch finden einige Verschiedenheiten statt. Calvin tadelt es, wenn die wittenbergischen Reformatoren dem Gesetze allein die Bestimmung zuweisen, das Gefühl der Sünde und das Bewußtsein der Schuld zu erregen; er meint vielmehr, daß dem Evangelium gleich anfangs seine Stelle gebühre, und mittels der Entwicklung der göttlichen Barmherzigkeit in Christo Jesu der Sünder auf seinen verworfenen Zustand müsse aufmerksam gemacht werden, so daß dem Glauben die Reue folge [111].

Daß die harte Bemerkung Calvins zu der Stelle, worin er das eben bezeichnete Verhältnis zwischen der Reue und dem Glauben ausspricht, die Bemerkung nämlich, daß diejenigen gar nichts von dem Wesen des Glaubens verstünden, die das Verhältnis anders auffaßten als er, nicht so ganz und gar ungegründet sei, und auf keiner leeren Streitsucht beruhe, wird sich weiter unten sehr klar ergeben, wo gezeigt werden wird, daß dem Calvin die Reue etwas ganz anderes ist, als im lutherischen Systeme der Schrecken über die Sünde, und nach jenem nicht minder die Rechtfertigung und Heiligung in einer lebendigen Verbindung erscheinen.

[111] Calvin. Institut. 1. III. c. 3. § 1. fol. 209. Proximus autem a fide ad poenitentiam nobis erit transitus; quia hoc capite bene cognito, melius patebit, quomodo sola fide et mera venia justificetur homo, ne tamen a justitiae imputatione separetur realis (ut ita loquar) vitae sanctitas, poenitentiam vero non modo fidem continuo subsequi, sed ex ea nasci, extra controversiam esse debet. - Quibus videtur, fidem potins praecedere poenitentiae, quam ab ipsa manare vel proferri, tanquam fructus ab arbore, nunquam ejus vis fuit cognita et nimium levi argumento ad id sentiendum moventur.

Bedeutender ist indes die Abweichung der Reformierten von den lutherischen Symbolen, daß jene behaupten, nur in den von Ewigkeit her Auserwählten wirke Gott, um sie zu rechtfertigen und zur Wiedergeburt zu führen; diese hingegen mit den Katholiken die unbedingte Prädestination verwerfen. Endlich dringen die Reformierten mit noch größerer Heftigkeit auf die Gewißheit, die der Gläubige von seiner künftigen Seligkeit haben müsse.

Hiernach ergibt sich, daß 1) die Unterscheidungslehren in Betreff der Verhältnisse der Tätigkeit Gottes und des Menschen in dem Geschäfte der Wiedergeburt, und hiermit 2) zugleich die Lehre von der Prädestination; 3) die Gegensätze in dem Begriffe von der Rechtfertigung ; 4) von dem Glauben und 5) den Werken, 6) von der Gewißheit der Seligwerdung behandelt werden müssen. Sind alle diese Punkte vorerst einzeln durchgeführt, so werden sich zusammenfassende Betrachtungen über das Wesen und die tiefere Bedeutung des durch die verschiedene Auffassung der Lehre von der Rechtfertigung gebildeten Gegensatzes der Konfessionen leicht verständlich und vielfach unterrichtend von selbst anschließen. Alsdann wird sich auch für denjenigen, der nach der vorgelegten allgemeinen Übersicht keine so bedeutenden praktischen und theoretischen Differenzen vermutete, daß durch dieselben eine Kirchentrennung gerechtfertigt werden konnte, klar herausstellen, daß die katholische Kirche gegen die neue Ansicht ihre uralte Lehre unmöglich austauschen, ja beide nicht einmal in sich nebeneinander dulden durfte. Die genaue Erörterung der Einzelheiten wird die Gegensätze, die in allgemeiner Darstellung sich leicht verwischen, erst recht anschaulich machen, worauf sodann die angekündigten Betrachtungen das schlechthin Unverträgliche beider Gegensätze in einem und demselben dartun, und auf die höchst wichtigen Interessen, welche die Katholiken in Festhaltung des Ihrigen vertraten, vollständig aufmerksam machen werden.

§ 11
Von dem Verhältnisse der Tätigkeit Gottes zu der des Menschen bei der Wiedergeburt nach dem katholischen und lutherischen Systeme

Nach den katholischen Grundsätzen treffen im heiligen Werke der Wiedergeburt zwei Tätigkeiten zusammen, die göttliche und die menschliche und durchdringen sich, wenn dasselbe gelingt; so daß es ein gottmenschliches Werk ist. Gottes heilige Kraft geht erregend, erweckend und belebend voran, ohne daß jedoch der Mensch dieselbe verdienen, oder herbeirufen, oder ersehnen könnte; aber der Mensch muß sich aufregen lassen und mit Freiheit folgen [112]. Gott bietet seine Hilfe an, um vom Falle zu erheben, aber der Sünder muß einwilligen und dieselbe in sich aufnehmen; sie aufnehmend, wird er vom göttlichen Geiste aufgenommen und allmählich, wenn auch in diesem Leben niemals vollkommen, durch treues Mitwirken zu jener Höhe wieder emporgebracht, von der er herabgestürzt ist. Gottes Geist wirkt nicht absolut nötigend, obschon er dringend tätig ist; seine Allmacht setzt sich an der menschlichen Freiheit selbst eine Schranke, die sie nicht durchbrechen will, weil ein unbedingtes Eindringen in dieselbe eine Vernichtung der moralischen Weltordnung herbeiführte, welche die ewige Weisheit auf die Freiheit gegründet hat.

[112] Concil, Trident. Sess. VI. c. V .... ut, qui per peccata a Deo aversi erant, per ejus excitantem atque adjuvantem gratiam ad convertendum se ad suam ipsorum justificationem eidem gratiae libere assentiendo et cooperando disponantur, ita ut, tangente Deo cor hominis per spiritus sancti illuminationem, neque homo ipse omnino nihil agat, inspirationem illam recipiens, quippe qui illam et abjicere potest, neque tamen sine gratia Dei movere se ad justitiam coram illo libera sua voluntate possit. Unde in sacris literis cum dicitur: convertimini ad me, et ego convertar ad vos; libertatis nostrae admonemur. Cum respondemus: converte nos domine ad te, et convertemur: Dei nos gratia praeveniri confitemur. Can. IV. Si quis dixerit, liberum arbitrium a Deo motum et excitatum nihil cooperari assentiendo Deo excitanti atque vocanti, quo ad obtinendam justificationis gratiam se disponat, ac praeparet, neque posse dissentire, si velit, sed velut inanime quoddam nihil omnino agere, mereque passive se habere, anathema sit.

Mit Recht und ganz ihrem tiefsten Wesen gemäß hat demnach auch die katholische Kirche den Jansenistisch-Quesnelschen Satz verworfen, daß der Allmacht Gottes die menschliche Freiheit weichen müsse [113]; ein Satz, der unmittelbar die Lehre von einer ganz unbedingten Vorherbestimmung Gottes zur Folge hat, und von jenen, die nicht zur Wiedergeburt gelangen, aussagt, daß sie sich nicht selbst verworfen haben, sondern von Gott schlechthin verworfen würden, da die Berührung derselben durch Gottes Geist auch ihre Freiheit zum Glauben und zum heiligen Gehorsam würde bestimmt haben.

Es ist unschwer einzusehen, daß diese vorgelegte Lehre der katholischen Kirche durch ihre Betrachtungsweise der Erbsünde bedingt sei; denn hätte sie eine völlige Vertilgung aller guten Keime und eine Vernichtung der Freiheit des Menschen durch den Fall behauptet, so könnte sie auch von keiner Mitwirkung desselben, von keinen Kräften in ihm, die angeregt, neubelebt und unterstützt werden sollten, sprechen. Der Mensch, der alle Verwandtschaft und alles Ebenbildliche mit Gott verloren hätte, wäre nicht einmal mehr fähig, Gottes Einwirkung zur Vollziehung einer Wiedergeburt aufzunehmen, da die göttliche Tätigkeit keinen Anklang mehr finden würde, so wenig, als in einem vernunftlosen Tiere.

[113] Constit. Innocent. Pap. X. ap. Hard. Concil. Tom. XI. fol.143. verwirft den Satz n. 2. Interiori gratiae in statu naturae lapsae nunquam resistitur, und die Constit. Unigenitus (Hard. 1. c. fol. 1634.) n. XIII. Quando Deus vult animam salvam facere, et eam tangit interiori gratiae suae manu, nulla voluntas humana ei resistit. n. XVI. Nullae sunt illecebrae, quae non cedant illecebris gratiae: quia nihil resistit omnipotenti. n. XIX. Dei gratia nihil aliud est, quam ejus omnipotens voluntas: haec est idea, quam Deus ipse nobis tradit in omnibus suis scripturis. n. XX. Vera gratiae idea est, quod Deus vult sibi a nobis obediri et obeditur; imperat et omnia fiunt, loquitur tanquam dominus, et omnia sibi submissa sunt.

Umgekehrt leuchtet nun auch aus der lutherischen Darstellung von der Erbsünde ein, daß die Lutheraner keine Mitwirkung des Menschen annehmen können, und zugleich, warum sie nicht können; deshalb nämlich nicht, weil nach ihnen das Erbübel in einer Vernichtung des Gottebenbildlichen im Menschen besteht, welches gerade das Vermögen ist, das mit Gott wirken kann. Demnach wird gelehrt, der Mensch verhalte sich ganz passiv, und Gott sei ausschließend tätig. Schon auf der berühmten Disputation zu Leipzig verteidigte Luther gegen Eck diese Lehre, und verglich den Menschen mit einer Säge, die sich in der Hand des Werkmeisters leidend müsse hin und her bewegen lassen. Späterhin gefiel er sich in den Vergleichungen des gefallenen Menschen mit einer Salzsäule, einem Klotze, einem Erdkloße, der auch nicht fällig sei mit Gott zu wirken [114]. Es läßt sich denken, daß eine solche Lehre nicht bloß für die Katholiken empörend sein mußte; selbst unter Luthers Anhängern, die ihm in unbesonnenem Aufruhr der Gefühle gefolgt waren, mußte sich allmählich der gesunde Christenverstand wieder zusammenraffen und einen Widerstand hervorrufen. In Melanchthons Schule entwickelten sich erleuchtetere Ansichten, und seine Jünger faßten nach Luthers Tod sogar den Mut, dieselben offen zu verteidigen. Pfeffinger [115] und nach ihm der schon genannte Victorin Strigel (Plank a.a. O. S. 584 u. ff) erhoben sich; allein ihre Kraft reichte nicht weiter, als einen Kampf zu veranlassen, in welchem sie erlagen: Luthers Geist siegte so vollkommen, daß seine Ansicht, ja seine Ausdrücke symbolisch wurden [116].

[114] Luther. in Genes. c. XIX. In spiritualibus et divinis rebus, quae ad animae salutem spectant, homo est instar statuae salis, in quam uxor patriarchae Loth est conversa, imo est similis trunco et lapidi, statuae vita carenti, quae neque oculorum, oris aut ullorum sensuum, cordisque usum habet.

[115] Pfeffinger propositiones de libero arbitrio. Lips. 1555. 4. Vergl. Plank a.a. O. IV. B. S. 567 u. ff.

[116] Solid. Declar. II. de liber. arbit. § 43. p. 644. Ad conversionem suam prorsus nihil conferre potest. § 20. p. 635. Praeterea sacrae literae hominis conversionem, fidem in Christum, regenerationem, renovationem ... soli divinae operationi et spiritui sancto adscribunt. Über die Vergleichung des Menschen mit einem Stein usw. § 16. p. 633. § 43. p. 644.

Ich erlaube mir aus Plank eine Stelle mitzuteilen, welche die unter den synergistischen Streitigkeiten zu Tage geförderte Ansicht Amsdorfs über die Wirkungsweise Gottes auf den Menschen enthält. Nikolaus von Amsdorf sagte: “durch sein Wollen und Sprechen wirkt und tut Gott alles mit allen Kreaturen. Wenn Gott will und spricht, so wird Stein und Holz getragen, gehauen und gelegt, wie, wann und wohin er will. Also, wenn Gott will und spricht, so wird der Mensch bekehrt, fromm und gerecht. Denn wie Stein und Holz in der Hand und Gewalt Gottes sind, so ist auf ganz gleiche Weise der Verstand und der Wille des Menschen in der Hand und Gewalt Gottes, so daß der Mensch schlechterdings nichts wollen und wählen kann, als was Gott will und spricht, entweder in Gnade oder im Zorn (Plank, Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unseres protestantischen Lehrbegriffs IV. B. S. 708). Wer wird hier nicht ganz von selbst auf den so sichtbar hervortretenden Einfluß aufmerksam, welchen Luthers Theorie von dem gegenseitigen Verhältnis, das zwischen dem göttlichen und menschlichen Tun an sich, also auch abgesehen vom Falle, stattfindet, in diesem Artikel ausübte? Gottes Zorn, meinte Niklas von Amsdorf, nötigt den einen zum Bösen, gleichwie ein anderer durch Gottes Gnade zum Guten schlechthin bestimmt wird. So sehr sieht sich der menschliche Geist gedrungen, das besondere Verhältnis, welches zwischen Gott und dem Menschen durch die Heilsanstalt in Christo Jesu geoffenbart wurde, auf ganz allgemeine Gesetze zurückzubringen.

Merkwürdig ist eine Wendung, die sich die Konkordienformel zu nehmen gezwungen sah, um die Menschen zur Anhörung der Predigt zu vermögen; eine Wendung, die allein ihre Verfasser hätte überzeugen sollen, wie ganz verkehrt die Lehre sei, welche sie verkünden. Da nämlich ihrer Ansicht zufolge der Mensch von seiner Seite zur Rechtfertigung gar nichts beitragen kann, nicht einmal das Vermögen mitbringt, Gottes Einwirkung aufzunehmen, und somit alle Anknüpfung mit Gott wegen des Verlustes jeglicher Spur gottverwandter Keime unmöglich geworden ist, welchen Tadel konnte man aussprechen und welche Vorwürfe erheben, wenn jemand in seiner Verstocktheit blieb, deren Entfernung von Gott allein abhing? Welche Rüge war noch möglich, wenn jemand die Heilige Schrift nicht lesen wollte, oder es hartnäckig verschmähte, den evangelischen Vortrag anzuhören, was von den Reformatoren als Bedingung, Gottes Geist zu empfangen, festgehalten wurde? Eine Predigt anzuhören, muß gewiß einem Menschen ohne alle geistliche Anlage und Empfänglichkeit als die wunderlichste Forderung erscheinen, so wunderlich, als wenn ihm zugemutet würde, sich zum Fliegen anzuschicken, ja noch seltsamer, weil er doch in diesem Falle den Sinn der Zumutung verstünde, während er in Ermangelung alles Organs für die Predigt nicht einmal ausfindig machen könnte, was man nur mit ihm vorhabe; er müßte vermuten, man halte ihn zum besten. Die Konkordienformel weiß nun nichts anderes zu sagen, als, der Mensch habe doch noch die Kraft, sich von einem Orte zum andern zu bewegen, er besitze doch noch äußere Ohren, wenn auch keine inneren, seine Füße und äußeren Ohren also sollte er nur in Bewegung setzen, und die Folgen sich beimessen, wenn er es unterlasse. So mußten die Füße an die Stelle des nach der katholischen Lehre noch vom Falle zurückgebliebenen Willens treten, die Ohren die Dienste der Vernunft leisten, und der Körper die Verantwortung des Geistes übernehmen [117].

[117] Solid. Declar. II. de libero arbitr. § 19. p. 636. läßt dem Mensehen noch die locomotivam potentiam seu externa membra regere. § 33. p. 640. Non ignoramus autem et Enthusiastas et Epicureos pia hac de impotentia et malitia naturalis liberi arbitrii doctrina, qua conversio et regeneratio nostra soli Deo, nequaquam autem nostris viribus tribuitur, impie, turpiter et maligne abuti. Et multi impiis illorum sermonibus offensi atque depravati, dissoluti et feri fiunt, atque omnia pietatis exercitia, orationem, sacram lectionem, pias meditationes, remisse tractant aut prorsus negligunt, ac dicunt: Quandoquidem propriis suis naturalibus viribus ad Deum sese convertere nequeant, perecturos se in illa sua adversus Deum contumacia: aut expectaturos, donec a Deo violenter, et contra suam ipsorum voluntatern convertantur etc. § 39. p. 642. Dei verbum homo etiam nondum ad Deum conversus, nec renatus, externis auribus audire aut legere potest. In ejusmodi enim externis rebus homo adhuc, etiam. post lapsum, aliquo modo liberum arbitrium habet, ut in ipsius potestate sit ad coetus publicos ecclesiasticos accedere, verbum Dei audire vel non audire.

Überhaupt wollte es den Reformatoren durchaus nicht gelingen, der aus dem Geiste des Menschen unvertilgbaren Idee der Zurechnung, worauf Kant sogar den seiner Ansicht nach einzig möglichen Beweis des Daseins Gottes gründete, in ihrem Systeme eine haltbare Stelle aufzufinden. Sie bemerkten zwar allerdings, wie wir eben gesehen haben, daß der Mensch doch die göttliche Tätigkeit auf ihn abweisen könne, wenn auch nicht mit ihr wirken; wodurch seine Schuld hinlänglich begründet werde. Allein diese Lösung der sich ihnen darbietenden Schwierigkeit ist deshalb ungenügend, weil ja ein jeder Mensch nur widerstehen kann, da alle in gleicher Weise der Freiheit und jeglicher Spur geistlicher Kräfte entbehren; die Erklärung der Erscheinung mithin, daß diese gerecht werden und jene in ihrer Verstockung verharren, kann nicht im Menschen gesucht werden, sondern lediglich in Gott, dem es gefällt, das bei allen gleiche Hindernis hier zu entfernen, dort aber bestehen zu lassen. Wenigstens ist schlechterdings nicht einzusehen, wie es Gott bei Einigen einen größeren Aufwand von Kraft kosten sollte, wenn er die abgegangenen geistlichen Vermögen wieder einfügt, als bei anderen; denn alle verhalten sich hierbei passiv. Mit andern Worten: die Lehre von dem Nichtmitwirken des Menschen ruht auf der ursprünglichen Theorie Luthers und Melanchthons von der absoluten Passivität des geschöpflichen Geistes dem Schöpfer gegenüber, findet nur in dieser Theorie ihre metaphysische Grundlage, und setzt somit die absolute Prädestination voraus, welche auch im Verlaufe der synergistischen Streitigkeiten von den konsequentesten lutherischen Theologen, Placius, Heßhuß und anderen angenommen wurde (Plank a. a. O. IV. S. 704 und 707), während die Konkordienformel einem besseren Gefühle die Harmonie des Systems zum Opfer brachte [118].

