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Randnotizen

Beobachtungen, theologische Einschätzungen und Kommentare zur Causa Priesterbruderschaft St. Pius X.

Randnotiz 1:
Hans Küng: “Keine Inquisition gegen Ecône!”

Das sagte Hans Küng 1975 in einem Interview mit der NZZ, erschienen in der Ausgabe vom 3. Oktober auf Seite 35. Er forderte Gerechtigkeit für die Traditionalisten und bemängelte das autoritäre, nicht von echten Gesprächen begleitete Vorgehen des Heiligen Stuhles unter Paul VI. gegen Erzbischof Marcel Lefebvre.

Nun will Benedikt XVI. die Versäumnisse von damals wiedergutmachen, und schon wieder ist Hans Küng unzufrieden und beklagt eine “zunehmende Verhärtung des Vatikans”.
Nicht sehr glaubwürdig ...


Randnotiz 2:
Gesprächsklima

In meinem Beitrag, den ich vor etwa zwei Wochen schrieb, als gerade die Gerüchte über die damals bevorstehende Aufhebung der Exkommunikation aufkamen, stellte ich die Frage nach der zu erwartenden Reaktion der Piusbruderschaft: “Wird sie eine ähnliche Größe zeigen wie Papst Benedikt XVI.? Diese Größe würde nicht in Triumphgeheul bestehen, sondern in demütiger Beschämung angesichts der großmütigen Geste des Papstes ...”

Tatsächlich kann man - und das ist erfreulich - den Reaktionen des Generaloberen Bernard Fellay keinen Triumphalismus vorwerfen. Auf die Frage, was er empfinde, antwortete er der italienischen Zeitung Libero in einem Interview, das am 25. Januar veröffentlich wurde: “Freude, Zufriedenheit. Das sind nicht die Gefühle eines Menschen, der glaubt ein Sieger zu sein.” Hier wird ein Ton angeschlagen, der sich wohltuend von dem bisher Gewohnten unterscheidet.

Für die Beschämung hat dann die Affäre um Bischof Williamson gesorgt. Es folgten Entschuldigungen, wie man sie vorher nicht für möglich gehalten hätte.

Man hat den Eindruck, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. von dem hohen Ross, auf dem sie zuvor saß oder zu sitzen schien, herabgestiegen ist. Wenn damit ein Gesprächsklima entstanden ist, das mentale Hindernisse für einen fruchtbaren Dialog überwinden hilft, dann ist das für alle, denen die Einheit der Kirche ein Anliegen ist, ein Hoffnungszeichen. Voraussetzung ist freilich, dass dieses Gesprächsklima anhält und sich nicht auf Bernard Fellay und einige Wenige beschränkt.


Randnotiz 3:
Realitätsverlust?

So sehr die Äußerungen des Generaloberen Fellay Anlass zur Hoffnung sind (cf. Randnotiz 2), so sehr können einem die Äußerungen eines anderen Bischofs der Piusbruderschaft diese Hoffnung wieder nehmen. In einem Interview mit der italienischen Zeitung La Stampa, das am 1. Februar erschien, wurde Bernard Tissier de Mallerais von Alain Elkann gefragt, ob er bezüglich der Meinungsverschiedenheiten an eine Umkehr denke. Seine Antwort lautete:
“Nein, absolut nicht. Wir ändern unsere Positionen nicht, aber wir haben die Intention, Rom zu bekehren, das heißt, Rom zu unseren Positionen zu führen” (“No, assolutamente no. Noi non cambiamo le nostre posizioni ma abbiamo intenzione di convertire Roma, cioè di portare il Vaticano verso le nostre posizioni”).

Die Piusbruderschaft begründet eine solche Haltung gewöhnlich mit ihrer Treue zum Glauben. Sie identifiziert die eigene Position mit den Glaubensdogmen. Dabei übersieht sie, dass bei aller Berechtigung ihres Anliegens, jeden Bruch in der verbindlichen Glaubenstradition abzulehnen, die Möglichkeit besteht, dass sie z.B. eine Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht richtig verstanden hat. Mit anderen Worten: So sehr es ausgeschlossen ist, sich zu irren, wenn man die Dogmen annimmt, so wenig kann man ausschließen, sich zu irren im Verständnis von Lehren, die man kritisiert. Sich in solchen Kritiken zu korrigieren, ist kein Verrat am Glauben. Hier jede mögliche Selbstkritik apriori abzulehnen, ist ein Zeichen von Dummheit.

Doch die Antwort des Bischofs ist nicht nur dumm, sondern auch undankbar gegenüber dem Papst. Angesichts des furchtbaren Sturms der Kritik, dem sich der Papst um der Piusbruderschaft willen ausgesetzt hat, forderte der Stellvertreter Jesu Christi am 28. Januar ein Zeichen des Entgegenkommens, was die Anerkennung des Lehramts und des Zweiten Vatikanischen Konzils angeht. Auf diesem Hintergrund kann die Antwort Tissiers nur als Affront gewertet werden.

Schließlich ist die Antwort ein Zeichen des Realitätsverlusts. Zu erwarten, dass der Papst noch weiter geht und sich das, dessen Duldung bereits einen solchen Sturm verursacht, auch noch zu eigen macht, ist wohl ein Indiz für die Parallelwelt, in der Tissier lebt.

Die große Frage ist: Wie stark ist in der Piusbruderschaft die Fraktion, die dieser Bischof repräsentiert? Wenn dies die Haltung der ganzen Gemeinschaft wäre, dann wäre ihr nicht mehr zu helfen.


Randnotiz 4:
Gewissenserforschung?

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. hatte sich, wie aus Äußerungen ihres Generaloberen Bernard Fellay hervorgeht, von der Aufhebung der Exkommunikation einen Prestigegewinn erhofft. Was zu einer Imagehebung führen sollte, wurde in Wirklichkeit zu einem gigantischen Desaster, in welches auch der Papst hineingezogen wurde - von ihr selbst verschuldet.

Man kann nur wünschen und hoffen, dass es in der Piusbruderschaft hinter den Kulissen zu einer ehrlichen und gründlichen Gewissenserforschung kommt. Die Aussage des Generaloberen in einem Interview, er habe die “extravaganten Gedanken [Williamsons] bei verschiedenen Themen” “nie als Problem erfasst”, offenbart eine erschreckende Betriebsblindheit. Einem Mann wie Williamson, dessen Kopf voll ist von Verschwörungstheorien, hätte z.B. niemals die Ausbildung von Seminaristen anvertraut werden dürfen, ganz zu schweigen von seiner Bischofsweihe im Jahr 1988.

Wenn Fellay weiterhin sagt, Williamson habe sich früher nie so deutlich in puncto Holocaustleugnung geäußert, obwohl er das 1989 sehr wohl getan hat, dann mag man ihm zugute halten, dass er damals nicht Generaloberer war und sicherlich nicht alle Äußerungen seiner Mitbrüder auf der ganzen Welt mitverfolgte.

Trotzdem ist bei der Piusbruderschaft der Gegensatz grotesk, der sich auftut zwischen dem harten Urteilen über den Papst, bei dem man in den letzten 20 Jahren jedes Wort auf die Goldwaage legte, um ihn als modernistisch oder unkatholisch zu entlarven, und der Laxheit, mit der man in den eigenen Reihen mit unmöglichen Anschauungen umgegangen ist, von denen man sich jetzt distanziert.

Jene, die der Piusbruderschaft übelwollen, verdächtigen sie nun in ihrer Gesamtheit des Antisemitismus und wünschen oder fordern das Scheitern des Einigungsprozesses.
Jene, die ihr wohlwollen, können ihr nur dringend raten, ihre Geisteshaltung der letzten Jahre gründlich zu überdenken und zu korrigieren: nicht nur um des Images willen vor den Medien, sondern auch vor Gott um der Wahrheit und Ehrbarkeit willen.


Randnotiz 5:
Gewehr auf Docht

Wie aus Äußerungen P. Franz Schmidbergers, des deutschen Distriktsoberen der Priesterbruderschaft St. Pius X., in einem Interview vom 3. Februar hervorgeht, sieht sich seine Gemeinschaft nun als Verbündete des Papstes, die ihm bei der Rechristianisierung Europas hilft.

Nun könnten Kritiker einwenden, dass hier in eigener Selbstüberschätzung übersehen wird, dass dem Papst mit einem solchen Bündnis ein Bärendienst erwiesen würde. Wenn eine dermaßen stigmatisierte Gemeinschaft der medialen Öffentlichkeit schon als zurückgeholtes verlorenes Schaf ein Dorn im Auge ist, um wieviel mehr als Bündnispartner des Papstes?

Dennoch werte ich die Aussage von P. Schmidberger positiv! Bisher sah die Piusbruderschaft (oder ein Teil von ihr) den Papst eher als Gegner und Hindernis für eine Rechristianisierung. Wenn sie sich nun als Verbündete sieht, ist dies ein bemerkenswerter Perspektivenwechsel. Derselbe darf, zusammen mit dem schon konstatierten neuen Ton in den Verlautbarungen, sicherlich als eine erste Frucht der Aufhebung der Exkommunikation gesehen werden und gibt dem Papst in seiner Einschätzung Recht, dass vertrauensbildende Maßnahmen das richtige Mittel sind, um die Wunde der Spaltung zu heilen.

Wenn man nun der Piusbruderschaft das Gewehr vor die Brust hält und sie rein autoritär zur sofortigen unterschiedslosen Anerkennung aller Aussagen des Zweiten Vatikanums auffordert, was bedeutet dies anderes, als Gefahr zu laufen, das wiedergewonnene Vertrauen zu verspielen und den glimmenden Docht zu löschen? Das römische Dekret spricht von einer notwendigen “Vertiefung der Gespräche”, und zurecht hatte Erzbischof Ricard von Bordeaux gleich nach Bekanntwerden der Exkommunikationsaufhebung gemeint, die Entscheidung des Papstes sei der Beginn eines Dialoges.