[118] Solid. Declar. p. 644. Etsi autem dominus hominem non cogit, ut convertatur: qui enim semper spiritui sancto resistunt ... ii non convertuntur: attamen trahit Deus horninem, quem. convertere decreverit.

Unterziehen wir uns nun aber der Aufgabe, näher zu bestimmen, was wohl der allein tätige Geist Gottes im Geschäft der Wiedergeburt vor allem werde zu leisten haben, so können wir nichts Näheres angeben, als daß er wohl zunächst die durch Adams Fall verlorengegangene religiös-sittliche Anlage, das Glaubens- und Willensvermögen in den mangelhaft gewordenen geistigen Organismus aufs neue einfüge, und somit die inneren Ohren wieder ansetze. Während demnach die erste Tätigkeit Gottes nach dem katholischen Lehrgebäude in der Aufrichtung, Erweckung, höheren Stimmung, Stärkung und Verklärung jener Vermögen besteht, wird sie hier in die neue Schöpfung derselben gesetzt. In dieser Weise wird es auch einigermaßen verständlich, wenn die Konkordienformel bemerkt, daß zwar in der weiteren Entwicklung der Wiedergeburt der Mensch mit Gott zusammenwirke, jedoch nur durch seinen erneuerten Teil, durch das neue göttliche Geschenk, nicht aber in seiner Ganzheit: der übrige, der aus dem gottentfremdeten Zustande herüber gekommene natürliche Mensch wird nie für das Reich Gottes tätig [119]. Übrigens wird durch diese Lehre die Identität des Bewußtseins aufgehoben, und es ist gar nicht abzusehen, wie der Wiedergeborne, der Neugeschaffene sich als dasselbe Subjekt soll erkennen können; wenigstens wird es ihm nicht leicht werden, wenn er nicht vor den Spiegel tritt, und zu seinem Vergnügen wahrnimmt, daß er stets dieselbe Nase gehabt habe, und folglich derselbe Mensch, wie von jeher, sei. Auch ist nicht zu begreifen, wie eine Reue möglich sein solle; denn die neu eingetretenen Kräfte werden sich schwerlich das zu bereuen entschließen wollen, was sie nicht getan haben; und die alten können nicht, da das Göttliche gar nicht in ihren Bereich gehört.

[119] Solid. Declar. II. de lib. arbitr. § 45 p. 645. Ex his consequitur, quam primum spiritus sanctus per verbum et sacramenta opus suum regenerationis et renovationis in nobis inchoavit, quod re vera tunc per virtutem spiritus sancti cooperari possimus ac debeamus, quamvis multa adhuc infirmitas concurrat. Hoc vero ipsum, quod cooperamur, non ex nostris carnalibus et naturalibus viribus est, sed ex novis illis viribus et donis, quae spiritus sanctus in conversione in nobis inchoavit. Diese Bestimmung setzt abermals die Ansicht notwendig voraus, daß das durch die Erbsünde verlorene, und in der Wiedergeburt zurückkehrende Vermögen keine bloße Qualität des menschlichen Geistes sein könne: es ist das höhere Willens- und Erkenntnisvermögen, wenn auch nur einigermaßen die eben angeführte Stelle einen Sinn haben soll.

Hierbei ist noch zu bemerken, daß durch die vorgelegte lutherische Ansicht der Vorwurf, den ihre Bekenner so ununterbrochen der katholischen Lehre machen, daß sie nämlich pelagianisch sei, seine Erklärung finde [120]. Zwar entdeckt man allenthalben eine, man möchte beinahe sagen, absichtliche Entstellung der katholischen Lehre, und Melanchthon übertrifft hierin sogar noch Luther; auch hatte Mangel an gründlicher historischer Bildung unverkennbaren Anteil an jenem Vorwurf, was besonders dann recht sichtbar wird, wenn die Thomisten Pelagianer genannt werden, ja wenn überhaupt die Ansicht Luthers über das Verhältnis von Natur und Gnade so dargestellt wird, als enthalte sie allein den altkatholischen Gegensatz zur pelagianischen Denkweise, da niemals, selbst von Augustin nicht, gelehrt wurde, daß durch die Erbsünde die religiös-sittliche Anlage dem Menschen genommen worden sei; allein es findet doch bei allem dem ein inneres Hindernis statt, die katholische Lehre gehörig zu verstehen, ein Hindernis, das wir anzudeuten uns berufen fühlen; zugleich wird die lutherische Lehre verzeihlicher erscheinen, da sich herausstellen dürfte, daß sie an sich aus einem wahren christlichen Eifer hervorging, der jedoch, wie beinahe überall, unverständig geleitet wurde. Das katholische Dogma, daß auch im gefallenen Menschen noch religiös-sittliche Kräfte vorhanden seien, Kräfte, die für sich schon nicht gerade immer sündigen, und auch in der Wiedergeburt verwendet werden müssen, gab zu dem Wahne Veranlassung, ihre dabei in Anspruch zu nehmende Tätigkeit als den natürlichen Übergang zur Gnade aufzufassen, so zwar, daß gemeint wurde, ein möglichst guter Gebrauch derselben vermittle (verdiene) nach unserer Lehre die Gnade. Eine solche Vorstellung wäre allerdings pelagianisch, und nicht Christus, sondern der Mensch würde die Gnade verdienen, oder besser, die Gnade hörte auf Gnade zu sein. Um nun dergleichen Verirrungen auszuweichen, nahmen die Reformatoren an, der Mensch vermöge gar nichts zu leisten, und erhalte selbst in der Wiedergeburt erst jene Vermögen wieder, die im Reiche Gottes und für dasselbe tätig sein können. Allein der zarte und feine Sinn des katholischen Dogma, welches Natur und Gnade sehr sorgfältig auseinander hält, entging ihnen: das Endliche, dasselbe sogar ohne Sünde gedacht, mag sich nach allen Seiten hin bestens ausdehnen, das an sich Unendliche erreicht es nicht, so daß dieses von ihm nur willkürlich ergriffen und festgehalten werden könnte: die Natur mag alle ihre Kräfte redlich entfalten, sie wird durch sich und aus sich nicht ins Übernatürliche verklärt, das Menschliche durch keinen Kraftaufwand aus sich selbst göttlich: es bliebe eine ewige Kluft zwischen beiden, wenn sie nicht durch die Gnade ausgefüllt würde: das Göttliche muß sich zum Menschlichen herablassen, wenn das Menschliche göttlich werden soll. Daher wurde der Sohn Gottes Mensch, und nicht der Mensch Gott, um die Menschheit mit der Gottheit zu versöhnen. Das gleiche muß sich abbildlich in jedem Gläubigen wiederholen. Die Kirche mochte also den Nichtwiedergebornen mit den schönsten menschlichen Kräften und mit dem besten Gebrauch derselben sich denken; das Leben in der Gnade erreichte er durch ihn nicht, weder seinen Anfang, noch seine Mitte, noch seine Vollendung: diese muß sich vielmehr stets barmherzig zu unserer Niedrigkeit herabneigen, und der sündebefleckten Kraft insbesondere schon die erste göttliche Weihe erteilen, um sie auch nur für das Himmelreich und die Aufnahme des Bildes Christi in uns vorzubereiten. Auch hier stellt sich demnach die große Bedeutung der Divergenz in der Auffassung des ursprünglichen Zustandes des Menschen wieder heraus. Indem die Katholiken auch bei der noch unbefleckten Endlichkeit des paradiesischen Menschen eine höhere übernatürliche Kraft für ihn nötig erachteten, wenn er in einer innig lebendigen Gemeinschaft mit Gott stehen sollte, so mußten sie noch vielmehr die Wiederbringung derselben für den gefallenen Adam durch seine natürlichen Kräfte allein als unmöglich darstellen, oder, mit anderen Worten, als Gnade. Indem aber die Protestanten umgekehrt den ersten Menschen durch seine Endlichkeit an sich die Gemeinschaft mit Gott verwirklichen ließen, so mußte von ihrem Standpunkt aus schon der Begriff des Daseins gottebenbildlicher natürlicher Kräfte, und noch mehr die Lehre von einer Entwicklung ihrer Tätigkeit bei der Wiedergeburt mit dem Begriffe von Gnade unvereinbar, und das Verdienst Christi, wo nicht vernichtend, doch ungemein schmälernd erscheinen. Der Mensch findet sich im Besitz aller seiner natürlichen Vermögen und Kräfte, heißt von ihrem Systeme aus so viel als: er vermag Gott durch sich selbst vollkommen zu erkennen und zu lieben; wollten also die Protestanten den Begriff von Gnade festhalten, so mußten sie freilich den Menschen bei der Wiedergeburt als völlig leidend und ohne alle der Gnade verwandte Kraft darstellen. Ganz anders verhält es sich mit dem katholischen System, in welches sie sich nicht hineinarbeiten wollten.

[120] Calvin. Instit. L. III. c. 14. § 11. fol. 279. ist weit billiger und gerechter. De principio justificationis nihil inter nos et saniores Scholasticos pugnae est, quia peccator gratuito a damnatione liberatus justitiam obtineat, idque per remissionem peccatorum, nisi quod illi sub justificationis vocabulo renovationem comprehendunt, qua per spiritum Dei reformamur in legis oboedientiam. Justitiam vero hominis regenerati sic describunt, quod homo per Christi fidem Deo semel conciliatus, bonis operibus justus censeatur apud Deum, et eorum merito sit acceptus. Hierbei ist einiges zwar ungenau, allein um wie vieles gewissenhafter ist er, als die Solid. Declar. 11. § 52. p. 648.

Wenn wir uns eben bemühten, dem auf die Spur zu kommen, was die Reformatoren zu ihrer Ansicht bestimmt haben mag, so müssen wir dies auch von einer andern Seite aus noch versuchen. Sie verwechselten, wie es scheint, das Objektive und Subjektive in der Rechtfertigung. In Betreff des Ersteren ist der Mensch ganz und gar passiv, in Betreff des Letzteren nicht. Der Gefallene kann nicht gerechtfertigt werden, es sei denn, er gestehe vor Gott und sich selbst, daß er durchaus unfähig sei, in sich ein Mittel zu entdecken, das ihn, den Sünder, mit Gott zu versöhnen die Kraft besäße: er muß sich mit dem gefühltesten Bekenntnisse seines eigenen Nichts, mit vollkommener Demut Gott hingeben, und sich seiner gnadenvollen Veranstaltung überlassen, und anerkennen, daß er nur empfangen, also leiden könne. In dieser Weise geht der Mensch in das geschöpfliche Verhältnis zu Gott, wie es an sich ist, allein wieder zurück; wollte er aber Gott selbst irgend etwas anbieten, seien es Werke oder was immer, um durch dieselben Gott als seinen Schuldner darzustellen, und dessen Gnade als Lohn zu fordern, und in dieser Weise sich tätig zeigen, so stellte er sich Gott gewissermaßen als ein gleicher entgegen, er stellte sich, daß wir so sagen, auf denselben Fuß mit Gott, und befände sich durch diesen Hochmut außerhalb des geschöpflichen Verhältnisses zu ihm. Indem sich nun der Mensch nur auf die Verdienste Christi stützt, und von eigenen Verdiensten nichts weiß, ist er leidend, tatlos und läßt Gott allein wirken. Wenn aber der Mensch diese Taten Gottes aufnimmt, wird er selbst auch aktiv und wirkt mit Gott, und eben die freie Anerkennung, daß er sich in dem genannten Sinne nur leidend, nur empfangend verhalten könne, ist seine höchste Aktivität, deren er überhaupt fähig ist. Die Reformatoren nun hielten beides nicht genau auseinander, und verwarfen deshalb im Übermaße frommen Eifers alle Tätigkeit des Menschen, alles Wirken desselben in jedem Sinne.

Der Katholik erkennt die Notwendigkeit eines völlig passiven Verhaltens an, indem er alle Verdienste verwirft, welche die Erlösung erwerben könnten, aber auch die Notwendigkeit eines aktiven, indem er nur mit Freiheit und treuem Mitwirken Gottes Tat aufnehmen und dieselbe sich aneignen zu können überzeugt ist. Wenn sich der Mensch zum Ersteren bekennt, gibt er Gott den Ruhm; wenn er das zweite ausspricht, dankt er Gott für die Fähigkeit, ihm den Ruhm geben zu können, was er ohne Freiheit nicht vermag [121].

[121] Die Reformatoren Luther, Melanchthon u. a. und nach ihnen alle neueren protestantischen Theologen machen der Kirche die Annahme des meriti de congruo zum Vorwurf, d. h. die Annahme, daß es von Gott zu erwarten sei [congruum esse], daß er demjenigen Heiden etwa, der seine natürlichen Kräfte so ernst und gut, als ihm möglich, verwendet habe, seine Gnade zukommen lasse, um ihn wirklich ins Reich Gottes einzuführen. Dies sei die Annahme eines Quasi-Verdienstes und pelagianisch. Das Concilium von Trient weiß nichts von dergleichen scholastischen, d. h. in manchen Schulen gangbar gewesenen Distinktionen, und erwähnt darum auch des genannten meriti de congruo nicht. Jene Scholastiker, die dasselbe annehmen, beriefen sich besonders auf den Hauptmann Cornelius in der Apostelgeschichte X, 22-35; auch hätten sie auf die Tatsache hinweisen können, daß sich so viele Platoniker zum Christentume bekehrten, während kein altes Dokument von dem Übertritt eines Epikuräers spricht. Wir wären sehr begierig, eine Erklärung dieser Erscheinung von einem orthodoxen Lutheraner zu vernehmen. Auch würde derselbe einen der schönsten Teile in Neanders Kirchengeschichte geradezu für ketzerisch erklären müssen, jenen Teil, worin er das dem Christentum günstige und dasselbe vorbereitende Element in den alten Religionen und Philosophien nachweist, besonders 1. B. 1. Abteil. S. 31. Nach dem orthodoxen Protestantismus ist gar keine pragmatische Geschichte möglich. Endlich wäre derselbe darauf aufmerksam zu machen, daß es etwas ganz anderes sei, zu behaupten, Gott werde gewiß das redliche Suchen und Wollen eines Heiden nicht unberücksichtigt lassen, und etwas anderes, daß jemand glaube, es gebühre ihm wegen dieses seines Suchens und Wollens die göttliche Gnade.
Außerdem warfen die deutschen Reformatoren der damaligen Theologie vor, sie habe sogar gelehrt, der Mensch vermöge aus eigenen Kräften, Gott über alles zu lieben. Wer auch nur die oberflächlichste Kenntnis von der mittelalterlichen Theologie sich erworben hat, wird staunen müssen, wenn er dies vernimmt, und daß der verehrte Professor Hahn in seiner Dogmatik nicht gestaunt hat, als er jüngst hierüber referierte, könnte ein übles Licht auf den Umfang seiner geschichtlichen Kenntnisse werfen, wenn man den Nebenzweck nicht wüßte, den er hierbei vor Augen hatte. Allerdings gab es einige obskure Köpfe ohne Ansehen, die etwas dergleichen lehrten; wir führen über sie folgende Stelle des geistvollen Pallavicini an, die freilich zunächst nur gegen die ausgeartete Scholastik überhaupt gerichtet ist: Si vitium aliquorum accusat, reminisci debuerat (Sarpi), in omnibus disciplinis, ac potissimum in nobilissimis, adeoque maxime arduis, tolerandos esse professorum plerosque vitiis laborantes: plurimis concedi, ut in illis ingenia exerceant, quo doctrinae praestantia in paucis efflorescat... Nulli datum reipublicae est, ut in sua quisque arte praecellat: vel ipsa natura, quacunque solertia humana major, vitiosos partus, abortus, monstra praepedire non valet. Unicum superest remedium, ut videlicet eos artifices adhibeas, quos communis existimatio comprobat. Id usu venit scholasticae theologiae. Disciplinarum omnium praestantissima simulque difficillima ea est; ejus possessionem sibi multi arrogant, pauci obtinent: hoc constanter admiratur hominum consensio: alii processu temporis, qua neglecti, qua ignoti jacent, qua etiam derisi, (Hist. Concil. Trid. 1. VII. c. 14. p. 252.)

§ 12
Lehre der Reformierten vom Verhältnisse der Gnade zur Freiheit und der menschlichen Mitwirkung. Prädestination

Die Lehre der Reformierten von der Erbsünde, welche ihnen znfolge zwar den menschlichen Geist greulich verwüstet, aber doch das Glaubens- und Willensvermögen nicht vertilgt, verbreitet ihren Einfluß auch hierher. Die alle wahrhaft und in sich gottgefälligen Bestrebungen des Menschen erst bedingende und darum denselben zuvorkommende Gnade wird auch von ihnen notwendig gelehrt, so daß hierin eine erfreuliche allgemeine Übereinstimmung der Konfessionen gefunden wird; vermöge der milderen und gesunderen Betrachtungsweise der Erbsünde sind nun aber auch überdies die Reformierten instand gesetzt, eine tätige Mitwirkung des Menschen mit Gott festzuhalten [122]; worin sie abermals mit den Katholiken eins, den Lutheranern aber entgegen sind. Diese Mitwirkungsfähigkeit hat jedoch bei den Calvinisten nicht zugleich den Sinn, als sei es dem Menschen überlassen, die göttliche Tätigkeit auf ihn aufzunehmen oder abzuweisen: wo Gottes Gnade anklopft, muß die Türe eröffnet werden, sie wirkt schlechthin unüberwindlich, und jene Menschen werden gar nicht von ihr berührt, die nicht ins Leben eingehen. Hiermit sind wir zugleich bei dem Lehrstücke von der Prädestination angelangt.

[122] Calvin. Instit. I. II c. 3. n. 6. Sed erunt forte, qui concedent, a bono suopte ingenio aversam sola Dei virtute converti (voluntatem), sie tamen, ut praeparata suas deinde in agendo partes habeat. (Calvin hat es hier besonders mit Petrus Lornbardus zu tun) ... Ego autem ... contendo, quod et pravam nostram voluntatem corrigat dominus, vel potius aboleat, et a seipso bonam submittat. Quatenus a gratia praevenitur, in eo ut pedisequam appelles, tibi permitto, sed quia reformata opus est domini. Hiernach scheint Calvin den Unterschied zwischen seiner und der katholischen Betrachtungsweise darein zu setzen, daß Gott zuerst ganz allein den Willen heilt, ohne irgendein Zutun des Menschen (wie das zugehen soll, mag begreifen, wer da kann); daß dann aber auch der Wille (die Naturanlage) mitwirkt; wogegen der Katholik lehrt, daß der menschliche Wille mit Gott schon an seiner eigenen Verbesserung arbeiten müsse. Die Differenz zwischen Calvin und Luther aber ist bestimmter diese: daß nach letzterem gar nichts vom alten Menschen je zur aktiven Mitwirkung sich mehr eignet. - Confess. Helvet. I. c. IX. p. 21. Duo observanda esse docemus; primum, regeneratos in boni electione et operatione non tantum agere passive, sed active. Aguntur enim a Deo, ut agent ipsi, quod agant. Recte enim Augustinus adducit illud, quod Deus dicitur noster adjutor. Nequit autem adjuvari, nisi is, qui aliquid agit.

In der katholischen Kirche bewegten sich stets die mannigfaltigsten, die tiefsinnigsten und spekulativsten Theorien über die göttliche Vorherbestimmung und ihr Verhältnis zur menschlichen Freiheit neben manchen sehr flachen und nichtssagenden Ansichten hierüber. Es bietet sich hier nämlich dem Scharfsinne und dem philosophischen Talente, wie nicht minder der Phantasie, ein weites, und oft auch, je nach der Beschaffenheit der Lieblingsmeinungen einer bestimmten Zeit, ein sehr reizendes Feld dar, welches unablässig zu seiner Bearbeitung anlockt. Jedoch glaubte die Kirche demselben eine gewisse Begrenzung geben zu müssen. Es kann nämlich Gott dem Menschen gegenüber in einer Weise dargestellt werden, daß dieser verschwindet; oder der Mensch hinwiederum in einer Beziehung zu Gott aufgefaßt werden, welche den Begriff von Gott als dem Gnadenspender aufhebt. Nach der ersten Weise erscheint Gott zugleich mit einer grausamen Willkür handelnd, die vom Menschen nicht gedacht werden kann, nach der zweiten von der Willkür des Menschen so beherrscht, daß er aufhört, der zu sein, der da ist, und durch den alles Gute wird. Demnach verwirft die katholische Kirche ebensowohl eine vom Menschen ausgehende Bestimmung Gottes, die heiligende und beseligende Gnade zu verleihen, als eine von Gott ausgehende Bestimmung des Menschen, gerade dies oder jenes werden zu müssen: vielmehr lehrt sie in der ersten Beziehung, wie bekannt, daß seine Gnade unverdient sei, in letzterer, daß sie allen Menschen angeboten werde, die Verdammung derselben also von der freien Verwerfung der erlösenden Hilfe abhänge [123].

[123] Concil. Trident. Sess. VI. c. II. Hunc proposuit Deus propitiatorem per fidem in sanguine ipsius pro peccatis nostris, sed etiam pro totius mundi c. III Ille pro omnibus mortuus est. Can. XVII. Si quis justificationis gratiam non nisi praedestinatis ad vitam contingere dixerit; reliquos vero omnes, qui vocantur, vocari quidem, sed gratiam non accipere, utpote divina potestate praedestinatos ad malum ; anathema sit. Papst Innozenz X. verwarf daher in seiner Konstitution gegen Jansenius den Satz (n. V.): Semipelagianum est dicere, Christum pro omnibus omnino hominibus mortuum esse, aut sanguinem fudisse. (Harduin. Concil. Tom. XI. fol. 143.)

Die lutherischen Symbole befreiten sich hierin von der Autorität Luthers, und lehrten mit den Katholiken übereinstimmend sehr ausdrücklich, freilich, wie oben (§ 11.) schon gesagt wurde, nicht ohne Verletzung der inneren Abrundung des Lehrgebäudes, daß Christus für alle gestorben sei, alle Sünder zu sich rufe, und ernstlich wolle, daß alle Menschen zu ihm kommen, und sich Hilfe leisten lassen [124].

Anders Calvin; zwar versichert er, daß er sich zwischen zwei Klippen vorsichtig hindurchbewegen werde, von welchen die erste darin bestehe, daß der Gläubige die unerforschlichen Geheimnisse Gottes auszuspähen sich erkühne, die zweite, daß er die Prädestination gar nicht zu berühren wage, und sogar schon den Versuch, sich über dieselbe irgendwie auszusprechen, als eine gefährliche Sandbank vermeide (Calvin, Institut. L. III. c. 21. 336.). Er seinerseits findet ein großes praktisches Interesse in diesem Lehrstück. Die süßen Früchte (suavissimus fructus), die er in der Lehre von der unbedingten Prädestination entdeckte, und die ihm in seiner Meinung bestärkten, werden also von ihm bezeichnet.

[124] Solid. Declar. XI. de aeterna Dei praedestinat. § 28. p. 765. Si igitur aeternam electionem ad salutem utiliter considerare voluerimus, firmissime et constanter illud retinendum est, quod non tantum praedicatio poenitentiae, verum etiam promissio Evangelii re vera sit universalis, hoc est quod ad omnes homines pertineat. Hierauf folgen viele Schriftstellen. § 29. p. 766. Et hanc vocationem Dei, quae per verbum Evangelii nobis offertur, non existimemus simulatam et fucatam: sed certo statuamus, Deum nobis per eam vocationem voluntatem suam revelare: quod videlicet in iis, quos ad eum. modum vocat, per verbum efficax esse velit, ut illuminentur, convertantur et salventur. § 38. p. 769. Quod autem verbum Dei contemnitur, non est in causa Dei vel praescientia vel praedestinatio, sed perversa hominis voluntas.

Erstens sei keine feste und tiefe Überzeugung von der Wahrheit möglich, daß nur Gottes Barmherzigkeit das Heil des Menschen begründe, wenn der Gläubige nicht wisse, daß nicht alle zur Seligkeit bestimmt seien, daß Gott vielmehr dem einen gebe, was er dem andern versage. Zweitens verdunkle die Unwissenheit hierin den Ruhm Gottes, reiße die Demut mit der Wurzel aus (ipsam humilitatis radicem evellunt), mache ein inniges Dankgefühl gegen Gott unmöglich, und verhindere die Ruhe des Gewissens in dem Frommen; denn eben das Bewußtsein, daß rücksichtlich der Sünden zwischen ihnen und den Verworfenen kein Unterschied bestehe, und der Glaube allein denselben begründe, enthalte den sichersten Trost [125].

[125] Calvin. 1. c. c. 21. § 2. fol. 336. c. 24. § 17. fol. 360. Nempe tutius piorum conscientiae acquiescent, dum intelligunt, nullam esse peccatorum differentiam, modo adsit fides. Calvin, de aeterna Dei praedest. Opusc. p. 883. ist dies weiter ausgeführt: Imprimis rogatos velim lectores ... non esse, ut quibusdam falso videtur, argutam hanc vel spinosam speculationem, quae absque fructu ingenia fatiget: sed disputationem solidam et ad pietatis usum maxime accommodatam, nempe quae et fidem probe aedificet, et nos ad humilitatem erudiat, et in admirationem extollat immensae erga nos Dei bonitatis: et ad hanc celebrandam excitet etc.

Calvin hat ein warnendes Beispiel denen hinterlassen, die wegen subjektiv-praktischer Momente irgendeine fremde Lehre aufnehmen zu müssen glauben, und die Einsicht befördert, daß es in dieser Beziehung ausschließende Aufgabe der Theologen sei, mit Demut aufzusuchen, was die Kirchenlehre religiös-sittlich Erregendes und Belebendes umfaßt, indem die Wahrheit und Objektivität derselben den aus ihr entwickelten praktischen Momenten gleichfalls den Charakter der Wahrheit und Objektivität mitteilt. Um der genannten Gründe willen, mithin um eine tiefe christliche Frömmigkeit zu erzeugen, stellt Calvin folgenden Begriff von der Prädestination auf: “Wir nennen die Vorherbestimmung jenen ewigen Ratschluß Gottes, durch welchen er bei sich festgesetzt hat, was aus jedem Menschen werden soll. Denn nicht zu gleichem Schicksale sind alle geschaffen: denn einigen ist das ewige Leben, anderen die ewige Verdammnis beschieden. Je nachdem also jemand zu dem einen oder dem anderen Ende geschaffen ist, nennen wir ihn auch zum Leben oder zum Tode vorherbestimmt” [126]. Dasselbe drückt der Reformator auch in dieser Weise aus: “Wir behaupten, durch einen ewigen und unveränderlichen Beschluß habe Gott verordnet, welche er einst an dem seligen Leben wolle teilnehmen lassen, und welche er hinwiederum dem Verderben weihe; hinsichtlich der Erwählten ist dieser Beschluß in seiner unverdienten Barmherzigkeit gegründet, ohne Rücksicht auf menschliche Würdigkeit; die aber, welche er der Verdammung überantwortet, sind durch ein gerechtes und untadelhaftes Gericht vom Zugange zum Leben ausgeschlossen.” [127]

[126] Calvin, I. III. c. 21. n. 5. p. 337. Praedestinationem vocamus aeternum Dei decretum, quo apud se constitutum habuit, quid de unoquoque homine fieri vellet. Non enim pari conditione creantur omnes: sed aliis vita aeterna, aliis damnatio aeterna praeordinatur. Itaque prout in alterutrum fmem quisque conditus est, ita vel ad vitam, vel ad mortem praedestinatum dicimus.

[127] L. c. n. 7. p. 339. Quos vero danmationi addicit, his justo quidem et irreprehensibili, sed incomprehensibili judicio vitae aditum praecludi. Und wie behandelt Calvin diejenigen, die eine solche Lehre bestritten! Seine Schrift de aeterna Dei praedestinatione ist gegen Albert Pighius, einen sehr geistvollen und gelehrten Theologen gerichtet, wie auch die Abhandlung Calvins de libero arbitrio. In der letzteren wird Pighius noch anständig genug bekämpft, in der ersten aber heißt es p. 881.: »Albertus Pighins Campensis, homo phrenetica plane audaciä praeditus ... Paulo post librum editum moritur Pighius. Ego ne cani mortuo insultarem, ad alias lucubrationes me converti ... In Pighio nunc et Georgio Siculo, belluarum par non male comparatum etc.

Es ist kaum glaublich, zu welchen wahrhaft gotteslästerlichen Wendungen sich Calvin noch versteht, um seiner Lehre einen Schein von Festigkeit zu verleihen, und sich gegen Einwürfe sicherzustellen. Da der Glaube auch von Calvin als ein Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit betrachtet wird, und von ihm doch nicht geleugnet werden konnte, daß manche im Evangelium als gläubig dargestellt werden, in denen Christus keinen Ernst und keine Ausdauer fand, die er mithin auch nicht als Auserwählte anerkannte, so sagt Calvin, Gott erzeuge absichtlich einen Scheinglauben, er schleiche sich in die Gemüter der Verworfenen ein, um sie desto unentschuldbarer zu machen [128].

[128] Calvin, Instit. l. III. c. 2. n. 11. p. 194. Etsi in fidem non illuminantur, nec Evangelii efficaciam vere sentiunt, nisi qui praeordinati sunt ad salutem: experientia tamen ostendit, reprobos interdum simili fere sensu atque electos affici, ut ne suo quidem judicio quicquam ab electis differant. Quare nihil absurdi est, quod coelestium donorum gustus ab Apostolo, et temporalis fides a Christo illis adscribitur: non quod vim spiritualis gratiae solide percipiant, ac certum fidei lumen; sed quia dominus, ut magis convictos et inexcusabiles reddat, se insinuat in eorum mentes, quatenus sine adoptionis spiritu gustari potest ejus bonitas. P. 195. Commune cum illis (filiis Dei) fidei principium habere videntur, sub integumento hypocriseos.

Anstatt in den genannten Tatsachen die Bereitwilligkeit Gottes anzuerkennen, allen, die nur wollen, seine Gnade zuzuwenden, erklärt er dieselben durch die Annahme absichtlicher Täuschungen, die sich Gott zuschulden kommen lasse! Ebenso wunderbar ist der Grund für die Vorherbestimmungslehre, daß Gott an den Auserwählten seine Barmherzigkeit, an den Verworfenen seine Gerechtigkeit zeigen wolle, gleich als wären beide göttliche Eigenschaften voneinander getrennt, gleich als ignorierten sie sich gegenseitig; Gott wird wohl an sich gegen alle ohne Ausnahme gerecht und barmherzig zugleich sein, nicht gegen diese bloß gerecht und gegen jene bloß barmherzig, wie es befangene Richter dieser Welt zu sein pflegen. Auch muß erwogen werden, daß nicht einmal der Begriff von Gerechtigkeit, dieselbe auch ganz allein für sich betrachtet, festgehalten werden kann, wenn keine Schuld vorhanden ist; diese wird aber bei den Verworfenen verrnißt, da sie, ohne den Gebrauch der Freiheit zu besitzen, verworfen werden, ja von Ewigkeit her schon verworfen sind. Ebensowenig kann der Begriff von Barmherzigkeit festgestellt werden, da dieselbe notwendig Sünder zu ihrem Gegenstande hat, die sich durch freie Selbstbestimmung von dem göttlichen Sittengesetze entfernt haben, also nicht durch fremde Nötigung von demselben entfernt wurden, um sodann wieder Verzeihung zu erhalten, was weiter nichts als eine widersinnige Posse wäre.

Übrigens vermochte diese Lehre nur durch die größte Anstrengung Calvins und seiner Schüler, besonders Bezas, den gesunden Christenverstand gefangen zu nehmen. Bern widersetzte sich besonders längere Zeit, bis endlich der Consensus Tigurinorum zustande kam. Die gallische Confession (Confess. Gallic. c. XII. p. 115) nahm sofort diese Lehre auf und die belgische gleichfalls [129]. Daß die Synode von Dordrecht die Prädestinationstheorie Calvins bestätigen werde, ließ sich erwarten (Synod. Dordrac. C. I. Art. VI. seq. p. 203. seq). Andere reformierte Gemeinden hatten jedoch vom Anfange ihrer Gründung an die Bestimmungen Calvins sehr gemildert. Es gehört hierher die Konfession der englischen Kirche (Confess. Anglic. Art. XVII. p. 132), während der pfälzische Katechismus hierüber schweigt, und die marchische Confession sich geradezu gegen das absolute Dekretum erklärt [130].

[129] Confess. Belg. c. XVI. p. 179. Credimus, posteaquam tota Adam progenies sic in perditionem et exitium primi hominis culpa praecipitata fuit, Deum se talem demonstrasse, qualis est; nimirum misericordem et justum. Misericordem quidem, eos ab hac perditione liberando et servando, quos aeterno et immutabili suo consilio, pro gratuita sua bonitate in Jesu Christo domino nostro elegit et selegit, absque ullo operum eorum respectu: justum vero, reliquos in lapsu et perditione, in quam sese praecipitaverant, relinquendo.

[130] Confess. Scot. Art. VIII. p. 141. äußerst mild, wie etwa auch der Katholik spricht. Declar. Thorun, Art. XVIII. p. 423. zweifelhaft. Confess. March. Art. XV. p. 383. Die ungarische geht darüber sehr gut hinweg p. 252.

§ 13
Von dem katholischen Begriffe der Rechtfertigung

Zur Verwirrung des mit der Rechtfertigung in Christo Jesu zu verbindenden Begriffs gab der Mangel an einer tieferen Kenntnis der Art und Weise der alten Welt, insbesondere eines lebendigen Eindringens in den Geist ihrer Sprache, wenigstens die äußere Veranlassung, und wurde zugleich eine stets mächtige Stütze des im Innern der Gemüter vorhandenen Hindernisses, diese praktische Grundlehre des Christentums allseitig zu würdigen, und in ihrem ganzen Umfange zu erfassen. Die Alten pflegen die Form, in welcher das Innere in die Erscheinungswelt tritt, und nach außen sich offenbart, für das Innere selbst zu setzen, weil dieses in seiner Form verborgen zutage gefördert wird. Wenn daher im alten Bunde die Rechtfertigung eines Menschen durch und vor Gott in der Form einer menschlich-richterlichen Tätigkeit vorgetragen ist, also eines bloß äußerlichen Frei- und Lossprechens, so ist es der größte Irrtum und der Beweis einer Unbekanntschaft mit der Denk- und Ausdrucksweise der alten Völker, wenn man nicht zugleich an eine innere Befreiung und Ablösung von dem Bösen denkt. Wie sehr in der protestantischen Kirche die Art der alten Welt verkannt wurde, ersieht man vielleicht am klarsten aus einer Stelle bei Gerhard, worin er sagt, der ganze Akt der Rechtfertigung werde nur durch Worte beschrieben, die vom Gerichtsgebrauch entlehnt seien, z.B. Gericht: Ps 143,2. Richter: Joh 5,27. Tribunal: Röm 14,10. Angeklager: Röm 3,19. Kläger: Joh 5,45. Zeuge: Röm 2,15. Handschrift: Kol, 2,14. Advokat: 1 Joh 2,1. Lossprechung: Ps 32,1 usw. (Gerhard loc. theol. Ed. Cotta. Tom. III. p. 6.).

Eben die Menge von dergleichen Ausdrücken hätte zur Vorsicht auffordern, und begreiflich machen sollen, daß sie teilweise eine bildliche Bedeutung haben müssen. Selten wurde zwar auch in der katholischen Kirche die rechte Ansicht streng wissenschaftlich entwickelt, und auf ihre Grundlagen philologisch genau zurückgeführt [131]; allein wußte man sich auch nicht mit dem klarsten wissenschaftlichen Bewusstsein zu erklären, festgehalten wurde doch im Leben der wahre Sinn der Alten: indem die Kirche ihren Anfang an das Ende der früheren Welt knüpft, ging hiermit auch das Verständnis der alten Sprache auf eine unmittelbar lebendige Weise in sie über, obschon dasselbe nicht auch zugleich auf dem Wege der Reflexion ein abstrakt vermitteltes geworden ist.