Die Piusbruderschaft befindet sich im Konflikt zu meinen, sie müsse sich entweder für die Tradition oder für das Zweite Vatikanische Konzil entscheiden. Ziel des Dialoges kann es nur sein, sie aus diesem Konflikt zu erlösen, indem die Vereinbarkeit von beidem in einer Hermeneutik der Kontinuität aufgezeigt wird. Sich den entsprechenden Argumenten zu öffnen, kann nur in einem Klima des Vertrauens geschehen. Nur jene können ein Interesse daran haben, dieses Klima zu stören, die das Anliegen des Papstes überhaupt boykottieren wollen.

Ich wünsche mir mehr Stimmen wie die der polnischen Bischöfe, die am 6. Februar 2009 Papst Benedikt XVI. für die Versöhnungsgeste an die Priesterbruderschaft St. Pius X. gedankt haben: Die Öffnung der Türen zum Dialog über die Beendigung der schmerzlichen Spaltung sei ein “Akt großen Mutes und aufrichtiger Hirtenliebe”, heißt es in einem Brief des Präsidiums der Bischofskonferenz an den Papst.

Und der Piusbruderschaft kann man nur wünschen, den begonnenen Weg des Perspektivenwechsels fortzusetzen und die Worte des Kirchenrechtlers Prof. Dr. Georg May zu beherzigen: “Die Priesterbruderschaft soll dem Papst vertrauen. Nach den weitgehenden Zugeständnissen, die er gemacht hat, ist es eine Pflicht der Dankbarkeit und eine Forderung der Vernunft, mit ihm zu einer Beendigung der irregulären Situation der Bruderschaft zu kommen.”


Randnotiz 6:
Fairness und Barmherzigkeit

Der Kirchenrechtler Peter Krämer meinte in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger vom 6. Februar, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. das Zweite Vatikanische Konzil als “Riesenkloake” habe bezeichnen lassen. Er konnte nicht wissen, dass der Priester Florian Abrahamowicz, von dem diese Aussage stammte (er sprach von einer “cloaca maxima” von Irrlehren), am nächsten Tag von der Piusbruderschaft ausgeschlossen werden sollte, dass er, Krämer, diese Aussage also zu Unrecht der Piusbruderschaft zur Last legte.

Das zeigt, dass man vorsichtig sein sollte, durch das Aufgreifen von Extremformulierungen Gefahr zu laufen, gleich die ganze Gemeinschaft zu Unrecht zu diskreditieren. Auch die Piusbruderschaft hat ein Recht auf eine faire Darstellung und Beurteilung, auch wenn sie selber diese Fairness gegenüber dem Papst und dem Konzil nicht immer geübt hat. Gerade diesen Teufelskreis wollte der Papst durch seine großmütige Geste durchbrechen.

Ungefähr zur selben Zeit wurde bekannt, dass Skandalbischof Williamson als Regens des südamerikanischen Priesterseminars der Gemeinschaft abgesetzt wurde: Ein überfälliger Schritt, der nun endlich getan wurde! Man kann einwenden, dass dies aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit geschah. Das ist sicherlich richtig. Das schließt aber nicht aus, dass dieser Schritt trotzdem gleichzeitig als Zeichen eines Lern- und Läuterungsprozesses gewertet werden könnte. Und immerhin: Bischof Fellay, der Generalobere, bat das jüdische Volk um Entschuldigung und machte sich die Aussage von Papst Pius XI. zu eigen, dass die Christen geistlicherweise Semiten seien.

Ob dies alles wirklich der Anfang einer Neubesinnung ist, muss die Zukunft erweisen. Der Unterschied zwischen dem guten Hirten und dem Mietling, dem an den Schafen nichts liegt, ist derjenige, dass der gute Hirt wie der barmherzige Vater in der Hoffnung, dass ein Neubeginn möglich ist und wirklich wird, die Hand reicht, der Mietling aber froh ist, wenn er sich mit den Problemschafen nicht abgeben muss. Der Papst hat, um mit den Worten von Manfred Lütz zu sprechen, sich entschieden, als geistlicher Hirte und nicht als politischer Herrscher zu handeln: “Nachdem die vier Bischöfe den Papst am 15. Dezember 2008 schriftlich dringlich und ernsthaft um Aufhebung der Exkommunikation gebeten hatten, handelte der Papst als Seelsorger. Er hätte um des äußeren Eindrucks willen noch taktieren und den Schritt hinauszögern können. Seelsorglich wäre das nicht gewesen. Gregor auf seiner Burg in Canossa und Benedikt im Vatikan wurde eine Frage gestellt, die an den Kern dieser 2000-jährigen Institution geht: Bist Du geistlicher Hirte oder politischer Herrscher? Sie haben beide in dieser Situation die Antwort gegeben, die allein dem Papsttum frommt” (in der Tagespost vom 7. Februar).


Randnotiz 7:
Antisemiten?

Einige Kritiker der Maßnahme des Papstes waren mit Hinweis auf das Skandalinterview Williamsons schnell bei der Hand, der ganzen Bewegung Lefebvres, die Benedikt XVI. in die Einheit der Kirche zurückführen will, Antisemitismus und damit dem Papst eine Hofierung desselben zu unterstellen. Auf diesem Hintergrund dürfte es interessant sein, sich die Berichte von Journalisten anzuschauen, die sich in den letzten beiden Wochen unter die Gottesdienstbesucher im Piusmilieu gemischt haben. Konnten sie den Antisemitismusverdacht bestätigen?

Peter Abspacher von den Nürnberger Nachrichten hat einige Gottesdienstbesucher in Zirndorf bei Nürnberg interviewt und berichtet: “Die Antworten einiger Anhänger der Pius-Bruderschaft sind bemerkenswert. Niemand versucht, den Engländer Williamson fürsorglich umzuinterpretieren. ‘So etwas darf niemand sagen’, konstatiert eine junge Traditionalistin.” Mehrere Anhänger der Piusbruderschaft erwarten von dieser sogar, dass sie selber Bischof Williamson wegen seiner Holocaustleugnung ausschließe.

Heike Vowinkel berichtet für die Welt von einem Besuch in Berlin. Ein interviewter Gottesdienstbesucher hält Williamson für einen Verrückten, mit dessen Theorien er nicht in Verbindung gebracht werden will. Der zuständige Priester P. Bruno Steinle, “ein ruhiger Mann”, halte die Holocaustleugnung Williamsons für unverzeihlich

Mehrere Besuche bei den “Krawall-Brüdern” machte Harald Biskup vom Kölner Stadtanzeiger. Für den Vorwurf des latenten Antisemitismus beruft er sich bezeichnenderweise ausschließlich auf den Pastoraltheologen Alois Schifferle. Seine eigenen Beobachtungen und Interviews in Zaitzkofen und Saarbrücken lieferten für diesen Vorwurf keinen Stoff.

Hans Jörg Conzelmann vom Reutlinger Generalanzeiger berichtet über das Messzentrum in Reutlingen und weiß über den zuständigen Priester Pater Andreas Steiner zu vermelden: “Seine Haltung zu Bischof Williamsons Äußerungen ist unmissverständlich: Es sei ‘unfassbar, dass so etwas passieren konnte.’”

Bernd Kassner von der WAZ besuchte das Priorat in Essen und zitiert die dortigen drei Priester: “Wir distanzieren uns entschieden von diesen Äußerungen Williamsons. Wir hoffen, dass die Gespräche mit Rom auf einen guten Weg kommen.”

In der Rheinzeitung berichtet Dietmar Brück über einen Besuch des Gottesdienstes in Koblenz-Moselweiß. Er zitiert einen Besucher, der den Gottesdienst der Piusbruderschaft als würdiger und heiliger empfinet und “ohne jeden Eifer über seinen Glauben redet. Hart wird er nur, wenn er auf Holocaust-Leugner Williamson zu sprechen kommt: ‘Das ist eine echte Katastrophe für uns.’” In einem weiteren Bericht resümiert er deshalb: “Die Piusbruderschaft ist keine Vereinigung von Antisemiten.”


Randnotiz 8:
Phantasie und Wirklichkeit

Erzbischof Robert Zollitsch von Freiburg, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, hat verlauten lassen, dass es bei der Piusbruderschaft keine Anzeichen für eine echte Gesprächsbereitschaft mit der katholischen Kirche gebe.

Was ist passiert? Die deutschen Bischöfe hatten sich entschlossen, den Heiligen Vater in seinen Einigungsbemühungen mit der Piusbruderschaft zu unterstützen und wie er die Hand auszustrecken, damit die Piusbruderschaft den Weg zurück in die Kirche finde. Deshalb müsse, so meinten sie, der Dialog, von dem das Dekret zur Aufhebung der Exkommunikation spreche, auf allen Ebenen geführt werden, damit auch in den Ortskirchen ein Klima des Vertrauens und die Voraussetzungen für eine Rückkehr geschaffen würden. Deshalb bestimmte die Bischofskonferenz zwei Theologen, die mit der Piusbruderschaft in Deutschland die anstehenden Probleme in der Rezeption und Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils erörtern sollten, damit in den strittigen Fragen eine Konsensformel gefunden werde. Diese Methode habe sich in den ökumenischen Gesprächen mit dem Lutherischen Weltbund über das Verständnis des Konzils von Trient in Sachen "Rechtfertigungslehre" schon bestens bewährt.

Doch nun meldet Erzbischof Zollitsch enttäuscht, dass die Piusbruderschaft keine Gesprächsbereitschaft zeige. Was war geschehen? Hat die Piusbruderschaft das Gesprächsangebot abgelehnt?

Die Sache sieht ein wenig anders aus. Die beschriebene Szenerie besteht nur in meiner Phantasie. Die Wirklichkeit: P. Franz Schmidberger, der Distriktsobere der Piusbruderschaft in Deutschland, hat erklärt, dass er “in den sachlichen Dialog mit den offiziellen Vertretern der deutschen Diözesen treten” wolle. Als Thema schlug er die strittigen Fragen um das Konzil und die nachkonziliare Entwicklung vor. Die Piusbruderschaft sei bereit, mit jedem zu sprechen. Am 13. Februar ernannte P. Schmidberger den Priester P. Matthias Gaudron zum Beauftragten für die theologische Diskussion.