[131] Bossuet. exposit. de la doctrine de l’église cathol. c. VI. p. 34 spricht sich nach der gewöhnlichen Exegese kurz also aus: Comme l’Écriture nous explique la remission de péché, tantôt en disant que Dieu les couvre, et tantôt en disant, qu’il les ôte et qu’il les efface par la grâce au saint Esprit, qui nous fait nouvelles creatures: nous croyons, qu’il faut joindre ensemble ces expressions, pour former l’idée parfaite de la justification du pêcheur. Aus dem Mangel einer tieferen Sprachkenntnis des Orients stammen so viele seltame und halbe Erklärungen der biblischen Stellen, welche den Katholiken von den Protestanten und umgekehrt vorgehalten wurden. Ein Beispiel mag für viele dienen. Calvin Instit. l. III.c. 11. berief sich auf Röm. IV. 8, wo aus Röm. IV. 8., wo aus Ps. XXXI. folgende Stellen entlehnt sind: “Selig sind diejenigen, deren Missetaten vergeben, und deren Sünden zugedeckt sind.” “Selig ist der Mann, dem Gott seine Sünde nicht anrechnet.” Nun fragt Calvin: entweder sei hier eine vollständige Definition der Rechtfertigung gegeben oder nicht; sei sie vollständig, so bestehe die Rechtfertigung eben bloß in der Sündenvergebung, welche durch die Worte: “zudecken und nicht anrechnen” hinlänglich erklärt werde. Rechtfertigen heiße sonach, ungeachtet der noch vorhandenen Sünde jemanden straffrei erklären. Sei aber mit der bloßen Zudeckung und dem Erlaß der Schuld und Strafe der Begriff der Rechtfertigung nicht schöpft, wie könne gesagt werden, der sei selig, dessen Sünden zugedeckt seien? Bellarmin antwortet nun de justif. l. II. c. 9., Ps. 118. heiße es: Beati immaculati in via, qui ambulent in lege domini, und Matth. V.: “Selig sind die Armen im Geiste, die Sanftmütigen, die Mitleidigen, die reines Herzens sind usw.” und frägt: Ist die Beschreibung des Gerechten vollständig,warum wurde der Zudeckung und der bloßen Vergebung nicht erwähnt? Ist sie halb, wie werden die selig genannt, welche nur unvollständig gerecht sind? Dann fügt er bei: Potest igitur ad omnes ejusmodi questiones responderi, non poni in his locis integram definitionem justificationis, aut beatitudinis; sed explicari solum aliquid, quod pertinet ad justificationem aut beatitudinem acquirendam; eine vortreffliche Widerlegung Calvins, ohne jedoch wissenschaftlich genügend zu sein.

Wenn Augustin mit Recht sagt: das alte Testament sei das noch verhüllte neue, und das neue das enthüllte alte, so musste ohnedies der wahre Sinn des letzteren der Kirche noch bekannter, als selbst der Synagoge sein; jene verlieh ihm darum auch nur in dem vorliegenden Gegenstande eine entsprechendere Form, wie dies mit allen religiösen Ideen, die beide gemeinschaftlich haben, der Fall ist, auf dass der entbundene Geist auch hier sich reiner und durchsichtiger darstelle, und die Form dem Inhalt ganz entspreche. Merkwürdig ist, dass die Protestanten die Rechtfertigung vorherrschend äußerlich und die Kirche vorherrschend innerlich auffassen, in beiden Beziehungen aber eine Durchdringung des Innern und Äußeren nicht bewirken konnten. Das Eine bedingt jedoch das Andere; indem sie nämlich die Rechtfertigung nicht als eine innere behandeln, konnte die Kirche keine äußere werden. Indem jene nicht des Menschen innerstes Eigentum wird, stellt sie sich zu schwach dar, als dass sie kräftig genug gewesen wäre, eine vollkommene Wirkung hervorzubringen und das Unsichtbare ins Sichtbare herauszustellen und hiermit die innere Kirche zugleich und unzweifelhaft eine äußere werden zu lassen. Daher also ein wehetuendes Schwanken zwischen innerer und äußerer Kirche, weil die Rechtfertigung nicht als eine innere begriffen wird.

Das Concilium von Trient beschreibt die Rechtfertigung als eine Erhebung aus dem Zustande der Sündhaftigkeit in den der Gnade und der Kinder Gottes, d. h. als Vernichtung der Willensverbindung mit dem sündigen Adam (Aufhebung der Erbsünde und jeder anderen vor der Rechtfertigung begangenen), und Eingehung der Gemeinschaft mit Christus dem Gerechten und Heiligen; mithin negativ als Entsündigung und positiv als Heiligung [132]; das Concilium stellt ferner die Rechtfertigung dar als eine Erneuerung des inneren Menschen, vermöge welcher der Mensch wirklich gerecht ist [133]; als dem Gläubigen innerlich (inhaerens) und als Zurückbringung des Urstandes der Menschheit; deshalb bemerkt die genannte Synode auch, dass durch den Akt der Rechtfertigung dem Mensehen zugleich der Glaube, die Hoffnung (der Seligkeit) und die Liebe gegeben würden; und dass der Mensch nur in dieser Weise wahrhaft mit Christus vereinigt und ein lebendiges Glied seines Leibes werde [134].

[132] Concil. Trid. Sess. VI. c. 5. Quibus verbis justificationis impii descriptio insinuatur, ut sit translatio ab eo statu, in quo homo nascitur filius primi Adae, in statum gratiae et adoptionis fiIiorum Dei per secundum Adam Jesum Christum, salvatorem nostrum.

[133] L. c. c. VII. Quae (justificatio) non est sola peccatorum remissio, sed et sanctificatio et renovatio interioris hominis per voluntariam susceptionem gratiae et donorum; unde homo ex injusto fit justus etc.

[134] L. c. c. VII. Quanquam nemo possit esse justus, nisi cui merita passionis domini nostri Jesu Christi communicantur: id tamen in impii justificatione fit, dum ejusdem sanctissimae passionis merito per spiritum sanctum charitas Dei diffunditur in cordibus eorum, qui justificantur, atque ipsis inhaeret, unde in ipsa justificatione cum remissione peccatorum haec omnia simul infusa accipit per Jesum Christum, cui inseritur, per fidem, spem et charitatem. Nam fides, nisi ad eam spem accedat et charitas, neque unit perfecte eum Christo, neque corporis ejus vivum membrum efficit.

Mit andern Worten: die Rechtfertigung wird als Heiligung und Sündenvergebung, als diese in jener und als jene in dieser, als Einpflanzung der Liebe Gottes in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, und der innere Zustand des Gerechtfertigten als heilige Gesinnung, als die geheiligte Willensrichtung, als habituelle Lust und Freude am göttlichen Gesetze, als entschiedene und tätige Geneigtheit, dasselbe in allen Vorkommenheiten des Lebens zu vollziehen, kurz: als eine Sinnesweise, die in sich Gott angenehm und wohlgefällig ist, betrachtet; indem Gott den Menschen für gerecht, für ihm wohlgefällig erklärt, ist es der Mensch auch [135].

[135] Es kann nur nützlich sein, noch einige Beschreibungen der Rechtfertigung vorzulegen, um in der Verschiedenheit des Ausdrucks den einen Begriff recht kennen zu lernen. Thom. Aq. Prima sec. Q. CXIII. Art. I. und Art. VI. Justificatio importat transmutationem de statu injustitiae ad statum justitiae praedictae. Die justitia hatte er aber beschrieben als rectitudinem quandam ordinis in ipsa interiori dispositione hominis, prout supremum hominis subditur Deo, et inferiores vires animae subduntur supremae sc. rationi. Bellarm. de justificatione l. II. c. VI. Justificatio sine dubio motus quidam est de peccato ad justitiam, et nomen accipit a termino, ad quem ducit, ut omnes alii similes motus, illuminatio, calefactio et caeteri: non igitur potest intelligi vera justificatio, nisi aliqua praeter remissionem peccati justitia acquiratur. Quemadmodum nec vera erit illuminatio, nec vera calefactio, si tenebris fugatis, vel frigore depulso, nulla lux, nullusque calor in subjecto corpore subsequatur. Augustin sagt de spiritu et lit. c. 17.: »Ibi (bei den Juden) lex extrinsecus posita est, qua injusti terrerentur, hic (im Christentum) intrinsecus data est, qua justificarentur. Dazu bemerkt Bellarmin: Quo loco dicit (Augustinus), hominem justificari per legem scriptam in cordibus, quae, ut ipse ibidem explicat, nihil est aliud, nisi charitas Dei diffusa in cordibus nostris per spiritum sanctum, qui datus est nobis. l. II. c. VII. fährt Bellarmin fort: Itaque per justitiam, qua justificamur, intelligitur fides et charitas, quae est ipsa facultas bene operandi. Pallavicini sagt l. VIII. c. 4. p. 259. Consenserunt omnes (zu Trient) de nominis significatione, justificationem sc. esse transitum a statu inimici ad statum amici, filiique Dei adoptivi.

Das biblische Wort Gnade hat mehrere Bedeutungen; allerdings entspricht ihm nicht selten das deutsche “gnädige, wohlwollende, huldvolle Gesinnung” gegen jemand; diese Bedeutung ist auch die, welche allen anderen zu Grunde liegt, ja, sie ist, wenn man will, die einzige. Wenn aber von der Zuwendung der Gnade Gottes gegen Menschen, zumal gegen Sünder die Rede ist, so ist dieselbe mitnichten eine bloß ruhende Gesinnung, sondern der huldvolle Wille ist zugleich Tat, ist Leben und bringt Leben hervor; so zwar, daß die auf den (sittlich) Toten bezogene, auf ihn übergehende Huld Gottes denselben ins Leben zurückruft: die Gnade Gottes ist heiligmachend.

Ebensowenig kann in Abrede gestellt werden, daß “rechtfertigen, dikaioun, justificare” auch lossprechen bedeute. Diese Bedeutung findet statt, wenn von Gerechten, von Unschuldigen die Rede ist, welche gegen Anklagen vom Richter freigesprochen, nach gepflogener Untersuchung für das erklärt werden, was sie sind, für schuldlos. Dieser Sinn ist aber bei unserem Gegenstande schon darum gar nicht zulässig, weil es sich eben nicht von Gerechten und Unschuldigen handelt, die etwa nur auf eine boshafte Weise vor Gericht gezogen wären, sondern von wirklich Ungerechten und Schuldigen. Hier tritt die eigentliche Bedeutung des angeführten griechischen Wortes und des ihm entsprechenden hebräischen und lateinischen hervor, so daß es “gerecht machen” bedeutet. Das frei- und lossprechende, das sündenvergebende Wort ist eine wirklich befreiende, die Bande des Bösen ablösende, sündentilgende Kraft; so daß an die Stelle der Finsternis Licht gesetzt wird, der Tod dem Leben weicht, und die Verzweiflung der Hoffnung Raum gewährt. Die Vergebung der Sünde um Christi willen ist daher gewiss Nachlass der Schuld und Strafe, die Er auf sich genommen und getragen hat; sie ist aber zugleich die Übertragung seines Geistes auf uns, so daß wir volle Lebensgemeinschaft mit dem zweiten Adam haben, gleichwie wir sie mit dem ersten Adam hatten.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Übergang aus einem Leben des Fleisches in das Leben des Geistes, wie es eben beschrieben worden ist, in der Regel nicht schlechthin ein plötzlicher sein könne, daß sich vielmehr die Setzung des letzteren als das Ergebnis einer durch verschiedene Zustände hindurchgehenden Geschichte unseres inneren Menschen darstellen müsse [136]. Freilich erfüllt der Akt der Rechtfertigung selbst nur einen Zeitteil [137], denn die Mitteilung eines Lebensprinzips kann überhaupt nur als in einem Augenblicke erfolgend gedacht werden, wiewohl die Entfaltung desselben auch einer Zeitfolge unterworfen sein kann. Die Fähigkeit aber für die rechtfertigende Tat Gottes ist von einer Reihe vorhergegangener, sich gegenseitig bedingender Bewegungen im Innern des Menschen abhängig. Von dem Zeitpunkte an, in dem unsere Erkenntniskräfte mit zweifelloser Entschiedenheit in die geoffenbarten Wahrheiten eingehen, bewegt sich die ringende Seele durch Furcht und Hoffnung, durch Schmerz und keimende Liebe, durch Kampf und Sieg bis zu dem glücklichsten Augenblicke hindurch, wo sich alle zerstreuten besseren Kräfte auf höheren Impuls zur Erkämpfung eines entscheidenden Sieges vereinigen, wo durch die volle Einsenkung des heiligen Geistes die Vereinigung mit Christus vollzogen wird, wir ihm ganz angehören, und er sich in uns freudig wiedererkennt.

[136] Bellarm. de justif. l. I. c. 13. Quos enim diligit [Deus], primum vocat ad fidem, tunc spem et timorem et dilectionem inchoatam inspirat, postremo justificat ct perfectam charitatem infundit.

[137] Duns Scotus in l. IV. sent. dist. I. p. 8 sagt, die Rechtfertigung sei momentan: Quia non est successio in inductione alicujus formae, nisi penes partes mobiles, vel penes partes ipsius formae. Vergleiche die “Neuen Untersuchungen”, zweite Ausgabe, S. 206.

Mit anderen Worten: auf daß der Mensch von Gott wieder vollkommen an Kindes Statt aufgenommen (gerechtfertigt) werde, wird im Menschen eine ihn stufenweise vorbereitende Empfänglichkeit erfordert. Daher leuchtet aber auch ein, wie seltsam der Vorwurf der Protestanten sei, daß die den Akt der Rechtfertigung vorbereitenden Akte auf eine pelagianisierende Richtung des ganzen katholischen Systems hindeuten [138]. Weil nämlich nach unserer Lehre so manches im Geiste gelitten und gewirkt, so manches vollbracht sein muß, ehe die eine große Gottestat erfolgen kann, so meinen sie, müßten wir auch glauben, durch jenes vorangegangene geistige Tun und Leiden werde eben die Fülle göttlicher Begnadigung verdient. Es verhält sich jedoch anders. Die Geschichte der Wiedergeburt bildet ein großes, in allen ihren Teilen innigst verbundenes Ganze, so daß der dritte und vierte Schritt unmöglich erfolgen kann, ehe der erste und zweite vorausgegangen ist. Da nun schon die höhere Kraft zur Ausführung des ersten ein Ausfluß göttlicher Gnade ist, und es sich auf gleiche Weise bei allen übrigen verhält, da demnach alle Teile des großen Ganzen durch die höhere Hilfeleistung bedingt und somit ein Werk göttlicher Huld sind, wie sollte nicht vom Ganzen gelten, was von allen Teilen gilt? Freilich, ohne menschliche Tätigkeit kann auch die erste Bewegung unseres Geistes nicht ausgeführt werden, gerade weil er selbst sich bewegen muß; ebensowenig die zweite und dritte, mit andern Worten: ohne menschliches Tun kann Gott im Menschen keinen Glauben, keine Furcht, keinen Keim der Liebe, keine Hoffnung, keine Reue hervorbringen, und darum auch die dadurch bedingte eigentliche Rechtfertigung nicht. Folgt aber, daß, weil der Katholik dieses glaubt, er auch glauben müsse, Gott teile je seine weiteren Gnadenerweise deshalb mit, weil der Mensch sein Mitwirken bei den früheren nicht versagt hat? Es ist der Begriff einer notwendigen Vorbedingung eines Anderen, mit dem Begriff der Ursache dieses Anderen verwechselt.

[138] Chemnit. Exam. Concil. Trid. P. I. p. 281. u. ff. Gerhard. loc. Tom. VII. p. 221. ff (loc. XVII. c. 3. Sect. V.) Daß Gott dem durch den Glauben und die Furcht, durch Hoffnung und Reue Vorbereiteten die heiligmachende Gnade (durch die Taufe) verleihe, nennen nämlich auch die besten Scholastiker nicht mit Unrecht ein meritum de congruo, aber nicht de condigno.

Um indes den katholischen Begriff von der Rechtfertigung zu vervollständigen, müssen der Synode von Trient zufolge noch zwei Bemerkungen zu dem Gesagten hinzugefügt werden. Erstens stellt die katholische Kirche nicht in Abrede, daß sich auch in dem Gerechtfertigten, ungeachtet ihm (mit jeder anderen Sünde) auch die Erbsünde vergeben und aus hinweggenommen ist, noch eine verkehrte Sinnlichkeit (concupiscentia) vorfinde; jedoch wird gelehrt, daß dieselbe an sich nicht Sünde sei, und in der heiligen Schrift nur deshalb unter dieser Benennung gefunden werde, weil sie als Folge der Sünde erscheine, und wieder zur wahren Sünde führe, wenn der Wille derselben Gehör gebe. Die Synode sagt “Gott hasset in den Wiedergebornen nichts, da in jenen nichts Verdammliches ist, welche wahrhaft mit Christo in der Taufe begraben wurden, nicht nach dem Fleische wandeln sondern den alten Menschen aus-, und den neuen nach Gott geschaffenen anziehen, und schuldlos, unbefleckt, rein und gottgefällig geworden sind, Erben Gottes und Miterben Christi, so daß dieselben gar nichts an dem Eingange in den Himmel hindert. Daß jedoch die Begierlichkeit oder der Reiz in dem Getauften zurückbleibe, gestehet und anerkennt die heilige Synode: da aber dieser Reiz zum Kampfe vorhanden ist, so vermag er denen, die nicht einwilligen, sondern siegreich durch die Gnade Christi widerstehen, nicht zu schaden: vielmehr wer geziemend streitet, wird gekrönt werden” (L. c. Sess. V. decret. de pecc. originali.). Da die katholische Kirche die erste Sünde und damit in letzter Instanz alles Böse in der Welt von dem Mißbrauche des freien Willens ableitet, so kann sie auch keine Sünde mehr im Menschen finden, wenn der Geist von der Kreatur weg- und zu Gott hingewendet, wenn der Wille wieder geheilt und die innerste Gesinnung geheiligt ist. Durch das angeborene Übel, und die aus demselben sich bildende mehr oder minder lange, mehr oder minder erstarkte Gewohnheit des Sündigens wird im Körper und den niederen Seelenvermögen eine mechanische Fertigkeit erzeugt, sich nach derselben Richtung fortzubewegen; die neue Willensrichtung zieht darum noch nicht sogleich alle Bewegungen der Seele und des Körpers in ihren Kreis. Da nun aber dem im Geiste Wiedergebornen dieselben fremd und ein Abscheu geworden, da Geist und Fleisch völlig auseinandergetreten sind und sich in einem entschiedenen, für jenen siegreichen Kampfe als zwei voneinander Getrennte darstellen, so wird gewiß auch den Willen eine ihm entgegengesetzte, aber doch von ihm beherrschte fleischliche Bewegung nicht beflecken, und darum auch keine Sünde begründen.

Geht also der Wille nicht in das Begehren des Fleisches, oder dringt dieses nicht in den Willen ein, findet demnach keine Einwilligung statt, so auch keine Sünde [139]. Das Böse, und im eigentlichen Sinne des Wortes Sündhafte an der Begierlichkeit fällt also hinweg, indem sie aus dem inneren Menschen in den äußeren zurückgedrängt ist, wo sie als Folge und Strafe zur Sünde bleibt, und zugleich als Sollicitation die Veranlassung erhöhter Verherrlichung des Geistes, aber auch zur Rückkehr des tiefsten Falles werden kann; jenes, indem sie zum Kampf und Sieg und zur Befestigung und Entwicklung des Guten auffordert; dieses, indem sie den Sorglosen leicht überraschen und denselben wieder zu sich herabziehen oder sich wieder in das Innerste des Menschen hineindrängen kann.

[139] Bellarmin. de amíss. grat. et statu peccati. L. V. c. 5. Tom. IV. p. 278. Tota controversia est, utrum corruptio naturae ac praesertim concupíscentia per se et ex natura sua, qualis etiam in baptizatís et justificatis est, sit proprie peccatum originis. Id enim adversaríi contendunt, catholíci autem negant; quippe qui sanata voluntate per gratiam justificantem docent, reliquos morbos non solum non constituere homines reos; sed neque posse constituere, cum non habeant veram peccati rationem. Addit Thomas Aq. in sola aversione mentis a Deo consistere propríe et formaliter peccatum oríginis, in rebellione autem partis inferioris, qui fuit effectus rebellionis mentis a Deo, non consistere peccatum, nisi materialiter.

Inzwischen ist die Kluft, welche durch die Wiedergeburt zwischen dem inneren, nun geheiligten Menschen, und dem äußeren gesetzt wird, keineswegs starr und unbeweglich; vielmehr ist sie in den, mit der heiligmachenden Gnade treu mitwirkenden, Gläubigen in steter Abnahme und somit Verschwinden begriffen; denn die fortgesetzte heilige Übung und das dadurch immer mächtiger sich entfaltende göttliche Lebensprinzip stellt die Harmonie aller Teile des Menschen in der neu gewonnenen Richtung und zwar in beständigem, wenn auch nicht immer fühlbarem Wachstume wieder her, (obgleich ohne außerordentliche höhere Dazwischenkunft in diesem Leben niemals vollkommen [140]), so mithin, daß sich die niederen mit dem geheiligten Geiste in stufenweisem Fortschreiten einträchtig bewegen lernen, und an der Verherrlichung des Geistes teilnehmen, wie sie sich früher mit dem unheiligen in Eintracht bewegt und seine Zerrüttung aufgenommen hatten. Indessen harret der Wiedergeborne der Erlösung von dem Leibe mit Sehnsucht entgegen, nicht um dann erst von der sündhaften Willensrichtung, sondern von dem Kampfe und der Furcht vor dem Kampfe befreit zu werden.

[140] Das Konzilíum von Vienne hat lib. V. Clement. tit. de haeret. gegen die Begarden ausgesprochen, was Papst Innozenz XI. gegen Michael Molinos wiederholte. Er verurteilte in seiner Bulle folgende Sätze: n. 55. Per hanc viam internam pervenitur ad purgandas et distinguendas omnes animae passiones, ita quod nihil amplius sentitur, nihil, nihil. n. 56. Duae leges et duae cupiditates, anima una, et amoris proprii altera, tamdiu perdurant, quamdiu perdurat amor proprius; unde quando purgatus est et mortuus, ut fit per viam internam, non adsunt amplius duae illae leges, nec aliquid sentitur amplius. Eine derartige Lehre ist immer mit der anderen verbunden, daß auf einem solchen Standpunkte des inneren Lebens kein Fall mehr möglich sei. Daher werden auch folgende Sätze der Quietisten verworfen. n. 61. Anima, quum ad mortem mysticam pervenit, non potest amplius velle aliud, quam quod Deus vult, quia non habet amplius voluntatem, et Deus eam illi abstulit. n. 63. Per viam internam pervenitur ad statum continuum, immobilem in pace imperturbalili. Vgl. “Neue Untersuchungen”, zweite Aufl., S. 211 ff.

Die zweite Bemerkung ist, daß auch der Gerechte nach der Lehre der katholischen Kirche von sogenannten läßlichen Sünden sich nicht ganz frei zu erhalten weiß und vielfach fehlt, und deshalb nicht umsonst um Vergebung der Sünden täglich im Gebete des Herrn fleht. Da jedoch damit der Wille des Wiedergebornen von Gott und seinem heiligen Gesetze, das er liebt, nicht entfernt wird, und dergleichen Vergehungen mehr aus der Schwäche des neuen Lebens hervorgehen, als aus einem Reste von wirklicher Verkehrtheit des Willens, so begründen auch Sünden der Art keine Abbrechung des neu gewonnenen Verhältnisses zu Gott, und die innere Rechtfertigung erscheint darum, nach Bossuets Ausdrucke, nicht als unwahr, obgleich auch nicht als vollkommen; diese Schwäche fordert aber jedenfalls zur steten Aufmerksamkeit auf sich, und zum ununterbrochenen Gebete um göttliche Gnade und immer sich mehrende Heiligung auf [141].

[141] Concil. Trident. Sess. VI. can. 23. Si quis hominem semel justificatum dixerit amplius peccare non posse, neque gratiam amittere atque ideo eum, qui labitur et peccat, nunquam vere fuisse justificatum, aut contra, posse in totam vitam peccata omnia etiam venialia vitare nisi ex speciali Dei privilegio ... anathema sit.

§14
Lehre der Protestanten von der Rechtfertigung und Heiligung

Der Begriff, den die Protestanten von der Rechtfertigung geben, wird von der Konkordienformel kurz also bestimmt: “das ‘Rechtfertigung’ bedeutet, jemanden für gerecht erklären, von den Sünden und den ewigen Strafen der Sünde wegen der Gerechtigkeit Christi, die dem Glauben von Gott zugerechnet wird, freisprechen” [142], und sagt ausdrücklich, unsere Gerechtigkeit sei außer uns [143]. Mit diesen Erklärungen stimmt auch Calvin vollkommen überein [144].

[142] Solid. Declar. III. de fid. justif. § 11. p. 655. Vocabulum justificationis in hoc negotio significat, justum pronuntiare, a peccatis et aeternis peccatorum suppliciis absolvere propter justitiam Christi, quae a Deo fidei imputatur.

[143] L. c. § 48. p. 664. Cum igitur in ecclesiis nostris apud theologos Augustanae confessionis extra controversiam positum sit, totam justitiam nostram extra nos esse ... quaerendam, eamque in solo Domino nostro Jesu Christo consistere etc.

[144] Calvin. Instit.l. III. c. 11. § 2. fol. 260. Ita nos justificationem simpliciter interpretamur acceptationem, qua nos Deus in receptos pro justis habet. Eam in peccatorum remissione ac justitiae Christi imputatione positam esse dicimus. § 3. Ut pro justis in Christo censeamur, qui in in nobis non sumus.

Die Rechtfertigung im protestantischen Sinne ist ein richterlicher Akt Gottes, wodurch der gläubige Sünder von den Strafen der Sünde, aber nicht von dieser selbst befreit wird, während die Katholiken einerseits die Vergebung der Sünde, Schuld und Strafe, anderseits die positive Heiligung in gleicher Weise durch die rechtfertigende Tat Gottes erfolgen lassen. Der große Gegensatz der Bekenntnisse besteht demnach darin, daß nach der katholischen Lehre die Gerechtigkeit Christi im Akte der Rechtfertigung unmittelbar von den Gläubigen aufgenommen und hiermit zugleich eine innere wird, das gesamte sittliche Leben des Gläubigen verwandelnd; während die Gerechtigkeit nach den protestantischen Grundsätzen in Christo bleibt, auf die Gläubigen nicht innerlich übergeht und zu denselben zunächst nur in eine äußerliche Beziehung, in ein äußerliches Verhältnis tritt: sie bedeckt nämlich die Ungerechtigkeit derselben, und zwar nicht bloß die vergangene, sondern die bleibende, indem durch die Rechtfertigung der Wille nicht geheilt wird. Wir können demnach auch sagen: nach den katholischen Grundsätzen prägt sich Christus durch die Rechtfertigung im Gläubigen lebendig ein und aus, so daß dieser, wenn auch ein unvollkommenes und schwaches, doch ein wirkliches Abbild vom Urbilde wird; nach den protestantischen dagegen wirft Christus nur seinen Schatten auf den Gläubigen, unter welchem die fortwährende Sündhaftigkeit von Gott nur nicht bemerkt wird. Daher denn die ausdrückliche Bemerkung der Konkordienformel, die Gläubigen würden wegen des Gehorsams Christi als Gerechte betrachtet, obgleich sie vermöge der verdorbenen Natur noch wahrhaft Sünder seien und bis zum Tode bleiben [145].

[145] Solid. Declar. III. de fid. justif. § I 5. p. 657. Per fidem propter oboedientiam Christi justi pronunciantur et reputantur, etiamsi ratione corruptae naturae suae adhuc sint, maneantque peccatores, dum mortale hoc corpus circumferunt.

Die eben gemachten Mitteilungen zeigen von selbst, daß sich die Protestanten die oben (§ 13) von uns als einseitig und írrig dargestellten Begriffe von Gnade und Rechtfertigung angeeignet haben. Seine nähere Erklärung erhält aber der Gegensatz der Konfessionen noch durch folgende Punkte, welche zugleich seine weitgreifenden praktischen Beziehungen beweisen. Die auch nach der Rechtfertigung, wie die Katholiken nicht leugnen, zurückbleibende Begierlichkeit, der bloße Reiz zur Sünde, wird von den Protestanten als die Sünde an und für sich, und zwar als die noch vorhandene Erbsünde, dargestellt, die Unterscheidung aber zwischen der bloßen Empfindung des Reizes zur Sünde und der Einwilligung in denselben als eine unwesentliche, ja als eine unwahre verworfen. Gerade auf diesen Grund stützen sie die Behauptung, daß die Rechtfertigung nur in der Erklärung des Sündennachlasses, nicht in der Entsündigung bestehe, weil ja die Erbsünde noch bleibe und zwar auch im Willen. Ebenso wird behauptet, daß zwischen läßlicher Sünde und Todsünde kein innerer und wesentlicher Unterschied bestehe; denn, so lehren die Protestanten, an sich verklagen alle Sünden den Menschen vor Gott in gleicher Weise, wie sie auch beschaffen sein mögen; alle verdienen den (ewigen) Tod. Den einzigen, entscheidenden Unterschied der Sünder vor Gott bilde der Glaube an die Verdienste Christi; wenn der Mensch glaube, und solange er glaube, seien alle seine Sünden Erlaßsünden, so wie umgekehrt ohne diesen Glauben keine seiner Sünden verziehen werde, da im Grunde der Unglaube einzige Sünde sei.

Die höchst auffallenden Grundsätze enthalten folgende Momente in sich. Wenn der Gerechtfertigte in sich selbst betrachtet, ebensosehr Sünder und verdammlich ist, als der Ungerechte, so wird zwischen dem Bekehrten und Unbekehrten dem moralischen Sein nach ein innerer und wesentlicher Unterschied nicht anerkannt, die biblischen Gegensätze vom alten und neuen Menschen, vom alten und neuen Leben, von der neuen Schöpfung, von der ersten Geburt und der Wiedergeburt verlieren nicht nur ihre Schärfe, sondern guten Teils ihre sittliche Bedeutung (§ 29), der Begriff der Buße, durch welche der Übergang von dem einen in den anderen Zustand vermittelt wird, muß durchaus einseitig, ja völlig verkehrt gefaßt werden (§ 33), und die so nachdrückliche Rede der heiligen Schrift von der durch Christus bewirkten Befreiung von der Sünde, und der Ertötung (Entwurzelung) derselben in den Gläubigen Röm VI, VIII, 1-4. ist weiter nichts als gehaltloser Schwulst, ja Veranlassung zur jammervollsten und lächerlichsten Selbsttäuschung. Die weiteren Folgen der Lehre aber, daß in denen, welche an die Verdienste Jesu Christi glauben, jeglicher Unterschied zwischen läßlicher Sünde und Todsünde aufgehoben sei, werden sich unten von selbst entwickeln und herausstellen (§ 16). Hier mögen nur einige Stellen ausgehoben werden, die uns zeigen, zu welchem sittengefährlichen Lehrvortrage ein System führt, das zwischen der Empfindung des Reizes zur Sünde und der Einwilligung in denselben nicht wesentlich unterscheidet: indem jener, solange wir leben, unvermeidlich ist, erscheint auch diese als immer zugleich vorhanden, und vom Standpunkte der sittlichen Würdigung aus selbst die Tat nicht strafwürdiger als die unwillkürliche sinnliche Lockung zu derselben. So beruft sich Melanchthon auf das christliche Bewußtsein, welches einem jeden sage, daß auch der Christ nichts weniger in seiner Gewalt habe, als sein Herz, dessen sämtliche Bewegungen unrein seien [146].

[146] Melancht. loc. theolog. p. 18. Christianus agnoscet, nihil minus in potestate sua esse, quam cor suum etc. “Cor” gebraucht Melanchthon auch anstatt “Voluntas”, weil der Mensch eigentlich keinen Willen habe, sondern nur Triebe und Begierden.

Daher stellt derselbe Melanchthon den Katholiken die Frage: suchen nicht auch die Heiligen das Ihrige? und ist wirklich der Meinung, der Heilige, wahrhaft vor Gott Gerechtfertigte, bleibe eitler Ruhmbegierde, der Habsucht und dergleichen notwendig unterworfen [147]. Luther spricht von böser Lust, Geiz, Zorn, Unzucht und fügt ein bedeutungsvolles Etcetera hinzu, was alles noch im Gerechten sei [148]. Auch Calvin macht uns mit dergleichen Heiligen bekannt [149]. Wirklich ein wunderlicher Heiliger, der das Seinige sucht, und nicht Christi Ruhm; ebenso seltsam die Verbindung von Begriffen, wenn uns zugemutet wird, einen geizigen, unzüchtigen Heiligen zu denken; denn nach den Gesetzen der hebt das Prädikat das Subjekt auf.

[147] L. c. p. 138. Annon sua etiam quaerunt sancti? Annon in sanctis amor est vitae, gloriae, securitatis, tranquillitatis, rerum? Man bemerke zugleich die seltsame Einandergleichsetzung von amor gloriae und securitatis, tranquillitatis, als wenn das letztere an sich so viel als das erstere wäre, welches einige Zeilen weiter unten durch xenodoxia näher erläutert wird. Wenn aber Melanchthon sagt, die Parisienses (die Doctoren der Sorbonne als Repräsentanten der katholischen Theologie) betrachteten die affectus internos nicht, sondern richteten ihren Blick auf bloße Äußerlichkeiten, so mag er dies vor Gott verantworten.

[148] Auslegung des Briefes an die Galater. Wittenb. 1556. I. Th. p. 202. b.

[149] Calvin. Instit. 1. III. c. 3. § Io. fol. 213. Doch ist seine Ausdrucksweise um vieles milder.

Doch, wie ist es auch eigentlich zu verstehen, wenn von der Habsucht, Geiz, vom Zorn und von der Unzucht der Heiligen gesprochen wird? Ist etwa nur der auch in ihrem Fleische noch eingesenkte Stachel gemeint, welcher sie wohl gerne zu Werken des Fleisches treiben möchte, aber endlich doch nur in erfolgloser Anstrengung ermüdet? Dann ist nicht zu begreifen, wie dergleichen vergebliche Bemühungen Habsucht, Geiz, Zorn und Unzucht genannt werden dürfen; sollen wir uns aber einen Sieg dieses Stachels über den Willen denken, oder gar einen Vollzug seines Antriebes in der äußeren Tat, wie können die Besiegten Heilige und Gerechte genannt werden? Röm VIII, I - 9. 13. Eine solche verworrene Redeweise hat in der Confundierung wesentlich verschiedener Begriffe ihren Grund, und man müßte sich sehr wundern, wenn die Gleichsetzung des sehr zu Unterscheidenden, ja des Entgegengesetzten im Begriff und im Wort, nicht auch im Leben eine Gleichhaltung zur Folge haben sollte.

So viel vorläufig von der Rechtfertigung im protestantischen Sinne; nun auch von der Heiligung nach demselben Systeme, denn es wäre im höchsten Grade ungerecht, wenn nun nicht auch noch ausgeführt würde, daß nach dem lutherischen Systeme an die vertrauensvoll aufgenommene Erklärung der Sündenvergebung auch die Verklärung des sündigen Menschen, die sittliche Verwandlung, die Heiligung sich anschließen müsse. Der einer so gnadenvollen, so unverdienten Erlassung der Sünde sich bewußte Mensch soll sich auch bestreben, in dankbarer Erwiderung so großer Wohltat, sich ernstlich zu bessern, und Gottes Gebote immer treuer zu beobachten. In dem Gerechtfertigten werde die Erbsünde durch die Mitteilung des Heiligen Geistes doch geschwächt, wenn auch nicht getilgt, und in dem Maße als die Schwächung derselben zunehme, mehre sich die Heiligung. Calvin geht sogar, sich der katholischen Betrachtungsweise nähernd, so weit, daß er gesteht, wie Christus nicht geteilt werden könne, so werde sich der Mensch in Gemeinschaft mit ihm auch der Rechtfertigung und Heiligung zugleich bewußt; wer also immer von Gott zu Gnaden aufgenommen werde, erfreue sich zugleich des Geistes der Sohnschaft, durch dessen Kraft die Umgestaltung in das göttliche Bild erfolge.

[150] Calvin. Instit. l. III. c. 11. § 6. Vgl. Calvin. Antidot. in Concil. Trid. Opusc. p. 702. Neque tamen interea negandum est, qua ratione (juxta quorundam opinionem) per solam quidem fidem coram Deo justificatur; sed tamen ita, ut absque operibus salutem aeternam consequi impossibile sit. Mit der Rechtfertigung ohne Werke ist also auch die Seligkeit ohne Werke zugeteilt.

So erfreulich indes die Verbesserung ist, so genau sie auch mit Calvins Darstellung der Erbsünde und seiner Beschreibung des Prozesses der Wiedergeburt im Zusammenhange steht, so bleibt doch eine wesentliche Verschiedenheit zwischen beiden Systemen, dem katholischen und dem protestantischen, zu diesem das reformierte gezählt, immerhin. Denn indem nur eine Schwächung, nicht eine Tilgung der Erbsünde als solcher zugegeben wird, kann zugleich auch nur eine graduelle, nicht eine wesentliche sittliche Verschiedenheit zwischen dem alten und neuen Menschen behauptet werden, was der katholischen Kirchenlehre eben so sehr, als der Würde des Christentums, dem Begriffe eines durch dasselbe mitgeteilten neuen, folglich das alte verdrängenden Lebensprinzipes, und der ausdrücklichsten Lehre Heiligen Schrift widerspricht. Beschränkt sich der Einfluß Christi auf den Menschen darauf, daß dieser sittlich nur um etwas besser, nicht ein sittlich ganz anderer Mensch wird als der Heide, so kann strenggenommen von einer eingetretenen Heiligung gar nicht die Rede sein, im inneren Lebensgrunde sind sich beide gleich, nur in der Zucht sind sie verschieden. Die katholische Kirche dringt vor allem auf eine durchgreifende innere Ausscheidung. Ferner besteht die Verschiedenheit darin, daß dem Protestanten die Äußerlichkeit seines Verhältnisses zu Christus bei weitem die Hauptsache ist, so zwar, daß sich der Mensch auf dieser Stufe seines geistigen Lebens ruhig niederlassen kann, und ohne weiter zu schreiten, der Seligkeit gewiß sein darf, indem ihm durch das, was die Reformatoren Rechtfertigung nennen, die Sünden einmal vergeben, und damit zugleich auch die Pforten Himmels eröffnet sind [151], während dem Katholiken nur dann die Sünden vergeben werden, wenn er sie verläßt, und der Gerechtfertigte, Gottgefällige ihm in jeder Beziehung eins mit dem Geheiligten ist.