Am selben 13. Februar reagierte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz mit der Erklärung, dass dieselbe bis auf weiteres keinen Bedarf an einem Dialog mit der Priesterbruderschaft Pius X. sehe. Das Gespräch mit ihr sei zunächst eine Sache des Vatikans. Am 14. Februar kam dann die Meldung, dass Erzbischof Robert Zollitsch bei der Piusbruderschaft keine Anzeichen für eine Gesprächsbereitschaft sehe.


Randnotiz 9:
Die Piusbruderschaft und das Zweite Vatikanum

In einem Interview mit Brian Mershon, das am 18. Februar in der amerikanischen Zeitschrift The Remnant erschienen ist, beteuert Bernard Fellay, der Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X., dass die Position derselben gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil exakt dieselbe geblieben sei.

Nun haben wir aber in der letzten Zeit mindestens zwei Fälle, in denen sie ihre Position offensichtlich geändert hat.

P. Franz Schmidberger warf in seinem Vortrag Die Zeitbomben des Zweiten Vatikanischen Konzils dem Konzil die Lehre vor, “man könne die Ereignisse des Leidens Christi weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.” Also gerade die Ablehnung der Kollektivschuld wird dem Zweiten Vatikanum angekreidet! Nur jene Juden, die sich taufen lassen, seien, so Schmidberger, von der Schuld des Gottesmordes ausgenommen. Es entbehrte übrigens nicht der Ironie, dass der Pressesprecher der Piusbruderschaft auf den Protest des Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden Dieter Graumann hin dazu aufforderte, “endlich die Schallmauer der gegenseitigen Schuldzuweisungen zu durchbrechen” - und das, nachdem man dem Zweiten Vatikanum ebendies vorgeworfen hatte!

Am 20. Januar korrigierte Schmidberger in einer öffentlichen Stellungnahme seine Aussage und schränkte seinen unsäglichen Schuldvorwurf auf jene Juden ein, “welche die Tötung Jesu Christi gutheißen”. Der Vortrag über die Zeitbomben stammt von 1989, als Schmidberger Generaloberer war, und noch 2008 hatte er ihn allen Bischöfen zugesandt. Es war der SPIEGEL, der dieses Wunder der Bekehrung von einem zwanzig Jahre währenden Irrtum zustandebrachte. In der Fassung des Vortrags, die nun auf der Website der Piusbruderschaft angeboten wird, findet man nichts mehr von Gottesmord und Kollektivschuld und der entsprechenden Kritik am Zweiten Vatikanum.

Der zweite Fall betrifft die Rede des Zweiten Vatikanums von Wahrheits- und Heilselementen außerhalb der Kirche. Während Bernard Fellay das Konzil wegen dieser Aussage in seinem Brief an die Freunde und Wohltäter vom April 2008 noch kritisierte, wird nun im Grundsatzartikel Wofür steht die Priesterbruderschaft St. Pius X.?, der am 19. Februar 2009 im Internet veröffentlicht wurde, eingeräumt, dass es solche Elemente in den anderen Konfessionen und Religionen geben könne.

Zwar wird dann gesagt, dass Letztere trotz dieser Elemente von Christus oder von der Kirche wegführen. Aber darauf kann man entgegnen, dass es ganz darauf ankommt, woher man kommt. Kommt man als Katholik von der katholischen Kirche, trifft dies zu. Kommt man dagegen vom Atheismus, dann ist es durchaus möglich, durch die Bibel und die Taufe, die sich in anderen Konfessionen finden, zum Heil zu gelangen. Man denke etwa nur an die beeindruckenden Bekehrungen, von denen der baptistische Richard Wurmbrand aus der Zeit der “Märtyrerkirche” unter dem Kommunismus berichtete.

Fazit: Statt geistige Unbeweglichkeit zu demonstrieren, sollte Fellay die eigene Position zum Zweiten Vatikanum klären und präzisieren. De facto gibt es seitens der Piusbruderschaft gegenüber dem letzten Konzil eine Kakophonie von äußerst differenten Stellungnahmen, von Polemiken und Beschimpfungen bis zu leider viel zu seltenen theologischen Analysen, die aber selber oft allzu vage bleiben und mit Vorliebe Konzil, nachkonziliare Entwicklung und modernistische Interpretation miteinander vermischen.

Als P. Matthias Gaudron, der Beauftragte der Piusbruderschaft für den theologischen Disput, am 17. Februar bei seinem Auftritt bei Johannes B. Kerner von Problemen sprach, die die Piusbruderschaft mit dem Zweiten Vatikanum habe, wählte er die einzig angemessene Sprache, wenn es um ein Konzil der katholischen Kirche geht. Es wäre Zeit, dass sich Fellay für die unerträgliche Sprache, die die Piusbruderschaft in der Vergangenheit oft gewählt hat, bei Papst und Kirche entschuldigt.


Randnotiz 10:
Kann der Papst mit der Hilfe der Bischöfe rechnen?

In seinem Brief an die Bischöfe vom 10. März erinnert der Papst daran, dass die Aufhebung der Exkommunikation kein anderes Ziel hat als ihre Verhängung, nämlich “die so Bestraften zur Reue und in die Einheit zurückzurufen.” Der Ruf nach erneuter Exkommunikation, der selbst aus bischöflichem Mund erscholl, verfolgt offenbar ein anderes Ziel, nämlich den Einigungsprozess zu stoppen und die Piusbruderschaft für immer los zu werden. Welten tun sich auf zwischen der Hirtensorge des Heiligen Vaters und der Gleichgültigkeit mancher Bischöfe, die ein Kommentator wie Patrick Bahners natürlich sofort gegen den Papst ausspielt: “Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Zollitsch, der sich in den zurückliegenden Wochen als nüchterner Dolmetscher päpstlicher Intentionen bewährte, hat zu verstehen gegeben, dass er die Hoffnung des Papstes für eine Illusion hält. Dieser Kommentar zu einem Projekt, in das Benedikt XVI. sein Prestige gesetzt hat, markiert einen dramatischen Autoritätsverlust des Papstes” (in Bahners Kommentar zum Papstbrief Ein Papst beschwert sich über den Lärm, in der FAZ).

Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 5. März zur Piusbruderschaft unterstellt derselben “antisemitische Strömungen” und das Fehlen einer “ernsthaften Distanzierung” von “solchen inakzeptablen Haltungen”. Sie unterschlägt die Tatsachen, dass die Piusbruderschaft den holocaustleugnenden Pater Floriano Abrahamowicz ausschloss, Bischof Williamson für den Wiederholungsfall mit dem Ausschluss drohte, sich klar von dessen Aussagen distanzierte und sich entschuldigte (Franz Schmidberger: “Ich möchte mich für dieses Verhalten entschuldigen und mich von jedweder Aussage dieser Art distanzieren”; der Generalobere Bernard Fellay entschuldigte sich ausdrücklich noch beim “jüdischen Volk”).

Hat angesichts dieser Sachlage P. Schmidberger nicht das Recht, die Rücknahme jener Vorwürfe zu fordern? Mit ihrer Aufrechterhaltung wird vor allem das Einigungsbemühen des Papstes aufs Äußerste belastet, da sich auf ihn, wie die letzten Wochen gezeigt haben, der Antisemitismusverdacht überträgt. “Antisemitismus-Verdacht gehört zu den Verdachtsmomenten, die im öffentlichen Diskurs so ziemlich alle Regeln der Rechtsordnung, Logik und Vernunft ausser Kraft setzen. Ein Verdächtiger hat seine Unschuld nicht nur einmal zu beweisen, er wird dies immer wieder tun müssen, weil der Verdacht immer wieder nachwächst”, hat Marco Ratschiller im Nebelspalter vom 4. Februar geschrieben.

Dem Papst ist zu danken, dass er in seinem Brief vom 10. März deutlich machte, sich durch diesen Verdacht nicht erpressen und sich in seinen Einigungsbemühungen mit der Piusbruderschaft allein nach ekklesialen Kriterien leiten zu lassen. Ob er darin jemals die Unterstützung der deutschen Bischöfen erfahren wird?


Randnotiz 11:
Eine solche Behandlung hat das Konzil nicht verdient!

Wenn der hl. Paulus in seinem Brief an die Gemeinde von Ephesus schreibt: “Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr gerettet. Er hat uns mit Christus Jesus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben”, dann wird klar, welches Band die Gemeinden der frühen Kirche zusammengehalten hatte: Es war der Glaube an Christus, den Erlöser, der für uns gestorben und auferstanden ist. Dieser Glaube gab der Kirche ihre Identität.

Heute kann man das von der Kirche in Deutschland nicht mehr sagen. Wenn Theologen, Priester oder Religionslehrer den Opfertod Jesu am Kreuz, seine Auferstehung oder seine Gottessohnschaft leugnen, kräht kein Hahn danach. Was dagegen aus der Kirche ausschließt, haben deutsche Bischöfe in den vergangenen Wochen immer und immer wieder klargemacht: es ist die Nichtanerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils und dessen, wofür es steht: Öffnung zur Welt, Religionsfreiheit, Ökumene. Es soll nicht bestritten werden, dass sich die Piusbruderschaft ein Stück weit auf dem Holzweg befindet, wenn sie diese Konzilsvorgaben pauschal ablehnt. Das ändert aber nichts daran, dass sich in der Kirche Deutschlands (und vielfach auch anderswo) die Prioritäten fatal verschoben haben: Nicht mehr der Christusglaube, sondern die Konzilsanerkennung machen die Corporate Identity aus. Wer nicht mehr an Christus glaubt, bleibt drinnen, wer das Konzil auch nur partiell ablehnt, muss raus. Jeder kann sich selber überlegen, wie man dementsprechend heute die Worte des hl. Paulus umformulieren müsste.

Nun hätte die neue Situation der Aufhebung der Exkommunikation zu einem selbstkritischen Überdenken der geltenden Paradigmen führen können. Die Bischöfe hätten zur Piusbruderschaft sagen können: Ihr glaubt an Christus, seine Erlösung, seine Auferstehung, deshalb gehört ihr zu uns. Wir anerkennen die Aufhebung der Exkommunikation und wollen dem Papst helfen, das Einigungswerk zu vollenden. Ihr kritisiert zwar einige Konzilsvorgaben, aber in der Hierarchie der Wahrheiten sind sie gegenüber dem Christusglauben nachrangig. Wir wollen den Dialog des Papstes unterstützen und mit Euch darüber reden.

Statt dessen wird kategorisch die vollumfängliche Anerkennung des Konzils gefordert, als ob jedes seiner Dekrete ein Dogma und deren Leugnung kirchentrennend wäre. Dass die Piusbrüder alle Dogmen (die tatsächlich Dogmen sind) anerkennen, spielt keine Rolle: Sie müssen draußen bleiben. Dass umgekehrt ungezählte kirchliche Funktionsträger Dogmen leugnen, spielt ebenfalls keine Rolle: Sie dürfen drinnen bleiben.

Mit dieser Desintegration von Glaube und Konzil leisten die betreffenden Bischöfe dem letzteren einen Bärendienst. Da passt es ins Bild, dass Häretiker sich zu Verteidigern des Konzils aufspielen, während es von anderen zugleich als Speerspitze gegen Rechtgläubige missbraucht wird. Eine solche Behandlung hat das Konzil nicht verdient!


Randnotiz 12:
Das Konzil im Licht der Tradition

In einer Verteidigung der Piusbruderschaft, die der Philosoph Walter Hoeres im Kölner Stadtanzeiger veröffentlicht hat, fordert er dazu auf, der Piusbruderschaft die Möglichkeit zuzugestehen, “das Konzil im Lichte der Tradition zu interpretieren”. Aber das ist gerade das, was Rom von ihr erwartet! Freunde, die es gut mit ihr meinen, flehen sie seit Jahren auf den Knieen an, das Zweite Vatikanische Konzil “im Licht der Tradition” zu interpretieren, wie es sich für Katholiken gehört. Statt dessen macht sie ein Stück weit gemeinsame Sache mit den Modernisten. Diese deuten das Konzil als einen Bruch, um es gegen die Tradition auszuspielen, die Piusbruderschaft tut es, um die Tradition gegen das Konzil auszuspielen.

Nehmen wir als Beispiel die Lehre über die Religionsfreiheit. Es geht dabei nicht um das Recht auf Irrtum. Die moralische Pflicht “gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi” bleibt, wie das Konzil selber sagt, unangetastet. Es geht vielmehr um die der Würde des Menschen gemäße Art des Umgangs mit dem, was zu seinem innersten Gewissensbereich und seiner Beziehung zu Gott gehört. Dazu gehört die Freiheit von Zwang. Das Recht auf diese Freiheit gründet in der Würde der menschlichen Person.

Diese Lehre des Konzils erscheint zwar als eine Neuerung, aber in keinem anderen Sinn, wie es schon vorher Neuerungen in der Entwicklung der kirchlichen Lehre gab. So war z.B. die Lehre Papst Pius’ IX. von der ignorantia invincibilis eine Neuerung, die dem Irrgläubigen einen Heilsweg aufgrund seiner subjektiven Schuldlosigkeit eröffnete. Diese Lehre, die den Grundsatz des extra Ecclesia nulla salus einschränkt oder präzisiert, findet sich vorher nicht in lehramtlichen Texten. Lefebvrianer von damals hätten sie als Gegensatz zur bisherigen Lehre gedeutet und als Neuerung abgelehnt. Dabei hat sie ihren Grund in der traditionellen Unterscheidung zwischen materieller und formeller Häresie, zwischen objektivem Irrtum und subjektiver Schuld. Nur die Folgerung daraus wurde noch nie so ausdrücklich gezogen.

Ähnlich verhält es sich mit der Lehre über die Religionsfreiheit. Sie hat ihren Grund in der naturgegebenen Würde der Person, also im Naturrecht. In der Anwendung auf das Elternrecht beispielsweise kam der Gedanke der Religionsfreiheit schon längst vor dem Zweiten Vatikanum zum Zug: Die Eltern haben das Recht, die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. Nie kam die Kirche auf die Idee, nichtchristlichen Eltern dieses Recht abzustreiten. Weder Kirche noch Staat dürfen beispielsweise Muslime an der Erziehung ihrer Kinder hindern unter dem Vorwand, sie würden sie zu einer falschen Religion erziehen. Das hat nichts mit einem Recht auf Irrtum zu tun, sondern mit dem Naturrecht, das für alle Menschen unabhängig von ihrem Glauben gilt.

Wenn das Konzil die Anwendung dieses Prinzips auf den Menschen als Staatsbürger ausdehnt, hat das ebensowenig etwas mit Recht auf Irrtum zu tun wie im Falle des Elternrechts. Obwohl dies immer wieder klargemacht wurde, hat die Piusbruderschaft mit stupider Hartnäckigkeit solche Phrasen wiederholt. Hier kann man dem Ideologievorwurf ihrer Gegner eine gewisse Berechtigung nicht absprechen.

Es geht also nicht, wie Hoeres meint, darum, dass Rom der Piusbruderschaft endlich eine katholische Interpretation des Konzils erlaubt, sondern dass die Piusbruderschaft sich endlich zu einer solchen bequemt und damit den Weg zu einem Konsens auf katholischer Grundlage freimacht.


Randnotiz 13:
Glaubens- oder Linientreue?

“Mit welchem Recht verweigert man uns in einer Kirche, in der alles hinterfragt wird, die Möglichkeit, über nichtdogmatische Aussagen zu diskutieren?” Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. P. Andreas Steiner von der Priesterbruderschaft St. Pius X. hatte sie gestellt und meinte mit den “nichtdogmatischen Aussagen” solche des Zweiten Vatikanischen Konzils. Tatsächlich kam von Seiten deutscher Bischöfe immer nur die beschwörende Beteuerung, dass das Zweite Vatikanum nicht in Frage gestellt werden dürfe.

Steht dahinter die Sorge um den Glauben? Dagegen sprechen frühere Erfahrungen. Als beispielsweise 1992 der Katechismus der Katholischen Kirche erschien, wurde er von vielen Theologieprofessoren wegen der unverfälschten Darlegung der Glaubenswahrheiten heftig angegriffen. Kein Bischof schritt dagegen ein und stellte klar, dass es für solche Kritik am Glauben keinen Platz in der Kirche geben dürfe.

Wenn es also keinen Platz für Konzilskritiker in der Kirche geben darf, dann offensichtlich nicht deshalb, weil der Glaube auf dem Spiel steht. Was dann? Öffnung zur Welt, Ökumene und Religionsfreiheit sind jene Punkte, die am häufigsten genannt werden, wenn es ums Zweite Vatikanum geht. Es geht also um eine Neupositionierung der Kirche in ihrem Verhältnis zur Welt, zum Staat und zu den anderen Religionen. Trotz der doktrinellen Implikationen dieser Neupositionierung geht es also in erster Linie nicht um den Glauben, sondern um das Verhalten der Kirche in der Welt von heute, also im weitesten Sinne um Politik.

Es war für die Kirche immer schon eine Versuchung, politische Streitfragen wichtiger zu nehmen als den Glauben. Carlo Passaglia etwa, ein frommer, hochbegabter Theologe, der meisterhaft die Glaubenswahrheit von der Unbefleckten Empfängnis Mariens verteidigte und deren Dogmatisierung vorbereitete, wurde suspendiert, weil er in politischen Fragen anders dachte: Er hielt in den Kämpfen des 19. Jahrhunderts das Festhalten am Kirchenstaat für einen Fehler. Die Gewaltenlehre, wie sie im Mittelalter von päpstlicher Seite lange vertreten wurde (cf. meine einschlägige Studie), wird heute nicht einmal mehr von der Piusbruderschaft geteilt. Das Einzige, was von der Bulle Unam sanctam Bonifaz’ VIII. heute noch an verbindlicher Lehre übrig geblieben ist, bezieht sich auf die geistliche Gewalt des Papstes und die Notwendigkeit, sich ihr unterzuordnen, also gerade auf das, was zu tun die Piusbruderschaft bis anhin sich weigert.

Für den theologischen Disput wäre also eine dogmatische Abrüstung angebracht. Es geht nicht um Dogmen. Weder sollte die Piusbruderschaft ihre Kritik am Konzil so hoch hängen, als ob davon der Glaube abhängt, noch die Bischöfe aus der konziliaren Neuausrichtung der Kirche ein Superdogma machen, dessen Bezweiflung härter zu ahnden wäre als die Leugnung zentraler Glaubenswahrheiten.

Natürlich sind manche Positionen der Piusbruderschaft z.B. bezüglich der Religionsfreiheit sperrig und so recht geeignet, die Kritik und den Spott der Medien auf sich zu lenken. Deshalb will man sich mit diesen Schmuddelkindern gar nicht erst abgeben, sondern proklamiert permanent die Unaufgebbarkeit konziliarer Positionen. Man will sich schließlich nicht blamieren. Trotzdem stellt sich, bei Licht betrachtet, die Frage, ob Linientreue wirklich wichtiger ist als Glaubenstreue. Immerhin geht es beim Glauben ums ewige Seelenheil. Gilt das heute in der Kirche weniger als weltliche Reputation? Als Johannes XXII. im 14. Jahrhundert im Kampf mit Ludwig dem Bayern über ganz Deutschland das Interdikt verhängte, um seine Ansprüche durchzusetzen, die von der damals als fortschrittlich geltenden hierokratischen Zweigewaltenlehre gedeckt waren, stellte er die Rangfolge weltlicher und geistlicher Güter auf den Kopf: Er nahm die verheerenden geistlichen Auswirkungen des Interdikts um des politischen Erfolges willen in Kauf. Einen großen Unterschied zum Verhalten jener Bischöfe, die um der Durchsetzung konziliarer Neupositionierungen willen den Ausschluss der Piusbruderschaft fordern, andererseits aber nichts tun, um der Zerstörung des Glaubens durch Häretiker Einhalt zu gebieten, sehe ich nicht.