[151] Calvin Instit. l. III, c. 11. §. 15. bekämpft er zuerst den Petrus Lombardus, dessen Lehre er also bezeichnet: Primum, inquit, mors Christi nos justificat, dum per eum excitatur charitas in cordibus nostris, qua justi efficimur: deinde quod per eandem extinctum est peccatum ... dann wendet sich Calvin gegen Augustin: ac ne Augustini quidem sententia ... recipienda est. Tametsi enim egregie hominem omni justitiae laude spoliat, ... gratiam tamen ad justificationem refert, qua in vitae novitatem per spiritum regeneramur. Hierauf heißt es: scriptura autem, cum de fidei justitia loquitur, longe alio nos ducit. §. 21. schließt er endlich: ut talis justitia uno verbo appellari queat peccatorum remissio.

Selbst dem Calvin ist die Sündenvergebung ganz abstrakt der einzige Grund der Hoffnung der Seligkeit, und wenn er zur Einsicht gelangte, daß Rechtfertigung und Heiligung im inneren Leben nicht getrennt werden mögen, so trennt er sie doch in der Vorstellung wieder, und leitet aus Einem und Demselben verschiedene Wirkungen ab, indem er sagt, daß nur durch die schulderlassende Erklärung Gottes, nicht dadurch, daß mit dem Bewußtsein derselben zugleich die heiligende Kraft gegeben sei, die Gottgefälligkeit gesichert werden, was von der Folge begleitet ist, daß auch ein Minimum von wirklicher Besserung, ohne welches die Gewißheit der Begnadigung nach Calvin nicht eintritt, in allweg zur Seligwerdung genüge.

Fügen wir der bisherigen Darstellung noch einige, der tieferen wissenschaftlichen Würdigung des Systemes der Lutheraner gewidmete Anmerkungen bei. Der Punkt, auf welchen hier die Aufmerksamkeit ganz vorzüglich hinzulenken ist, besteht in der Erscheinung, wie gefällig die Lehre von der Erbsünde der von der Rechtfertigung die Hand bietet, wie freundlich jene dieser entgegenarbeitet: jene wurde so tief in das Wesen des Menschen eingegraben, daß diese mit der Oberfläche sich begnügen mußte. Würde die Erbsünde deshalb als den Menschen so sehr verpestend dargestellt, um danach die Kraft des Christentums messen zu lehren, so daß etwa gesagt würde: “Siehe, setzte sich gleich die erstere tief im Innersten des menschlichen Daseins an, so senkt sich die letztere doch noch tiefer in demselben ein, sie dringt bis zum untersten Abgrund der Seele vor, und wirkt heilend daselbst und neuschaffend; ist also die Macht des bösen Prinzips groß, die des guten ist noch größer”, so müßte die verkehrte Behandlung der Erbsünde als eine bloß theoretische Verirrung in allweg entschuldigt werden. Nun aber wird gelehrt, ihre Verwüstungen seien so furchtbar, daß sie selbst im Willen des Wiedergebornen bleiben, die Krankheit, an der wir durch sie darniederliegen, so verheerend, daß wir gar nicht vom Grunde aus wiedergenesen kömıen, und indem wir können, es auch nicht bedürfen. Daher Christus unsere Gerechtigkeit - außer uns; die Ungerechtigkeit im alten Adam in uns, die Gerechtigkeit im neuen - außer uns.

Das Essentielle der Erbsünde, nach Luthers Ausdruck, kehrt hier sehr sichtbar wieder zurück. Lehren die Katholiken, daß nur in dem Falle, daß die vom Fleische ausgehende Sollizitation zur Sünde mit Selbstbewußtsein festgehalten, und vom Willen empfangen werde, der wirkliche Charakter einer Sünde zum Vorschein komme, so behaupten die Lutheraner und Reformierten mit einer Hartnäckigkeit ohnegleichen, jene Sollizitation sei an sich schon Sünde, auch wenn sie mit entschiedenem Widerstreben abgewiesen werden sollte. Man erwäge diese Lehre genau, und erforsche, ob dadurch nicht das Böse als etwas für sich, unabhängig vom Willen und außer demselben Existierendes, ob es nicht als eine Wesenheit betrachtet werde! Was mag es denn wohl auch anderes noch bedeuten können, wenn gesagt wird: es bleibe etwas an sich Böses im Menschen, und sei selbst dann noch böse, wenn es auch der Wille bekämpfe und besiege? Hier liegt das Sündhafte gewiß nicht mehr bloß in einer verkehrten Willensrichtung, eben weil diese nicht verkehrt sein kann, und doch Sünde, d. h. die Erbsünde, im Menschen sein soll. Auffallend wird dies dadurch bestätigt, dass wir erst dann von ihr sollen befreit werden können, wenn unser liebes “Corpusculum” abgelegt wird [152]! Das heißt doch die Sünde sehr substantiös auffassen.

[152] Solid. Declar. III. de fid. justif. §. 7. p. 688. Dum mortale corpusculum circumferunt, vetus Adam in ipsa natura, omnibus illius interioribus et exterioribus viribus inhaeret.

Und doch bleibt es ungemein schwer zu begreifen, wie Luther die Sünde wirklich als etwas, das eine böse Essenz geworden sei, im strengen Sinne des Wortes, solle betrachtet haben. Vielleicht lehrt uns Folgendes Luther besser verstehen, als er sich selbst verstand. Es fallen nämlich vor allem zwei Erscheinungen auf. Erstens wird von Gott versichert, daß er die Sünden der Gläubigen vor seinem Auge verberge, oder diese als gerecht anschaue, obschon sie es nicht seien. Nun ist es wohl gewiß sehr schwer zu begreifen, wie Gott irgend etwas anders anschauen könne, als es in sich selbst ist, also wie ein wirklich Ungerechter als gerecht ins göttliche Bewußtsein könne aufgenommen werden. Es bleibt uns hier nichts weiter übrig, wenn wir dem Wissen Gottes Wahrheit geben wollen, als die Annahme: was von dem Menschen als Sünde betrachtet werde, sei wirklich vor Gott keine, sei bloß eine Folge der Endlichkeit des Menschen; und in dieser Weise wird uns auch erst die Sicherheit begreiflich, die bei dem Glauben an eine bloß äußerliche Rechtfertigung stattfindet. Daß sich etwas dieser Art im Hintergrunde des Bewußtseins jener verstecke, die dieser Betrachtungsweise der Rechtfertigung huldigen, wird von der zweiten Erscheinung, auf die wir aufmerksam machen müssen, gar sehr bestätigt.

Der Akt der Rechtfertigung und das ganze Werk der Wiedergeburt wird allein als Gottestat dargestellt [153]; nun bietet es der Verwunderung einen reichen Stoff dar, warum denn Gott nicht durchdringe, da er ja allein wirksam ist, und warum er die Sünde nicht bis auf den Grund tilge und seine ungehemmte Macht nicht so recht in ihrem ganzen Glanze entwickle. Der ganz passiv sich verhaltende Mensch könnte doch wohl während dieses rechtfertigenden Vorganges mit ihm ganz umgewandelt werden. Warum geschieht es denn nun nicht? Wir werden auf denselben Gedanken, wie oben, in einer etwas veränderten Form zurückgeführt: daß die ursprüngliche Einrichtung des Menschen schon die Sünde bedinge, also notwendig sei, und darum auch von Gott nicht angerechnet werde. Denn die Bemerkung Calvins, der das Anstößige der Vorstellung, Gott sei allein bei der Wiedergeburt tätig, ohne ein- oder durchgreifend tätig zu sein, gefühlt zu haben scheint, die Bemerkung Calvins, es erfolge dieses mangelhafte Einwirken nur deshalb, damit Gott Grund habe, den Menschen alle Augenblicke vor sein Tribunal rufen zu können, möchte wohl niemanden im Ernst befriedigen [154].

[153] Solid. Declar. II. de liber. arbitr. § 44. p. 645. Tantum boni, et tamdiu bonum operatur, quantum et quamdiu a spiritu Dei impellitur. Anders der Katholik, welcher glaubt, der göttliche Geist treibe den Menschen immer an, der Mensch aber lasse sich nicht immer treiben und bleibe aus seiner Schuld hinter dem göttlichen Antrieb zurück.

[154] Calvin. Instit. l. III. c. 11. fol, 169. Nam hoc secundum (reformationem in vitae novitatem) sic inchoat Deus in electis suis, totoque vitae curriculo paullatim, et interdum lente in eo progreditur, ut semper obnoxii sint ad ejus tribunal mortis judicio. Hier ist zugleich das Fortschreiten im Guten allein von Gott abhängig gemacht und mit Bewußtsein die Ursache des Zurückbleibens in demselben auf ihn zurückgeführt.

Calvin hätte seine unbedingte Notwendigkeit alles Geschehens als Erklärung zu Hilfe rufen sollen. Diese Notwendigkeit, des Sündigens in der gegenwärtigen menschlichen Form ist denn nun der wahre Grund dieser Theorie und Möglichkeit, sich ungeachtet fortwährenden Sündigens so tief zu beruhigen; obschon er nicht ins Bewußtsein der Reformatoren trat. Wenigstens dürfte sich kein anderer speculativer Begriff von der protestantischen Darstellung der Erbsünde, dieselbe in ihrer Verbindung mit der Rechtfertigungslehre gedacht, gewinnen lassen. Luther hätte sich hiernach nur nicht gut ausgedrückt, wenn er sagte, die Erbsünde sei von der Wesenheit des Menschen; er hätte nur sagen sollen, die Sünde klebe sich notwendig an die Wesenheit des Menschen an. So rächten sich denn die Bestimmungen Luthers und Calvins über die Freiheit des Menschen, und wenn sie sich auch noch so sehr über die Größe der Sünde auslassen, gegen ihren Willen wurde sie am Ende doch als keine betrachtet, wie es die Bestimmung des Verhältnisses, in welches sie Gott zu den Menschen überhaupt setzten, erforderte. Was sie über den Ursprung des Bösen lehrten, kehrt hier zurück, und auch im lutherischen Systeme blieben die Folgen jener Lehre, obschon die Lutheraner die Lehre selbst verwarfen. Ganz anders, wie oben schon gesagt, in der katholischen Kirche; weil so streng und mit blutendem Herzen die Wahrheit festgehalten wird, daß nur in der Freiheit die letzte Ursache der Sünde zu suchen sei, so konnte, so mußte auch eine wahre Erlösung von der Sünde festgehalten werden.

Vom rechtfertigenden Glauben

§ 15
Katholische Betrachtungsweise

Die Lehre vom rechtfertigenden Glauben erlitt dasselbe Schicksal, wie alle Grundlehren des Christentums. Seit fünfzehn Jahrhunderten hatten die Christen in und aus demselben gelebt, viel Geistvolles darüber gedacht und in zahlreichen Schriften niedergelegt, noch Tieferes aber, in keine Begriffe zu Passendes und durch kein Wort zu Bezeichnendes dabei empfunden; indes in Ermangelung einer mit Entschiedenheit ausgesprochenen und von vielen festgehaltenen irrigen Ansicht von jenem Glauben war man doch zu einer recht erschöpfenden, in sich völlig klaren Reflexion über denselben ebensowenig gekommen, als vor Arius über die Lehre von der Gottheit Christi, und vor Pelagius über die von der Gnade. Daher geschah es auch, daß, gleichwie in den eben berührten Artikeln vor der Synode von Nizäa und den afrikanischen und gallischen Konzilien manches Unklare, manches sich selbst Widersprechende bei den christlichen Schriftstellern gefunden wird, ähnliches auch in den verschiedenen Darstellungen vom rechtfertigenden Glauben vor der Synode von Trient zum Vorschein kommt, und es eine ebenso ernste und große, als überraschende Aufgabe der auf derselben versammelten Väter ward, die reine Wahrheit zu bestimmen und vom Irrtümlichen auszuscheiden [155].

[155] Pallavic. histor. Concil. Trident. l. VIII. c. 4. n. 18. p. 262. Ingens omnes incesserat cura explicandi effatum apostoli, hominem justificari per fidem.

So wenig Arius und Pelagius, Männer, die übrigens von Luther tief-charakteristisch verschieden waren, und weit unter ihm stehen, ihre Meinungen aus der Luft gegriffen hatten, sondern nur dunkle, da und dort gangbare Vorstellungen recht lebendig aufnahmen und allseitig ausbildeten, ebenso schloß sich der letztere auch nur an schon Vorhandenes an, wie allein jene berühmte vor dem Ausbruche der Kirchenspaltung von dem genannten Reformator abgelegte Beichte lehrt; wogegen die Kirche das, was stets und allgemein von ihrem Anfang an gelehrt worden war, jetzt zum klarsten Bewußtsein erhob, in die Gestalt des Dogma brachte, und vom bloß Individuellen ausschied.

Einige von den zu Trient anwesenden Theologen beschäftigten sich vorzüglich mit der Bestimmung des Gegensatzes, den der heilige Paulus zwischen den nicht rechtfertigenden Werken und dem rechtfertigenden Glauben aufstellt. Der Bischof von Agatha zeigte mit dem von Lanciano in ausführlichem Vortrage, Paulus bestreite bloß die rechtfertigende Kraft jener Werke, die dem Glauben vorangehen, und demnach nicht aus ihm entspringen (Pallavic. l. c. n. 13. p. 261). Hiermit übereinstimmend bemerkte der Bischof Cornelius Mussus, der Apostel spreche der Äußerlichkeit der Werke den Wert ab; Abraham z. B. sei nicht dadurch gottgefällig geworden, daß er seinen Sohn zum Opfer brachte oder durch andere ähnliche Handlungen, sondern durch die inneren Tätigkeiten des Glaubens und andere Tugenden, welche mit der geheiligten, vom Glauben ausgehenden Willensrichtung zusammenhängen, und in guten Werken sich tätig erweisen (Pallavic. l. c. n. 14. p. 261). Sehr richtig war hiermit anerkannt, daß Paulus nicht die Werke eines in Christo geheiligten Menschen im Auge gehabt, und dieselben ausgeschlossen habe, wenn er in den Werken, im Gegensatz vom Glauben, die Kraft, gottgefällig zu werden, nicht finden wollte. Mit andern Worten: sie bemerkten, daß Paulus nur der alten, ungenügenden, gesetzlichen Ordnung den neuen von Gott dargebotenen Heilsweg entgegenstelle, und der lebendigen Anschließung an denselben (pistis) allein die Kraft, gottgefällig zu machen, beilege.

Diese Bestimmungen waren indes mehr negativ: folgende sprechen sich positiv aus. Der Glaube an Christus rechtfertige, bemerkte ein anderer Theologe, heiße soviel: der Glaube sei die schlechthin notwendige Wurzel, aus welcher sich alle geistigen Aktionen, die gottgefällig machen, entwickeln, so daß mit dem Glauben an sich und unmittelbar die vollendete Gottgefälligkeit noch nicht gesetzt sei, wohl aber in seiner weiteren Entfaltung; und ebenso kurz als treffend fügte Claudius Jajus hinzu: durch den Glauben werde uns die Gnade verliehen, nicht in allweg schon gottgefällig zu sein, sondern gottgefällig werden zu können, was Bertanus noch durch die Bemerkung erläuterte, daß Paulus nicht sage, vom Glauben, sondern durch den Glauben werde der Mensch gerechtfertigt; denn unsere Gerechtigkeit sei nicht der Glaube selbst, sondern in diesem sei uns nur die Macht gegeben (Joh 1,12), dieselbe zu erwerben (Pallavic. l. c. n. 3. p. 260). Noch dürfte eine Äußerung des Bernard Diaz der Erwähnung wert sein; dieser sagte nämlich, es werde aus dem Grunde dem Glauben die rechtfertigende Kraft zugeschrieben, weil er uns aus der angeborenen Dürftigkeit (erdwärts gerichteten Gesinnung) erhebe und in gewissen Bewegungen bestehe, die uns auf eine das natürliche Dasein erhabene Stufe des geistigen Lebens versetzen; so daß wir von Gott als solche betrachtet würden, die den Weg, sein Wohlgefallen (durch die Anschließung an Christus) zu erwerben, bereits betreten haben [156].

[156] L. c. n. 16. p. 262. Ideo dici hominem per fidem justificari, quod haec ex humilitate nativa nos attollit, motusque quosdam super conditionem naturae nobis imprimit, efficitque ut a Deo respiciamur ceu iter justitiae jam ingressi.

Alle diese Bestimmungen drücken ein und dasselbe nur auf mannigfaltige Weise aus; und das Concilium von Trient billigte sie, wenn es sagt: “der Glaube ist der Anfang alles Heils, die Grundlage und die Wurzel aller Rechtfertigung; denn ohne ihn ist es unmöglich Gott zu gefallen, und zu seiner Kindschaft zu gelangen” [157].

[157] Concil. Trident. Sess. VI. c. VIII. Quomodo intellígitur, impium per fidem, et gratis justificarí. Cum vero apostolus dicit, justificari hominem per fidem, et gratis; ea verba in eo sensu intelligenda sunt, quem perpetuus Ecclesiae catholicae consensus tenuit et expressit; ut scilicet per fidem ideo justificari dicamur, quia fides est humanae salutis initium, fundamentum et radix omnis justificationis: sine qua impossibile est placere Deo et ad filiorum ejus consortium pervenire: gratis autem ideo dicamur, quia nihil eorum, quae justificationem praecedunt, sive fides, sive opera, ipsam justificationis gratiam promeretur. Si enim gratia est, jam non ex operibus: alioquin, ut idem Apostolus inquit, gratia non est gratia.