Randnotiz 14:
Die Piusbruderschaft als Helfer ihrer Gegner

Dass auf die spektakuläre Rücknahme der Exkommunikation eine ähnlich spektakuläre Antwort der Piusbruderschaft ausgeblieben ist, mag man bedauern. Nicht viele Menschen sind so großmütig wie Benedikt XVI. Auf der anderen Seite war klar, dass die päpstliche Maßnahme den Weg für eine Aussöhnung ebnen sollte, an dessen Ende die kirchenrechtliche Regulierung und Anerkennung der Piusbruderschaft steht. Diese Regulierung ist das Ziel, nicht das Mittel. Das Mittel sind Gespräche, die der theologischen Verständigung in den umstrittenen Punkten bezüglich der Konzilsinterpretation dienen. Dass bis dahin weiterhin Priester, Diakone, Subdiakone, niedere Kleriker und Kapellen geweiht werden, gehört zum business as usual und sollte nicht als besonderer Affront gewertet werden. Die Vermutung von Michael Charlier, hinter der Rede Erzbischof Zollitschs von der vermutlichen Unüberwindbarkeit des Schismas und der Notwendigkeit, unter Umständen über eine erneute Exkommunikation nachzudenken, stünde Wunschdenken, ist nicht von der Hand zu weisen. Er folgert, dass sich Zollitsch damit “in klaren Gegensatz zu den Absichten von Papst Benedikt XVI. [setze], der die Exkommunikationen des Jahres 1988 aufgehoben hat, um den Beginn von Rückkehrgesprächen zu ermöglichen und nicht, um eine bedingungslose Kapitulation der Bruderschaft zu erzwingen” (auf www.summorum-pontificum.de unter dem Datum vom 21. Mai: Das Ende der Liberalität.).

Doch den Gegnern einer Versöhnung mit der Piusbruderschaft ist nun von unerwarteter Seite ein Bündnispartner erstanden. Martin Bürger berichtet auf seinem Blog von einer Antwort, die einer der vier ehemals exkommunizierten Bischöfe auf die Interviewfrage gab, welche Perspektiven er in Zukunft für die Priesterbruderschaft St. Pius X. sehe, etwa eine kanonische Anerkennung. Bischof Alfonso de Galarreta von der Piusbruderschaft: “Nein, absolut nicht, sei es in der unmittelbaren oder in der mittelbaren Zukunft. Wir schließen diese Möglichkeit ausdrücklich aus. Wir wissen, dass ohne eine Rückkehr zur Tradition von Seiten Roms jedes praktische oder kanonische Abkommen unvereinbar ist mit dem öffentlichen Bekenntnis sowie der Verteidigung des Glaubens und unseren Tod bedeuten würde. Im besten Fall haben wir, menschlich gesprochen, mehrjährige Diskussionen vor uns.”

Solche Aussagen sind schlimmer als alle in der Zwischenzeit vorgenommenen Weihen. Sie machen alle Anstrengungen des Papstes zur Farce. Einen größeren Gefallen kann Galarreta seinen Gegnern nicht tun. Seine Worte rauben aber auch den Beteuerungen von Bischof Fellay und anderen Mitgliedern der Piusbruderschaft, ihnen sei es mit einer Aussöhnung und einer Anerkennung der päpstlichen Autorität ernst, jede Glaubwürdigkeit. Sie sind vielmehr bestens dazu geeignet, Karl Kardinal Lehmann zu bestätigen, der von einem Katz-und-Maus-Spiel sprach, das die Piusbruderschaft betreibe. Es liegt an der Piusbruderschaft, alle schillernde Zweideutigkeit zu beenden und etwas für ihre Glaubwürdigkeit zu tun.


Randnotiz 15:
Bischöfliche Unschuld

Bischof Stephan Ackermann von Trier fordert vom Vatikan ein baldiges Eingreifen, damit die von der Piusbruderschaft geplanten Priesterweihen nicht stattfinden. Worin soll dieses Eingreifen bestehen? Soll der Vatikan die Schweizer Garde ausschicken und die Weihen mit Gewalt verhindern? Wenn schon der Heilige Stuhl unter Johannes Paul II. die Bischofsweihen nicht verhindern konnte, dann noch weniger jetzt die Priesterweihen. Die einzige Möglichkeit, dass der Heilige Stuhl die volle Ausübung seiner Hirtengewalt über die Piusbruderschaft zurückgewinnt, besteht in der vollständigen Versöhnung, und genau das ist es, was einige Bischöfe hintertreiben. Das Verhalten von Bischöfen, die den Vatikan auf seinem Kurs der Heilung des Schismas unterstützen, stelle ich mir anders vor. Solche Bischöfe würden sich der Geste des Papstes anschließen, das Gespräch suchen und mithelfen, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen. Vor allem würden sie der Piusbruderschaft für den Fall einer Einigung auch eine Zukunftsperspektive bieten und nicht etwa die Schließung ihrer Seminare und Häuser fordern.

Statt dessen torpedieren sie die Einigungsbemühungen des Heiligen Stuhles, insinuieren aber in ihren öffentlichen Äußerungen die Vorstellung, der Heilige Stuhl hätte es in der Hand, mit einem einzigen Machtwort sich die Piusbruderschaft gefügig zu machen. Wenn es dann schiefgeht, hat Rom den Schwarzen Peter, und die betreffenden Bischöfe waschen ihre Hände in Unschuld nach dem Motto: Wir haben es ja immer schon gewusst.


Randnotiz 16:
Vor dem strategischen Scheideweg

In meiner vorletzten Randnotiz habe ich von den Aussagen eines der vier Lefebvre-Bischöfe, Alfonso de Galarreta, berichtet, der eine Aussöhnung mit Rom kurz- und mittelfristig ausschließt, und zwar mit der Begründung: “Wir wissen, dass ohne eine Rückkehr zur Tradition von Seiten Roms jedes praktische oder kanonische Abkommen unvereinbar ist mit dem öffentlichen Bekenntnis sowie der Verteidigung des Glaubens und unseren Tod bedeuten würde. Im besten Fall haben wir, menschlich gesprochen, mehrjährige Diskussionen vor uns.”

Diese Aussagen sind in mehrfacher Hinsicht skandalös, u.a. weil sie eine praktische Anerkennung der päpstlichen Autorität als mit dem öffentlichen Bekenntnis des Glaubens unvereinbar hinstellt. Mit anderen Worten: Jede Unterordnung unter die Autorität des Papstes läuft in seinen Augen auf eine Apostasie hinaus.

Nun ist es schon schlimm genug, wenn man so denkt. Was aber kann einen Bischof bewegen, das auch noch öffentlich zu sagen? Jeder Katholik, der nicht zum harten Insiderkreis der Piusbruderschaft gehört, kann darüber nur den Kopf schütteln. Offensichtlich will Galarreta jene Anhänger beruhigen, die von einer Aussöhnung mit Rom die Aufweichung der eigenen Linie und die Aufgabe eigener Positionen befürchten. Solche Anhänger, die im Konfliktfall die Piusbruderschaft rechts zu überholen bereit sind, hat es immer gegeben. Die Piusbruderschaft muss sich entscheiden, ob sie darauf Rücksicht nehmen will oder nicht. Dem Interesse, gerade die Hardliner bei der Stange zu halten, steht das missionarische Interesse gegenüber, in die Kirche hineinzuwirken und neue Kreise für die Tradition zu erschließen - ein Interesse, das im deutschsprachigen Distrikt deutlich zu spüren ist. Das wird der Piusbruderschaft, wenn überhaupt, nur dann in größerem Maße gelingen, wenn sie sich als zuverlässig katholische Bewegung ohne theologische Kapriolen à la Galarreta glaubhaft präsentieren kann, wenn sie also den Weg der Aussöhnung mit Rom konsequent zu Ende geht. Jede missionarische Bemühung, die den Katholiken vor die Wahl stellt: entweder Rom oder Econe, ist zum Scheitern verurteilt. Der Traum P. Schmidbergers, dass die Piusbruderschaft in die normalen Pfarreien zu Volksmissionen eingeladen wird, kann sich nur dann realisieren, wenn weder Bischöfe noch Pfarrer zu befürchten haben, dass es diesen Volksmissionen in Wirklichkeit nur darum geht, eigene Anhänger zu rekrutieren, die ihren Gemeinden entfremdet und im Schoß der Piusbruderschaft vom Rest der Kirche abgeschottet werden.

Die Piusbruderschaft steht, ganz abgesehen von den theologischen Fragen, in strategischer Hinsicht also vor der Alternative: entweder weiter radikale Abschottung à la Galarreta oder missionarische Öffnung à la Schmidberger.

Es gehört zur Tragik der gegenwärtigen Situation, dass die deutschen Bischöfe, soweit sie in den Medien wahrnehmbar sind, nicht die Dialogangebote P. Schmidbergers aufgreifen, sondern nur das Negative und kirchenrechtlich Fragwürdige wahrnehmen und sich darüber aufregen. Sie skandalisieren sich über den Rauch, den der glimmende Docht verursacht, und sind im Begriff, denselben dadurch auszulöschen. Im Evangelium steht es irgendwie anders.


Randnotiz 17:
Der doppelte Maßstab

Kürzlich hat der oberste Gerichtshof der katholischen Kirche, die Apostolische Signatur, daran erinnert, dass die Forderungen des Kirchenvolksbegehren “zum Teil der kirchlichen Lehre widersprechen und in offenem Gegensatz zur kirchlichen Ordnung stehen” (Dekret vom 14. März). Bereits 1996 hatte dies die Glaubenskongregation festgestellt, und zwar in einem Brief an die deutschen Bischöfe.

Es ist nun interessant, das Verhalten der Bischöfe in diesem Fall zu vergleichen mit ihrem Verhalten zur Priesterbruderschaft St. Pius X. Dieser gegenüber wird man nicht müde, den Dissens herauszustreichen, die diskussions- und unterschiedslose Anerkennung aller Texte des Zweiten Vatikanums zu verlangen und bei Nichtanerkennung die Exkommunikation in Aussicht zu stellen.

Im Falle des Kirchenvolksbegehrens machte sich der Mainzer Bischof Lehmann, wie der Mainzer Professor Dr. Georg May in seinem Werk Die andere Hierarchie (Siegburg 1997, S. 161 f) berichtet, gegenüber dem Heiligen Stuhl zum Sprachrohr des Begehrens, indem er den Papst über die Unterschriftensammlung berichtete. Das teilte der Bischof den Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens in einem Gespräch mit, das in einer angenehmen und freundlichen Atomsphäre stattfand. Außerdem bescheinigte er ihnen, dass das Begehren “weder ehrenrührig noch sanktionsbedürftig” sei. Georg May dazu: “Vor allem der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, war unfähig oder unwillig, den Kirchenvolksbegehrern die Antwort zu geben, die von Glaube und Ordnung der Kirche gefordert ist. Sein ständiges Lavieren und Taktieren ermutigte den Gegner” (ebd.).

Außerdem stellte damals Bischof Lehmann einen “Informations- und Gesprächsbedarf” fest. Einen solchen sieht der gegenwärtige Vorsitzende der Bischofskonferenz bezüglich der Piusbruderschaft nicht. Deren mehrmaliges Dialogangebot wurde abgelehnt, und das, obwohl der Heilige Stuhl am 4. Februar Gläubige und Bischöfe um ihre Mithilfe im Einigungswerk gebeten hatte.


Randnotiz 18:
Wer ist unfehlbar?

Am 29. Juni 2009 hat in Ecône einer der vier Lefebvre-Bischöfe, Bernard Tissier de Mallerais, der Zeitschrift La Vie ein Interview gegeben, das am 3. Juli veröffentlicht wurde.

Die wichtigste Aussage des Bischofs besteht in jener, die das Ergebnis der nun beginnenden theologischen Verhandlungen mit Rom vorwegnimmt: “Wir werden niemals einen Kompromiss unterzeichnen; die Gespräche werden keine Fortschritte machen, es sei denn, Rom reformiert seine Sicht und erkennt die Irrtümer an, in die das Konzil die Kirche geführt hat.” (“Jamais nous ne signerons de compromis; les discussions n’avanceront que si Rome réforme sa manière de voir et reconnaît les erreurs dans lesquelles le Concile a mené l’Eglise.”).

Jeden Kompromiss a priori kategorisch abzulehnen, ist nur möglich, wenn man die eigene Position mit der verbindlichen Glaubenslehre identifiziert. Aber gerade darum geht es nicht, sondern um das richtige Verständnis des Konzils. Selbst wenn man der Piusbruderschaft zugesteht, die traditionelle Lehre der Kirche richtig zu verstehen, und von ihr nicht verlangt, davon Abstriche zu machen, so bleibt davon unberührt die Frage, ob die Piusbruderschaft ihrerseits das Konzil richtig versteht und in ihrer Diagnose eines unüberwindlichen Widerspruchs recht hat. Dafür kann die Piusbruderschaft keine Glaubensgewißheit beanspruchen. Hier geht es nicht darum, ob man in Glaubensfragen Kompromisse eingeht (was sich tatsächlich verbietet), sondern um die Möglichkeit der Selbstkorrektur in der Einschätzung der Positionen des Verhandlungspartners, der in diesem Fall immerhin kein Geringerer ist als der Heilige Stuhl.

Das sind elementare Unterscheidungen, zu denen Tissier de Mallerais offensichtlich nicht in der Lage ist. Zu der Geisteshaltung, die sich in dieser Unfähigkeit offenbart, habe ich in Randnotiz Nr. 3 schon einiges gesagt. Zu ergänzen bleibt noch die Bemerkung, dass sich die Piusbruderschaft mit dieser Haltung trotz aller Dementis eben doch zu einem Lehramt aufschwingt, das sich über das Lehramt des Papstes stellt. Der Richterspruch steht von vorneherein fest, und nur, wenn sich der Papst diesem Richterspruch unterwirft, kann es zu einer Einheit kommen. Fragt sich nur, wer unter solchen Umständen wen in die Einheit der Kirche aufnimmt: der Papst die Piusbruderschaft und die Piusbruderschaft den Papst? Allein diese Frage stellen zu müssen, zeigt schon das ganze Ausmaß der unkatholischen Haltung, die sich der Piusbruderschaft bemächtigt hat.

Man könnte darüber zur Tagesordnung übergehen und die Piusbruderschaft ihr eigenes Grab schaufeln lassen, wenn es nicht die vielen Gläubigen gäbe, die durch solche Verantwortungslosigkeit der Kirche weiterhin entfremdet würden. Für alle aber, die die Kirche lieben und die Piusbruderschaft schätzen, ist es ein großer Schmerz, zu sehen, wie Arroganz und Rechthaberei die Einigungsbemühungen des Papstes zunichte zu machen drohen.


Randnotiz 19:
Fellay: Am Steuer oder auf verlorenem Posten?

Es ist Zeit, an das Interview zu erinnern, das im Jahr 2000 Bischof Bernard Fellay, der Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X., Stefano Maria Paci von der Zeitschrift 30Tage gegeben hatte. Es wurde in der Ausgabe 9/2000 veröffentlicht. Auf die Frage, was er tun würde, wenn der Papst ihn zu sich zitieren würde, antwortete Fellay damals: “Wenn mich der Papst ruft, komme ich. Ja, ich komme gelaufen. Das ist sicher. Aus Gehorsam. Aus kindlichem Respekt vor dem Oberhaupt der Kirche.”

Diese Antwort war verantwortlich für den Optimismus, mit dem Kardinal Castrillon Hoyos sich von da an den Einigungsbemühungen mit der Piusbruderschaft widmete.

Zum Zweiten Vaticanum gab es folgende interessante Frage und Antwort:
“Monsignore, wir wollen doch realistisch sein. Wie soll man glauben können, dass Rom sagen könnte: Wir haben uns mit dem II. Vatikanischen Konzil geirrt. Was kann der Vatikan also konkret unternehmen, um wieder eine Bindung zu Ihnen zu haben?
Fellay: Was die praktischen Schritte angeht, die Lösung von Problemen, besitzt Rom überaus großes Wissen und Geschick. Es kann also sicher die passenden Formeln finden. Ich muß Ihnen recht geben: man muß realistisch sein. Wir erwarten nicht, dass der Vatikan ein großes mea culpa spricht, Dinge wie: ‘Wir haben eine falsche Messe verabschiedet.’ Wir wollen nicht, dass die Autorität der Kirche noch mehr vermindert wird. Das ist schon zu weit gegangen: jetzt reicht es. Aber Rom könnte durch Fakten zeigen, dass es eine deutlich andere Richtung eingeschlagen hat.”

Als das entscheidende solcher Fakten benennt er dann die allgemeine Freigabe des überlieferten Messritus: “Es wäre gar nicht nötig zu sagen, dass mit der neuen Messe Fehler begangen wurden: es wäre ausreichend, den Priestern, die das wollen, die Möglichkeit zu geben, die Messe nach dem Ritus zu feiern, den sie vorziehen.” Eine solche Maßnahme, so Fellay, würde alles ändern und die Situation für eine vollkommene Harmonisierung sehr viel aufgeschlossener machen.

Mit anderen Worten: Fellay stellte die Überwindung des Schismas für den Fall jener Maßnahme in Aussicht, die am 7. Juli 2007 Wirklichkeit wurde. Wie wenig dies an der Situation in den Augen eines anderen Bischofs der Piusbruderschaft, Tissiers de Mallerais, änderte, zeigen dessen schon zitierten Aussagen aus dem Jahr 2008, wo er vom “besetzten Rom” spricht, mit dem er jede Aussöhnung kategorisch ausschloss.

Fellay trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er die Forderung eines römischen Schuldbekenntnisses als weiteren Schritt der Untergrabung der kirchlichen Autorität ansieht. Jüngste Äußerungen eines anderen Lefebvrebischofs, nämlich Richard Williamsons, zeigen, dass Fellay mit diesem Anzeichen katholischer Haltung alleine dasteht. Williamson bezeichnete jüngst in einem Interview das letzte Konzil als eine “vergiftete Torte”, die von der Kirche verworfen werden müsse. Übrigens meinte er mit diesem Ausdruck nicht das jüngste Motu proprio vom 2. Juli 2009, wie die deutsche Abteilung von Radio Vatikan und viele Medien im Gefolge fälschlicherweise gemeldet hatten (Auf der Website von Radio Vatikan wurde die Nachricht nach etwa einer Woche stillschweigend korrigiert). Ein Blick auf die Quelle, einen Artikel von La Stampa, kann schnell davon überzeugen. Der Artikel stützt sich auf ein Interview, das im Juni, also vor dem jüngsten Motu proprio, geführt wurde und das im Internet als Video zur Verfügung steht.

Mit seiner Forderung verabschiedet sich Williamson vom Realismus, den sein Generaloberer gezeigt hat, und offenbart denselben Realitätsverlust, den wir schon bei Tissier de Mallerais feststellen mussten. Moderate Äußerungen Fellays, also seines eigenen Vorgesetzten, tut er als Diplomatie ab, und beschädigt so dessen Glaubwürdigkeit. Im übrigen zeigt allein die Tatsache dieses Interviews, was er vom Schweigegebot hält, das der Generalobere über ihn wegen seiner Aussagen zum Holocaust verhängt hatte.

Fazit: So wie in den letzten Jahrzehnten die Piusbruderschaft die Autorität des Heiligen Stuhles untergraben hat, so untergraben nun die Hardliner in ihr die Autorität ihres eigenen Generaloberen. Die Aussichten auf eine Rückkehr der gesamten Piusbruderschaft schwinden. Doch sollte man beten, dass der Generalobere jenem Kurs, den er im Jahr 2000 andeutete, treu bleibt, die Gunst der Stunde nutzt und einen möglichst großen Teil der Piusbruderschaft in die Einheit mit dem Heiligen Stuhl zurückführt - gegen den vereinten Widerstand ihrer Hardliner und progressiver Bischöfe.