Der Glaube ist also der Anfang des Heils, jedoch nicht ein Anfang, der jemals während dieses Zeitlebens, etwa nachdem bedeutende Fortschritte gemacht sind, wieder verlassen werden kömıte; denn er ist zugleich die bleibende Grundlage, worauf das ganze Heilsgebäude errichtet wird; aber auch nicht etwa nur eine untergelegte Masse, mit welcher das übrige in keinem organischen Verband stünde, denn er ist die Wurzel der Rechtfertigung. Seiner Kraft und Tätigkeit wird nämlich die rechtfertigende Gnade, das neue, den Menschen aus einem Feinde in einen Freund Gottes verwandelnde Lebensprinzip, die göttliche Liebe verliehen (fides impetrat justificationem sagen die Scholastiker), obgleich auch er diese Gnade nicht verdient. Eine eigentliche Definition des Glaubens hat indes die Kirchenversammlung nicht gegeben; der römische Katechismus bietet schon eher eine solche dar, wenn er sagt: “das Wort ‘Glauben’ heiße hier nicht so viel als meinen und dafürhalten, sondern es habe die Bedeutung einer (in Kraft eines freien Unterwerfungsaktes vollzogenen) festen Beipflichtung, einer solchen nämlich, wodurch der Geist dem seine Geheimnisse offenbarenden Gotte entschieden und bleibend zustimme” [158]. Die Katholiken betrachten den Glauben als eine Wiederanknüpfung mit Gott in Christo vorzüglich mittels der durch die Gnade erleuchteten und gestärkten Erkenntniskräfte, womit die Erregung von mancherlei Gefühlen mehr oder weniger verbunden ist; er ist ihnen ein göttliches Licht, in welchem der Mensch die göttlichen Ratschlüsse sowohl erkennt, als anerkennt, und umfaßt nicht nur, was Gott dem Menschen ist, sondern auch, was der Mensch Gott werden soll.

[158] Catechísm. Conc. Trid. p. 17. Igitur credendi vox hoc loco putare, existimare, opinari, non significat, sed ut docent sacrae literae, certissimae assensionis vim habet, qua mens Deo sua mysteria aperienti firme constanterque assentitur ... Deus enim, qui dixit, de tenebris lumen splendescere, ipse illuxit in cordibus nostris, ut non sit nobis opertum Evangelium, sicut iis, qui pereunt.

Da nun die Rechtfertigung im Sinne der Katholiken in der völligen Umwandlung des ganzen inneren Menschen besteht, so erscheint es begreiflich, daß sie auf das nachdrücklichste einschärfen, der Glaube allein mache nicht gerecht vor Gott, er sei vielmehr nur die subjektive erste, unerläßiche Bedingung, es zu werden, die Wurzel, aus welcher das göttliche Wohlgefallen am Menschen herauswachse, der Grund, aus dem sich die Kindschaft Gottes entwickle. Dringt aber der Glaube von der Intelligenz aus und von den zugleich durch sie erregten Gefühlen in den Willen ein, durchdringt er diesen, belebt und befruchtet er ihn durch das ihm gewährte neue göttliche Lebensprinzip, und erzeugt in dieser Weise den neuen nach Gott geschaffenen (ganzen) Menschen, oder: entzündet sich, nach dem Ausdruck des Seripandus auf der Synode zu Trient [159], aus dem Glauben die Liebe wie aus dem Schwefel das Feuer, dann erst ist nach ihnen die Wiedergeburt, die Rechtfertigung eingetreten.

[159] Pallavic. hist. Concil. Trident. l. VIII. c. 9. n. 6. p. 270. Quemadmodum a sulphure ignis emicat, ita per eam (fidem) in nobis charitatem succendi, quae praeceptorum observationem et salutem secum trahit.

Daher kannten auch die mittelalterlichen Schulen einen Glauben, von welchem sie sagten, daß er allein rechtfertige; er ist unter der Bezeichnung der fides formata bekannt, unter welchem die Scholastiker den Glauben verstanden, der seine Seele, als sein belebendes, gestaltendes Prinzip (forma) die Liebe in sich hat, weswegen er auch fides charitate formata, animata, fides viva, vivida genannt wurde. Es ist dies jener höhere Glauben, der den Menschen in eine wirkliche Lebensgemeinschaft mit Christus bringt, mit unendlicher Hingebung an Gott, mit dem tiefsten Vertrauen auf ihn, mit voller Demut und inniger Liebe gegen ihn erfüllt, den Menschen von der Sünde befreit, und alle Geschöpfe in Gott anschauen und lieben läßt.

Wir erlauben uns einige, diesen Glauben rühmende Stellen aus Schriften, die sowohl vor, als nach dem Beginne der Reformation verfaßt wurden, mitzuteilen. Thomas von Aquin sagt in der Beantwortung der Frage, ob wir durch das Leiden Christi von der Sünde befreit wurden: “Durch den Glauben eignen wir uns das Leiden Christi an, so daß wir der desselben teilhaftig werden. Röm. III, 25. Der Glaube aber, durch welchen wir von der Sünde gereinigt werden, ist nicht der unlebendige (informis) Glaube, der mit der Sünde vorhanden sein kann, sondern der durch die Liebe lebendige (formata), so daß uns das Leiden Christi nicht nur rücksichtlich des Verstandes, sondern auch der Gesinnung eigen wird. In dieser Weise werden uns auch die Sünden durch die Kraft des Leidens Christi vergeben.” [160]

[160] Thom. Aquin. Summa tot. Theolog. P. III. Quaest. XLIX. art. 1. Edit. Thomae a Vio. Lugd. 1580. Vol. III. p. 233. Fides autem, per quam a peccato mundatur, non est fides informis, quae potest esse etiam cum peccato, sed est fides formata per charitatem, ut sic passio Christi nobis applicitur, non solum quantum ad intellectum, sed etiam quantum ad affectum. Et per hunc etiam modum peccata dimittuntur ex virtute passionis Christi. Vgl. Q. CXIII. Art. IV. Motus fidei non est perfectus, nisi sit charitate informatus, unde simul in justificatione impii cum motu fidei est etiam motus charitatis; movetur autem líberum arbitrium in Deum ad hoc, quod ei se subjiciat, unde etiam concurrit actus timoris filialis et actus humilitatis etc.

Der Kardinal Nikolaus von Cusa bemerkt in einer seiner geistvollsten Schriften, vom Frieden, worin er Grundsätze zur Vereinigung aller Religionen in eine aufstellt: “Der Glaube allein rechtfertigt”, und fügt dann hinzu, “es muß aber der gestaltete Glaube sein, denn ohne Werke ist er tot” [161]. Vollständiger erklärt er sich in einer seiner Erregungen in folgender Weise: “Die Liebe, das belebende Prinzip (amor, qui est forma), welches den Glauben und das Vertrauen vollendet, ist es, welche ergreift, festhält und verwandelt. Von Christus wurde Erlösung verlangt, und er antwortete, der Glaube und das Vertrauen gewährten, was geliebt und gewünscht werde. Denn nichts wird sehnsuchtsvoll verlangt, außer was man liebt; wird also der Erlöser geliebt, so erlöst er: die Liebe mithin erlöst, denn es ist die Liebe des Erlösers. In der Liebe ist sonach der geliebte Gegenstand, daher auch der geliebte Erlöser in der Liebe.

[161] Nicol. Cusan. de pace fidei Dialog. Opp. Edit. Basil p. 876. Vis igitur, Deum in Christo nobis benedictionem promisisse vitae aeternae? - Sic volo. Quapropter oportet credere Deo prout Abraham credidit, ut sic credens justificetur cum fideli Abraham, ad assequendam repromissionem in uno semine Abrahae Christo Jesu, quae repromissio est divina benedictio, omne bonum in se complicans. - Vis igitur, quod sola fides illa justificet ad perceptionem aeternae vitae? ... Oportet autem, quod fides sit formata, nam sine operibus est mortua.

Denn Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott in ihm. Der vollendete Glaube, oder das vollendete Vertrauen, was wir den durch die Liebe belebten Glauben nennen (fides formata charitate), ist es, von dem der Heiland sagt, daß er gottgefällig mache. Wer also Christum kennt, und doch sich ihm nicht naht, oder, wer ihm wohl entgegenkommt, aber nicht in Verbindung mit ihm tritt; oder, wer ihm zwar entgegenkommt und in einige Verbindung mit ihm tritt, ihn aber nicht umfasset und mit ihm die festeste Gemeinschaft voll- zieht, ist des Heiles beraubt.” [162]

[162] Nicol. Cus. Excitatt. l. IV. opp. Ed. Bas. 1565, p. 461. Cfr. Pet Lombard. l. III. dist. 23. c. 1. edit. 1516. p. 136. Credere Deum est credendo amara, credendo in eum ire, credendeo ei adhaerere, et ejus membris incorporari; per hanc fidem justificatur impius, ut deinde ipsa fides incipiat per dilectionem operari; fides ergo, quam daemones et falsi christiani habent, qualitas mentis est, sed informis; quia sine charitate est.

Dem Worte dieses Theologen fügen wir eine Stelle Bellarmins bei, der ungefähr ebenso lange nach dem Auftreten Luthers lebte, als Nikolaus von Cusa vor demselben. Er macht zu Gal. V, 6.: “in Christo gilt weder die Beschneidung noch die Vorhaut, sondern der Glaube, der durch die wirksam ist”, die Bemerkung: “damit es keine Veranlassung zur Verwirrungen gebe, erklärt derselbe Apostel (Paulus), welchen Glauben er den rechtfertigenden nenne, wenn er sagt: ‘in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut’, d. h. weder das den Juden gegebene Gesetz, noch die Werke der Heiden machen gottgefällig, sondern der Glaube; aber nicht jeder Glaube, sondern nur der, welcher die Liebe wirksam ist, d. h. der Glaube, der durch die Liebe bewegt, gestaltet (formatur) und gleichsam belebt wird. Ist demnach die Liebe das belebende Princip (forma) des Glaubens, so... sagen die Katholiken mit Recht, der Glaube ohne die Liebe sei tot (informis), mit der Liebe lebendig (formata)” (Bellarm. de justific. L. II. c. 4. Opp. Tom IV. p. 709).

Hiermit mögen wir noch die Erläuterungen eines berühmten katholischen Exegeten aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts über Röm III, 22. verbinden. Nachdem der Apostel gesagt hatte, daß durch die Werke des Gesetzes niemand vor Gott gerecht werde, fügt er hinzu, durch Gott sei ein Heilsweg ohne das Gesetz eröffnet worden, durch den Glauben an Christus nämlich, so daß alle Gläubigen gerecht würden. Zu dem Worte “Gläubigen” bemerkt nun Cornelius a Lapide: “Es sind jene gemeint, welche sich nicht, gleich den Dämonen, mit einem nackten, leeren Glauben begnügen, sondern jene, welche, wie Freunde, einen durch die Liebe gestalteten Glauben (fides charitate formata) besitzen, die also an Christus in der Weise glauben, daß sie auch seine Gebote vollziehen, die einen demutsvollen, lebendigen und gehorsamen Glauben besitzen, kurz, die nicht bloß theoretisch, sondern praktisch glauben (qui credunt non speculative, sed practice Christo)” (Cornelii a Lapide Comment. in omnes divi Pauli epist. Edit. Antverp. 1705, p. 57). Diese Ansicht bietet sich in dem Grade von selbst dem unbefangenen Forscher dar, daß z. B. Heinroth, wahrscheinlich ohne auch nur einen katholischen Theologen je gelesen zu haben, in seiner Pisteodicee sagte: “Der Glaube ist die Basis, die Liebe aber das Prinzip des seligen Lebens” [163].

[163] Heinroth Pisteodicee, Leipzig, 1826, S. 459. Es freut uns bei dieser Gelegenheit noch einen Laien, der als ein sehr geistvoller Ausleger des Briefes an die Römer aufgetreten ist, den Wilhelm Beneke (der Brief an die Römer. Heidelberg 1831) gleichfalls in derselben Beziehung nennen zu können. Man vergleiche S. 64. 74. 145. 241. Nur können wir nicht begreifen, wie er die Lehre von der Präexistenz der Seele im Briefe an die Römer finden konnte.

§16
Lutherísche und reformierte Ansicht vom Glauben

Indem wir nun zur Entwicklung der protestantischen Ansicht vom Glauben fortschreiten, kann es für den Zweck einer möglichst klaren Auffassung dieses dunklen Punktes nur wünschenswert erscheinen, wenn wir zuerst mit dem Verhältnisse bekannt machen, in welches sich Luther und seine Freunde zur eben vorgelegten katholischen Lehrweise setzen. Vor allem ist zu bemerken, daß sie die Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Glauben, von welchen im vorhergehenden Paragraphen gesprochen wurde, bekämpften, nicht um einen von den zweien als den allein wahren und allein so zu nennenden festzuhalten, sondern um beide zu verwerfen. Wenn sie den von den Katholiken als ungenügend zur Rechtfertigung bezeichneten Glauben, den unlebendigen nämlich, gleichfalls nur als einen unzureichenden dargestellt hätten, so wäre es ebenso begreiflich als löblich; allein sie stellten seine Existenz sogar in Abrede, obschon die Schrift so oft und so klar von einem solchen spricht [164]. Die Ursache dieser Erscheinung liegt in der Vorstellung, daß der Glaube das Ergebnis einer ausschließenden Tätigkeit Gottes in dem Menschen sei, einer Vorstellung, die mit der andern, daß er auch unlebendig und erfolglos sich erweisen könne, unvereinbar schien, wogegen die katholische Lehre den Mangel einer fortschreitenden, nicht den ganzen Menschen ergreifenden und durchbildenden Bewegung des Glaubens durch den Widerstand erklärt, den die allenthalben mitwirkende, oder ihre Mitwirkung versagende menschliche Freiheit leistet. Zu welchen auffallenden Schrifterklärungen die protestantische Ansicht führt, insofem sie die Unterscheidung zwischen den genannten zwei Arten von Glauben bestreitet, hat sich schon oben §. 12. ergeben, als von der calvinistischen Prädestinationstheorie gesprochen wurde.

[164] Luther, Ausleg. des Briefes an die Gal. a. a. O. S. 70. "Darumb ist der glaube nicht eine so ociosa qualitas, das ist, ein sogar unnütz, faul, todes Ding, das im Herzen auch eines Todsünders verborgen lige, gleichwie eine leichte unnütze Spreue, oder wie eine tode fliege winterszeit in einer ritze stecket, bis so lang, daß die liebe sonne dazu komme und sie aufwecke und lebendig mache."

Aber auch der Begriff des durch die Liebe lebendigen Glaubens, den die Katholiken als den rechtfertigenden rühmen, wird von den Protestanten verworfen. Als sich im Jahre 1541 Abgeordnete der Katholiken und Lutheraner zu Regensburg versammelten, um, wo möglich, eine Versöhnung der Parteien zu bewirken, vereinigte man sich in dem Artikel vom Glauben in folgender Weise: “Es ist also eine feste und gesunde Lehre, daß der sündige Mensch durch den lebendigen und tätigen Glauben gerechtfertigt werde; denn durch ihn sind wir wegen Christus Gott angenehm und wohlgefällig” (“Firma igitur est et sana doctrina per fidem vivam et efficacem justificari hominem peccatorem; nam per illam Deo grati et accepti sumus”). Luther sprach sein verwerfendes Urteil über diesen Punkt mit den Worten aus: “er sei eine elende, geflickte Notel” [165].

[165] Wie Plank diese Unzufriedenheit zu entschuldigen sucht, s. Geschichte des protest. Lehrbegr. III. Bd. 2 Th. S. 91. Dass sehr viele neuere protestantische Theologen, auch solche, durchaus nicht Rationalisten sind, wie z. B. der sinnige Menken, Luthers Theorie abweisen, kann nicht befremden: aber bemerkenswert ist es, daß sich die Unhaltbarkeit derselben manchen lutherischen Gottesgelehrten in dem Grade bewußtlos aufbringt, daß sie, in der Voraussetzung, Luther habe sich nicht verirren können, ihm und den Seinigen die katholische Lehre unwillkürlich unterschieben. So sagt Dr. August Hahn, Professor in Leipzig (über die Lage des Christentums in unserer Zeit, ein Sendschreiben an Bretschneider S. 64.): “So berichtigt Melanchthon in der Apologie Art. 3. den katholischen Begriff der Rechtfertigung durch gute Werke, indem er die Vollendung der alttestamentlichen Lehre durch das Evangelium von der freien Gnade Gottes in Christo gegen alle, die bei aufrichtiger Reue einen lebendigen, durch die Liebe tätigen Glauben bewahren, nachweist” usw. - In der Tat, der wahre Begriff der lutherischen Orthodoxie ist oft selbst jenen, vor andern Orthodoxe sein wollen, völlig abhanden gekommen.

Noch erlauben wir uns folgende Stellen aus Luthers Auslegung des Briefes an die Galater unsern Lesern zur Kennmis zu bringen. “Unsere Pabisten und Sophisten, sagt er, haben dergleichen auch geleret, als nemlich, das man solt an Christum glauben, und das der glaube die Grundfeste were der seligkeit. Aber doch künde derselbige glaube niemand gerecht machen, Es were denn fides formata. Das ist, er hette seine rechte gestalt von der Liebe zuvor empfangen. Dieses ist denn nicht die wahrheit, sondern ein eitler, ertichter Schein und falsche triegliche teuscherei des Evangelii.”

“Darumb ists nur ungeheuers unnützs gewesche, wie die tollen Sophisten vom fide formata, das ist, von dem glauben, der seine rechte Art und Gestalt von der Liebe empfahen sol, geleret haben. Denn allein der glaube machet gerecht, der durchs wort Christum ergreifet, und mit dem geschmückt oder gezieret wird, und nicht der glaube, der die Liebe in sich schleußt. Denn sol der glaube gewiß und beständig sein, so muß er sonst nichts anders ergreifen, noch sich an etwas anders halten, denn nur an den einigen Christum. Denn in not des Gewissens, kan er sonst auf keinem andern Grund bestehen, denn auf dieser edlen perlen allein. Derhalben, es schrecke einen das gesetz und drücke in der Sünde last, wie seer sie immer künnen, so kan er dennoch, wo er Christum durch den glauben ergrieffen hat, gleichwol nichts deste weniger jmmerdar rhümen, das er dennoch gerecht und from sei. Wie gehet aber das zu? und wodurch ist er so gerecht? Durch den edlen Schatz und Perle, so da heißt Jesus Christus, welchen er durch den glauben zu eigen hat” (Luthers Werke. Wittenb. Ausg. I. Thl. fol. 47. b.).