Randnotiz Nr. 20:
Das Janusgesicht der Piusbruderschaft

In der ansonsten mit doch recht fragwürdigen Urteilen durchsetzten Rezension Regina Einigs (Tagespost vom 27. August 09) über die Biographie Marcel Lefebvres, die Bernard Tissier de Mallerais verfaßt hat, findet sich die Bemerkung, dass der Autor sich im Ton vergreife, wenn er die Petrusbrüder und die Benediktiner von Le Barroux als Abtrünnige bezeichne. Meines Erachtens fällt noch mehr ins Gewicht, dass Erzbischof Lefebvre nach der Einigung von Le Barroux mit Rom kurz nach den Bischofsweihen im Jahr 1988 die Losung ausgab, im praktischen Umgang die Mönche wie Exkommunizierte zu betrachten.

Das bedeutete nichts anderes, dass allein schon die Einheit mit dem Heiligen Stuhl ein Grund war, ihnen das volle Katholischsein abzusprechen. Umgekehrt leugnete man für sich das Bestehen eines Schismas. Man beanspruchte trotz der Exkommunikation die Einheit mit Rom, die man andererseits jenen zum Vorwurf machte, die den Bruch mit Rom nicht mitvollzogen. Hier geht es nicht mehr bloß um einen verfehlten Ton, sondern um eine verfehlte Ekklesiologie, für die man kaum irgendwelche Ansatzpunkte in der Tradition finden wird. Um die Tradition zu retten, flüchtet sich die Piusbruderschaft in traditionsfremde Spekulationen und arbeitet mit einem schillernden Rombegriff. Je nach Bedarf zieht man die eine oder andere Karte: Um nicht als Schismatiker zu gelten, beansprucht man die Einheit mit Rom und meint damit das ewige, katholische Rom; und um jene, die sich dem Papst unterwerfen, zu brandmarken, wirft man ihnen die Einheit mit Rom gerade vor, und meint nun das modernistische, besetzte Rom. Dabei handelt es sich jeweils um ein und denselben Papst, den ganz konkreten Heiligen Stuhl, den man solcherart gedanklich in zwei Extreme aufteilt, um die Einheit mit ihm zu beanspruchen und sie gleichzeitig abzulehnen (cf. auch diese Analyse der theologischen Position der Piusbruderschaft).

So ergibt sich für den Außenstehenden ein Janusgesicht der Piusbruderschaft: Einerseits das romfreundliche Gesicht, das den Generaloberen “in kindlichem Respekt vor dem Oberhaupt der katholischen Kirche” nach Rom laufen lässt, andererseits das romfeindliche Gesicht, das jede Einheit mit dem Papst um des Glaubens willen kategorisch ablehnt. Es wäre voreilig und sicherlich den meisten Mitgliedern der Piusbruderschaft gegenüber ungerecht, hier von Doppelzüngigkeit zu sprechen und ihnen ein falsches Spiel, das sie mit Rom treiben, vorzuwerfen. Vielmehr ist dieses Janusgesicht die Folge eines seit Jahrzehnten andauernden inneren Konflikts, gleichzeitig Papst und Tradition anerkennen zu wollen, obwohl man sie in einem Widerspruch zueinander sieht. Die ekklesiologischen Blüten, die dieser Konflikt inzwischen treibt, sollte eigentlich ein genügender Anlass sein, die eigene Position selbstkritisch zu durchleuchten und sich die Frage zu stellen, ob tatsächlich ein glaubensrelevanter Widerspruch zwischen dem besteht, was Papst Benedikt XVI. als Lehre des Konzils verkündet, und dem, was unaufgebbar zur Lehrtradition der Kirche gehört. Dieser behauptete Widerspruch ist schon so etwas wie ein privates Dogma der Piusbruderschaft, nicht aber ein Dogma der Kirche. Die anstehenden theologischen Verhandlungen mit Rom, denen jeder gläubige Katholik nur Erfolg wünschen kann, werden denselben nur haben können, wenn die Piusbruderschaft bereit ist, ihre privaten Dogmen auf den theologischen Prüfstand zu stellen, statt sich mit einer fragwürdigen Ekklesiologie zum oberpäpstlichen Zensor aufzuwerfen.

Dass das Janusgesicht der Piusbruderschaft nicht in die erwähnte Doppelzüngigkeit umschlägt, ist nur solange möglich, wie der Einzelne den inneren Widerspruch nicht durchschaut. Tut er dies, bleibt ihm nur noch übrig, doppelzüngig zu werden oder zwischen den beiden Janusgesichtern zu wählen. Diese Konsequenz hat jetzt im August wieder ein Priester der Piusbruderschaft gezogen, nämlich P. Juan Carlos Ceriani. Er wirft seinem Generaloberen vor, ernsthafte Einigungsverhandlungen mit dem modernistisch besetzten, antichristlichen Rom führen zu wollen, und hat deshalb die Gemeinschaft verlassen. Das ist - aus seiner Sicht - nur konsequent. Die Position von Leuten wie Bischof Galarreta, der die Einheit mit Rom ausschließt, jetzt aber von Seiten der Piusbruderschaft zum Verhandlungsführer bestimmt worden ist, läuft auf den Standpunkt hinaus: Rom ist noch so katholisch, dass man mit ihm sprechen darf, aber so unkatholisch, dass man sich nicht mit ihm einigen darf. Das Unausgegorene eines solchen Standpunkts ist mit Händen zu greifen. Deshalb ist die Piusbruderschaft gut beraten, nicht so zu tun, als ob sie unendlich viel Zeit hätte. Die Priester in ihr, die sich mit einer solch fragwürdigen Ekklesiologie nicht mehr abfinden wollen, würden wohl an Zahl zunehmen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen, nach der einen oder anderen Seite hin. Besser als eine solche Entwicklung wäre eine starke Piusbruderschaft, die, in ihren Positionen geläutert und zu einem gesunden Sentire cum Ecclesia zurückgekehrt, ihre Kräfte in den Dienst der Neuevangelisierung stellen würde, in selbstverständlicher Einheit mit dem Papst und katholischer Unterordnung unter seine Hirtengewalt.


Randnotiz Nr. 21:
Interpretation oder Zensur?

Das Zweite Vatikanische Konzil im Licht der Tradition zu interpretieren: Wenn dies die Zielsetzung wäre, die beiden Parteien bei den nun bald einsetzenden theologischen Gesprächen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Priesterbruderschaft St. Pius X. gemeinsam wäre, dann dürfte man guter Hoffnung sein. Manche wohlmeinenden Sympathisanten der Piusbruderschaft tun so, als ob es sich bei dieser Interpretation um ein Anliegen der Piusbruderschaft handele, auf das Rom nun endlich einginge. Betrachtet man allerdings Äußerungen selbst von gemäßigten Mitgliedern der Piusbruderschaft, wie etwa von P. Matthias Gaudron, entsteht der Eindruck, dass eine solche Interpretation nicht gesucht wird. In einem Leserbrief, der am 6. Juni 2009 in der Tagespost veröffentlicht wurde, führte Gaudron Theologen wie Yves Congar, Courtnay Murray und Martin Rhonheimer als Kronzeugen für eine Interpretation im Sinne des Kontinuitätsbruchs an. Eine solche Interpretaton macht in den Augen der Piusbruderschaft natürlich eine Korrektur des Konzils notwendig. Es geht also nicht um eine Interpretation, sondern um eine Zensur des Konzils im Licht der Tradition. Man bleibt bei einer Interpretation der Diskontinuität und übt in dieser Frage eifrig den Schulterschluß mit den entsprechenden Theologen auf der Gegenseite.

Wie tief die Eingriffe in die Konzilstexte gehen müssen, scheint in der Piusbruderschaft umstritten zu sein. Einerseits wurde am 16. September auf ihrer deutschen Website ein Text veröffentlicht, der belegt, dass man in ihr die Missbräuchlichkeit einer Berufung aufs Konzil entdeckt hat, wenn modernistische Theologen die Heilsnotwendigkeit der Kirche leugnen. In dieser Frage sieht man das Konzil in Kontinuität mit der Tradition. Andererseits folgte zehn Tage später ein Text des Seminarregens P. Stefan Frey, der die üblichen Pauschalverdächtigungen im gewohnten exzessiven Sprachstil gegen das Konzil vorbringt, das dargestellt wird als eine gigantische innerkirchliche Revolution, die durch ihre glaubenszerstörenden liberalen Prinzipien den nachkonziliaren Zusammenbruch herbeiführte. Im Gegensatz zum ersten Text werden hier die modernistischen Theologen in Übereinstimmung mit dem Konzil gesehen.

Das distinguere, das Unterscheiden und Differenzieren, welches die ganze Schärfe des thomistischen Denkens ausmacht, scheint nicht die Stärke der Piusbruderschaft zu sein, die eher das Denken in pauschaler Schwarz-Weiß-Malerei vorzieht. Ob das die besten Voraussetzungen für einen theologischen Disput sind? Vorbehaltlos zustimmen kann man allerdings der Bitte Freys um das inständige Gebet für ein gutes Gelingen der Gespräche.


Randnotiz Nr. 22:
Das Gebet ist mächtiger ...

Der Aufruf der Piusbruderschaft zum Rosenkranzgebet und die Millionen von daraufhin gebeteten Rosenkränzen, die der Aufhebung der Exkommunikation vorausgingen, wurden von mancher Seite lächerlich gemacht. Wenn Ungläubige das tun, ist das nichts Besonderes. Wenn aber Christen darüber spotten, ist das nur ein Zeugnis ihres mangelnden Glaubens an die Wirksamkeit des Gebets. In Zeiten eines entmythologisierten Jesus, der keine Wunder vollbracht hat, nicht leibhaftig auferstanden ist und deshalb auch nicht zur Rechten des Vaters sitzt, hat das Gebet keine Hochkonjunktur. Zu realistischen Formen des Morgengebets gehört dann z.B. die Zeitungslektüre, wie ich selber seinerzeit im Religionsunterricht gelernt habe. Insofern hätte die Kirche das übernatürliche Denken der Piusbruderschaft bitter nötig als Gegengift gegen die naturalistische Austrocknung des Christentums seitens vieler Theologen.