In derselben Schrift des Reformators lesen wir über den nämlichen Gegenstand die Äußerung: “Wenn aber der Mensch höret, das er an Christum glauben sol und das aber doch solcher glaube ihm nichts helfe noch nutze sei, es komme denn die Liebe auch dazu, welche dem glauben die krafft gebe, und also geschickt macht, das er den Menschen gerecht machen künne, So kann es nimmer feilen (fehlen), der Mensch mus allsobald vom Glauben abfallen, verzweifeln und also denken, Ist dem also, das der glaube on die Liebe nicht gerecht macht, So ist er allerding unnütz und nichts werd, und die Liebe allein kann gerecht machen, denn wenn der glaube die Liebe nicht bei sich hat, die ihm seine rechte formam gebe, das ist, die jn also geschicket und anrichtet, das er gerecht machen kann, so ist er nichts, Ist er aber nichts, wie kann er denn gerecht machen?”

“Und auff das die Widersacher diese jre schädliche und gifftige auslegung bestetigen, ziehen sie den spruch an, aus dem 13. Cap. der ersten Epistel an die Korinther: ‘Wenn ich mit Menschen und Engel Zungen redete und wenn ich weissagen künde, und wüßte alle geheimniß und erkenntniß und hette allen glauben, also das ich berge versetzete, und hette die Liebe nicht, so were ich nichts.’ Welchen Spruch sie halten, das er jnen eine eiserne Maur sei. Aber unverstendige, grobe Esel sinds, darumb künnen sie in S. Pauli schrifften gar nichts, weder verstehen, noch sehen, haben derhalben mit dieser falschen Auslegung nicht allein S. Pauli worten gewalt gethan, sondern auch noch dazu Christum verleugnet und alle seine wohltaten unterdrückt. Darumb sol man sich auch dafür hüten und fürsehen als für einen recht Teuflischen und hellischen gifft, und sol mit S. Paulo allso schließen, daß wir gerecht werden durch den glauben allein und nicht per fidem formatam charitate.”

[166] A. a. O. S. 70. a. Die Reformatoren kommen oft auf die fides formata mit einem großen Unwillen zurück. So Luther in einer Disputation (Opp. Jen. Tom. I. fol. 538. thes. IV.). Docent (sophistae) neque infusam spiritu sancto fidem justificari nisi charitate sit formata. Melancht. loc. theolog. p. 88. Fingunt (vulgus sophistarum) aliam fidem formatam, i. e. charitate conjunctam; aliam informem, i. e. quae sit etiam in impiis carentibus charitate. Calvin. Instit. 1. III. c. 4. n. 8. p. 195. Primo refutanda est, quae in scholis volitat nugatoria fidei formatae et informis distinctio etc.

Was ist denn nun wohl auch der rechtfertigende Glaube im protestantischen Sinne? Der Mensch glaubt, wenn er vertraut, daß er von Gott zu Gnaden aufgenommen sei, und um Christi willen, der durch seinen Tod für unsere Sünden Genugtuung geleistet hat, Vergebung derselben erhalte [167]. Melanchthon drückt sich noch bezeichnender aus, wenn er sagt, der Glaube sei die unbedingte Hingebung in die göttliche Barmherzigkeit ohne Rücksicht auf gute oder böse Werke [168].

[167] Confess. Aug. Art. IV. fol. 13. Item docent, quod homines non possint justificari coram Deo propriis viribus, meritis aut operibus, sed gratis justificentur propter Christum per fidem, cum credunt in gratiam recipi, et peccata remitti propter Christum, quia sua morte pro nostris peccatis satisfecit.

[168] Melancht. loc. theolog. p. 93. Habes, in quam partem fidei nomen usurpet scriptura, nempe pro eo, quod est fidere gratuita Dei misericordia, sine ullo operum nostrorum, sive bonorum, sive malorum respectu: quia de Christi plenitudine omnes accipimus. Am vollständigsten ist die Definition, die Calvin gibt Instit. I. III. c. 2. § 7. fol. 195. Justa fidei definitio nobis constabit, si dicamus esse divinae erga nos benevolentiae firmam certamque cognitionem, quae gratuitae in Christo promissionis veritate fundata, per spiritum sanctum et revelatur mentibus nostris et cordibus obsignatur.

Durch diese Bestimmungen wird uns jedoch das Wesen des Glaubens, welchen die Reformatoren fordern, noch keineswegs klar; wir müssen noch die Art und Weise näher bezeichnen, in welcher der Glaube als der rechtfertigende sich darstellt. Negativ wird dieselbe durch die ausdrückliche Bemerkung anschaulich gemacht, es sei nicht etwa die mit dem Glauben verbundene Liebe, oder der Glaube, inwiefern er sich in Werken tätig erweise, was ihm jene Kraft verleihe [169]; positiv durch die Bestimmung, daß er das Werkzeug und das Mittel sei, welches die Gnade (Barmherzigkeit) Gottes und das verheißene Verdienst Christi ergreife [170].

[169] Apolog. IV. de justif. §. 26. p. 76. Sola fide in Christum, non per dilectionem, non propter dilectionem aut opera consequimur remissionem peccatorum, etsi dilectio sequitur fidem.

[170] Solid. Declar. III. de fid. just. §. 36. p. 662. Fides enim tantum eam ob causam justificat, et inde vim illam habet, quod gratiam Dei et meritum Christi in promissione Evangelii tanquam medium et instrumentum apprehendit et amplectitur §. 23. p. 659. Et quidem neque contritio, neque dilectio, neque ulla alia virtus, sed sola fides est illud instrumentum, quo gratiam Dei, meritum Christi et remissionem peccatorum apprehendere et accipere possumus.

Sollte auch diese nähere Erklärung die Natur des protestantischen Glaubens noch nicht in ein recht helles Licht setzen, so dürfte dies zuverlässig gewonnen werden, wenn wir mit jener Vergleichung bekannt machen, die Calvin bei einer gewissen Gelegenheit zu demselben Zwecke gebraucht. Osiander, Prediger in Nürnberg, später in Königsberg, einer der berühmtesten Anhänger Luthers im Beginne der Reformation, hatte sich erlaubt, eine besondere Rechtfertigungstheorie aufzustellen, die, wenn wir seine dunkle Redeweise und das ihm selbst Unklare gehörig erläutern, ganz die katholische war, was ihm auch oft genug vorgeworfen wurde. Er lehrte unter anderem, die rechtfertigende Kraft liege nicht im Glauben an sich, sondern inwiefern er Christum wesenhaft aufnehme, d. h. nach katholischer Ausdrucksweise, in wiefern er den Menschen durch wirkliche Mitteilung der Gerechtigkeit Christi in eine reelle Gemeinschaft mit diesem versetze. Hierauf entgegnet Calvin, allerdings nehme auch er an, daß der Glaube keineswegs durch seine innere Kraft rechtfertige, denn da er immer schwach und unvollkommerı sei, so würde er auch nur eine mangelhafte Rechtfertigung bewirken.

Der Glaube sei nur das Mittel (Organ), durch welches Christus Gott dargebracht werde; er beselige also den Menschen, gleichwie ein irdenes Gefäß, in welchem sich ein Schatz befinde, den Menschen beglücke, obschon es in sich selbst keinen Wert besitze [171]. Der rechtfertigende Glaube als solcher wird also nicht als ein von dem Geiste Christi ausfließendes, sittlich verwandelndes Lebensprinzip aufgefaßt, sondern er verhält sich zu Christus, wie das irdene Gefäß zum Schatze. Wie diese beiden nicht eins werden, das Gefäß irden, der Schatz golden bleibt, so wird auch der Gläubige mit Christus nicht innerlich durch den rechtfertigenden Glauben vereinigt, sie verhalten sich nur äußerlich zusammen; Christus ist der reine, der Mensch dagegen, obgleich er auf eine ganz gottgefällige Weise glaubt, innerlich unrein: Christus wird vom Menschen durch den Glauben, die Opferschale, Gott dargebracht, ohne daß der Mensch selbst durch Christus ein Gott angenehmes Opfer und als solches gerecht wäre, und infolge davon beseligt würde.

[171] Calvin. Instit. l. III. c. 11. § 7. fol. 262. Quod objicit, vim justifıcandi non inesse fidei ex se ipsa, sed quatenus Christus recipit, libenter admitto, nam si per se, vel intrinseca, ut loquuntur, virtute justificaret fides, ut est semper debilis et imperfecta non efficeret hoc, nisi ex parte: sic manca esset justitua quae frustulum salutis nobis conferret... Neque tamen interea tortuosas hujus sophistae figuras admitto, quum dicit esse Christum: quasi vero olla fictilis sit thesaurus, quod in ea reconditum sit aurum. Neque enim diversa ratio est, fides etiamsi nullius per se dignitatis sit vel pretii, nos justificat, Christum afferendo, sicut olla pecuniis referta hominem locupletat... Jam expeditus est quoque nodus, quomodo intelligi debeat vocabulum fidei, ubi de justificatione agitur. Cfr. Apolog. IV. de justif. § 18. p. 71. Et rursus quoties nos de fide loquimur, intelligi volumus objectum, scilicet misericordiam promissam. Nam fides non ideo justificat aut salvat, quia ipsa sit opus per se dignum, sed tantum quia accipit misericordiam promissam. Cfr. Chemnit. Exam. Conc. Trident. P. I. p. 294.

Diesen Begriff von Glauben erforderte die Annahme einer äußeren im § 14 beschriebenen Gerechtigkeit (justitia extra nos). Auch eine besondere Vorstellung von der Aneignung der Verdienste und des Gehorsams Christi mußte hiernach gebildet werden; nun wurde nämlich gerade das Aneignung des Gehorsams genannt, wodurch er uns nicht angeeignet, nicht auf innere lebendige Weise uns eigen wird, so daß wir gleich dem Erlöser gehorsam würden. Es verhält sich mit dieser neuen Art von Aneignung ungefähr wie wenn jemand ein sehr gelehrtes Buch durch einen Kaufvertrag in seinen Besitz brächte, und ohne dessen Inhalt seinem Geiste tief einzuprägen, und in dieser Weise sich anzueignen, so daß er das lebendige Buch geworden wäre, dafür hielte, er sei nun auch sehr gelehrt, weil das gelehrte Buch sein (äußerliches) Eigentum ist! Nun wird auch erst die Verwerfung der obigen zweiten katholischen Betrachtungsweise vom Glauben vollkommen klar. Übrigens entlehnte Calvin die beschriebene Vergleichung, wie es scheint, aus Luthers Schriften, in welchen sie häufig, nur nicht so ausgeführt, zum Vorschein kommt [172].

[172] Luthers Auslegung des Briefes an die Gal. I. Th. Wittenb. S. 70. “Warumb aber der glaube gerecht mache, ist dies die Ursache, nemlich darumb, daß er den köstlichen edlen Schatz ergreift und gegenwärtig bei sich hat, als nemlich Christum.”

Nach diesen Erläuterungen sind uns auch Stellen aus Luthers Schriften, wie folgende, erklärlich: “Nun siehest du, wie reich der Christ oder der Getaufte ist; denn auch wenn er will, kann er sein Heil nicht verlieren, so groß auch seine Sünden sein mögen, es sei denn, er wolle nicht glauben. Keine Sünde kann ihn verdammen, als der Unglaube allein. Wenn der Glaube an die göttliche, in der Taufe gegebene Verheißung zurückkehrt, oder gar nicht gewichen ist, so wird alles Andere durch den Glauben, oder vielmehr die Wahrhaftigkeit Gottes, in einem Augenblick verschwinden, denn er selbst kann sich nicht verleugnen, wenn du ihn bekennst und treulich seinen Verheißungen dich hingibst. Die Reue aber und das Bekenntnis der Sünden, und dann auch die Genugtuung und alle jene durch Menschen erfundenen Bestrebungen werden dich schnell verlassen und unglückselig machen, wenn du diese göttliche Wahrhaftigkeit vergissest und in jene Dinge dich einläßt. Eitelkeit über Eitelkeit und Betrübnis des Geistes ist alles, was außerhalb des Glaubens an die Treue Gottes angestrebt wird.”

[173] Luther. de captivit. Babyl. Tom. II. fol. 264. Ita vides, quam dives sit homo christianus, etiam volens non potest perdere salutem suam quantiscunque peccatis, nisi nolít credere. Nulla enim peccata eum possunt damnare, nisi sola incredulitas. Caetera omnia, si redeat vel stet fides in promissionem divinam baptisato factam, in momento absorbentur per eandem fidem etc. Hierher ist auch folgende berühmte Stelle aus einem Briefe Luthers an Melanchthon zu beziehen, obwohl sie wegen der offenbaren Geistesüberspannung ihres Verfassers (so wollen wir nämlich glauben) nicht sonderlich urgiert werden darf: aber sehr bezeichnend und dogmengeschichtlich wichtig bleibt sie immerhin: “Sündige kräftig, schreibt Luther, aber sei kräftiger im Glauben, und freue dich in Christo, welcher der Sieger der Sünde ist, des Todes und der Welt. Sündigen müssen wir, so lange wir hier sind. Es ist genug, daß wir durch die Reichtümer der Glorie Gottes das Lamm erkennen, welches Sünden der Welt hinwegnimmt, von diesem wird uns die Sünde nicht losreißen, wenn wir auch tausendmal in einem Tage Hurerei trieben, oder totschlügen.” Epist. Dr. M. Luth. a Joh. Aurifabro coll. Tom. I. Jena. 1556. 4. p. 545. b. sagt nämlich Luther seinem Freunde: Si gratiae praedicator es, gratiam non fictam sed veram praedica: si vera gratia est, verum non fictum peccatum ferto, Deus non facit salvos ficte peccatores. Esto peccator et pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo: qui victor est peccati, mortis et mundi, peccandum est, quamdiu hic sumus. Vita haec non est habitatio justitiae; sed expectamus, ait Petrus, coelos novos et terram novam, in justitia habitat. Sufficit quod agnovimus per divitias gloriae Dei agnum, qui tollit peccata mundi; ab hoc non avellet nos peccatum, etiamsi millies uno die fornicemur aut occidamus. Putas tam parvum esse pretium et redemtionem pro peccatis nostris factam in tanto ac tali agno? Der Brief ist im Jahr 1521 auf der Wartburg geschrieben.

In dieser Stelle wird angenommen, daß neben dem Glauben noch die größten Sünden begangen werden können; dieser ist doch wohl der Glaube nicht, den uns der heilige Paulus empfiehlt, obschon sich Luther immer auf diesen Apostel beruft; wohl aber ist er jenes irdene Gefäß Calvins, auf dessen Oberfläche Christus als Lamm Gottes sich befindet, ohne daß der Geist des Erlösers lebendig den ganzen Menschen durchdränge, die Sünde ertötete und wahrhaft neues Leben in ihm erzeugte. Wer, der je den paulinischen Begriff von dem Glauben beherzigt hat, könnte sich auch einfallen lassen, die These zu verteidigen; “Wenn im Glauben ein Ehebruch begangen werden könnte, er wäre keine Sünde” (Luther. disput. Tom. I. p. 523. Si in fide fieri posset adulterium, peccatum non esset). Auch bei Melanchthon finden wir ähnliche Stellen, von welchen nur eine dargeboten werden soll: “Was du auch immer tust, essen, trinken, mit der Hand arbeiten, lehren, ich füge noch hinzu: solltest du auch offenbar dabei sündigen, schaue nicht auf deine Werke, erwäge die Verheißung Gottes, zweifle im Vertrauen auf dieselbe nicht, daß du nun keinen Richter mehr im Himmel, sondern einen Vater habest, dem du am Herzen liegst, nicht anders wie Eltern ihre Söhne” [174]. Diese Stelle sagt mit andern Worten: gesetzt, du berauschest dich und schlemmest, lasse dir keine grauen Haare wachsen; nur vergiß nicht, daß Gott ein guter Alter ist, der schon weit früher das Verzeihen gelernt hat, als du das Sündigen.

[174] Melancht. l. c. p. 92. Qualiacunque sint opera, comedere, bibere, laborare manu, docere, addo etiam, ut sint palam peccata etc. Ich gestehe, eher könnte ich Tag und Nacht zugleich mir denken, als einen Mann mit der paulinischen pistis und der von Melanchton beschriebenen Sinnes- und Handlungsweise. Und was hindert, ihn sich auch als unkeusch, zornmüthig usw. vorzustellen, wenn man einmal Obiges mit dem Glauben verträglich findet? Worin ist die gula von der libido innerlich verschieden?

Indes haben wir hiermit doch nur eine Seite des lutherischen Glaubens dargestellt, die nämlich, vermöge welcher er rechtfertigt; es steht derselben aber noch eine andere zur Seite, welche die Liebe und die guten Werke aus sich hervorgehen läßt. Luther beschreibt dieselbe an manchen Orten ungefähr wie die Katholiken die göttliche Liebe des Wiedergebornen. Hierher gehören die Schriften des Reformators von der christlichen Freiheit und von den guten Werken, und wer kennt nicht die glänzende Beschreibung des Glaubens in Lu thers Vorrede zum Briefe Pauli an die Römer? “Der Glaube, sagt er, ist ein göttliches Werk in uns, das uns umändert, aus Gott wiedergebiert, den alten Adam ertötet, und uns ganz in andere Menschen, im Herzen, im Gemüte und in allen unsern Kräften gleichsam umbildet und uns den Heiligen Geist mitteilt. Dieser Glaube ist etwas Lebendiges, Wirksames, so daß es unmöglich ist, daß er nicht immer Gutes wirkt. Auch frägt der Glaube nicht erst, ob gute Werke zu tun seien, sondern bevor er sich danach erkundigt, hat er schon viele gute Werke verrichtet, und immer ist er beschäftigt im Wirken.” Hier ist im liebenswürdigsten Widerspruche mit dem Begriffe der lutherischen Rechtfertigung eine Erneuerung und eine Umwandlung des ganzen inneren Menschen gelehrt; der Glaube erscheint als die aus dem Vereine aller den inneren Menschen konstituierenden Kräfte hervorgegangene Blüthe, als eine Äußerung der Gesamttätigkeit derselben, und der Macht des Heilandes über Sünde und Tod ist ein kräftiges Zeugnis gegeben. Auch im Briefe an die Galater nennt er den Glauben “das rechtschaffene Herz, den grundguten Willen und den neugeschaffenen Verstand oder Vernunft”; auch hier will Luther sagen, der Glaube sei eine Wirkung aller geistigen Kräfte des Menschen zumal, wenn sie durch den göttlichen Geist gereinigt und verklärt seien.

[175] [175] Auslegung des Briefes an die Galater. I. Th. deutscher Ausg. von Wittenb. S. 143. Ähnliche Stellen sehr oft.

Wir brechen hiermit die Veröffentlichung der Symbolik ab. Sie ist schon anderwärts im Internet zugänglich, z.B. hier.

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