Auf das Gebet für die nun beginnenden Gespräche zwischen Piusbruderschaft und Heiligem Stuhl setze ich deshalb auch mehr Hoffnung als auf die theologische Kompetenz der Gesprächsteilnehmer. Genau dieselbe vermisse ich nämlich bei der Piusbruderschaft. Vielleicht ist sie ja vorhanden. Aber in dem Fall ist es ihr bis jetzt hervorragend gelungen, sie zu verbergen. Wo ist ihre Auseinandersetzung beispielsweise mit der dreitausendseitigen Studie von Père Basile Valuet von Le Barroux über die Religionsfreiheit geblieben? Stattdessen blieb es bei der stereotyp wiederholten Entgegensetzung der alten Toleranzlehre gegen die konziliare Lehre von der Religionsfreiheit, ohne sich die Mühe zu machen, sich auf die Gegenargumente wirklich einzulassen. Die Charakterisierung als Neuerung genügte, den personalistischen Ansatz von Dignitatis Humanae von vorneherein abzuschmettern, ohne zu bedenken, dass derselbe in der traditionellen Lehre über das Elternrecht schon zum Zuge gekommen ist und bereits von Pius XII. aufgegriffen wurde.

Man kann dieses Verhalten - bei allen Unterschieden - mit dem jahrhundertelang währenden Abwehrkampf der Dominikaner gegen die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens vergleichen. Das Standardargument seit dem hl. Thomas von Aquin lautete, dass diese Lehre nicht in der Tradition verankert sei. Das genügte ihnen, um den skotistischen Ansatz des potuit, decuit ergo fecit zu verwerfen und der Lösung des scheinbaren Widerspruchs jener Lehre zur Universalität der menschlichen Erlösungsbedürftigkeit (durch die Auffassung der Bewahrung von der Erbsünde als Voraus-Erlösung) die Anerkennung zu versagen. Erst mit der Dogmatisierung der Wahrheit im Jahr 1854 gaben die letzten Dominikaner ihren Widerstand auf. Dass es damals nicht zu einem Schisma kam, haben wir nur der Tatsache zu verdanken, dass es unter ihnen keinen Tissier de Mallerais gab.

Möge die Rosenkranzkönigin die theologischen Gespräche durch ihre Fürbitte begleiten und das Einigungswerk des Papstes zur Vollendung führen!


Randnotiz Nr. 23:
Anerkennen und anerkennen lassen

“Wenn man die um die Einheit mit Petrus bemühten Anglikaner nach einem halbtausendjährigen Schisma nicht im Regen stehen lässt, wird man das dann mit den Lefèbvrianern tun, die erst seit zwanzig Jahren vor der Tür der römischen Kirche stehen?” Diese interessante Parallele zieht Guido Horst in der Tagespost vom 24. Oktober 2009, wo er die historische Dimension der Einheitsbemühungen Papst Benedikts XVI. würdigt. Außerdem meint Horst: “Die Pius-Brüder haben nicht [wie die Anglikaner] jahrhundertelang ihr eigenes Süppchen gekocht, sondern nur einige Jahrzehnte die Liturgie so gefeiert und die Lehre so interpretiert, wie das zuvor die gesamte katholische Kirche über Jahrhunderte als richtig empfand.”

Tatsächlich stellt sich die Frage, ob das Festhalten an der traditionellen Liturgie und Lehrinterpretation jemals kirchentrennend sein kann. Das deckt sich mit der Selbsteinschätzung der Piusbruderschaft, wie sie kürzlich wieder deren Generaloberer Bernard Fellay kundgetan hat: "Wir haben alles, was notwendig ist, um Angehörige der Katholischen Kirche zu sein. Zuallererst den Glauben, den wir von der Kirche erhalten haben und den wir bis zum Tod bewahren wollen, weil es ohne Glauben unmöglich ist, Gott wohlgefällig zu sein. Zweitens die Gnade, das Gebet und die Liturgie die uns von der Kirche zukommen, wie es der Heilige Vater sehr gut im Motu proprio ausgedrückte, indem er erklärte, daß der alte Messritus nie abgeschafft worden ist. Und schließlich, auch wenn es widersprüchlich scheinen mag, der Papst selbst und die kirchliche Hierarchie. Das Haupt der Kirche, der Stellvertreter Christi, ist die Autorität, die wir anerkennen" (El Mercurio vom 18. Oktober 2009).

Was steht dann der Einheit noch im Wege? Angesichts der Hand, die der Heilige Stuhl seit einundzwanzig Jahren ausgestreckt hält, möchte man Nathanael Liminski zustimmen, dass es letztlich eine Frage des Willens ist. “Papst Benedikt XVI. hat diesen Willen gezeigt und dafür innerhalb wie außerhalb der Kirche viel Gegenwind in Kauf genommen.”

Fellay geht in der katholischen Selbstdarstellung sogar noch einen Schritt weiter, indem er behauptet, die Piusbruderschaft habe nie "jene Beziehung der Unterordnung unter die päpstliche Autorität verloren." Merkwürdig, dass man von dieser Unterordnung nichts sieht. Daran, dass diese Aussage keine bloße Augenwischerei ist, fehlt nur die Umsetzung der behaupteten Unterordnung in die Tat. Oder mit anderen Worten: Die Piusbruderschaft sollte nicht nur die Autorität des Heiligen Stuhles anerkennen, sondern sich auch selbst von ihm als eine Gemeinschaft mit kanonischem Status anerkennen lassen. Alle Seiten könnten von diesem Schritt nur profitieren: Die Piusbruderschaft wäre eine anerkannte katholische Gemeinschaft, ihre Glaubwürdigkeit wiederhergestellt, das Ärgernis der Spaltung beseitigt und die Kirche um eine seeleneifrige, traditionsverbundene Gemeinschaft reicher.


Randnotiz Nr. 24:
Das Spiel mit den Einigungskriterien

Die Reaktionen auf die Aufhebung der Exkommunikation sollten bei der Piusbruderschaft jeden Zweifel darüber beseitigt haben, wo Freund und Feind sitzen. Wurden die Einigungsbemühungen Roms 1988 noch als ein feindlich gesinntes Manöver und als eine Falle gewertet, in die Erzbischof Marcel Lefèbvre durch das Abkommen vom 5. Mai 1988 fast geraten wäre und der er durch die eigenmächtigen Bischofsweihen entkommen sei, so haben die Ereignisse vom Februar bis Sommer dieses Jahres ein klares Licht auf die wahre Rollenverteilung geworfen: hier der Papst, der um des Wohles der Kirche und der Piusbruderschaft willen die Einheit sucht, dafür den größten Imageverlust in Kauf nimmt und trotz der anhaltenden Kritik durch die Aufnahme des Dialogs am Versöhnungskurs festhält, dort Theologen und Bischöfe, die dem Papst Amtsmissbrauch und Verrat am Konzil vorwerfen bzw. den Dialog mit der Bruderschaft verweigern, alles daransetzen, sie weiterhin auszugrenzen, und das übliche Tagesgeschäft der Bruderschaft zu beabsichtigten Provokationen hochstilisieren, um dem Versöhnungsprozess womöglich den Todesstoß zu versetzen; hier Freunde wie Professor Georg May, die die Piusbrüder zum Vertrauen und zum Durchschreiten des aufgestoßenen Tores aufrufen, dort Feinde, die alles tun, um das zu verhindern.

Eine Spaltung der Piusbruderschaft will keiner. Die ihr Wohlgesonnenen (zu denen ich mich selber zähle) wollen sie möglichst als Ganzes wieder in voller Einheit mit der Kirche, ihre Feinde wollen sie möglichst ganz und vollkommen draußen.

Während Erzbischof Lefebvre für das Scheitern der Einigung im Jahr 1988 nicht theologische, sondern psychologische Gründe verantwortlich machte (auf der Pressekonferenz zwei Wochen vor der Bischofsweihe nannte er die unterschriebene Einigung akzeptabel, bekannte sich aber zu einem vollkommenen Vertrauensverlust gegenüber Rom), scheinen sich nun die Verhältnisse umzukehren. Das Misstrauen ist einer realistischen Sicht gewichen. In einem Interview, das Gloria.tv mit dem Generaloberen Bernard Fellay führte, unterstellte dieser in erfreulicher Klarheit dem Papst im Hinblick auf die Piusbruderschaft ehrliche Absichten. So könnte man guter Hoffnung sein, wenn es nicht zwei Dinge gäbe, die diese Hoffnung trüben: einerseits die theologischen Maximalforderungen, mit denen die Piusbruderschaft in die Verhandlungen geht, und andererseits der quälende Zweifel daran, wie weit die Haltung Fellays wirklich repräsentativ für seine Gemeinschaft ist.

Zu 1: Ohne diplomatische Schnörkel sind die Maximalforderungen von den Bischöfen Tissier de Mallerais und Galarreta genannt worden: Bekehrung Roms zur Tradition, wie die Piusbruderschaft sie versteht, und damit offizielle Korrektur des Zweiten Vatikanischen Konzils. So utopisch dieses Ziel ist, so unmöglich scheint von anderer Seite die übliche ökumenische Lösung, wie sie etwa in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre praktiziert wurde, durch die Aufmerksamkeit geworden zu sein, mit der die Welt in und außerhalb der Kirche seit Williamsons Supergau die Verhandlungen verfolgt: Jede Kompromissformel, die eine Einigung im Wesentlichen festhält und bleibende Differenzen als nicht kirchentrennend qualifiziert, würde als eine Kapitulation Roms und dessen Verrat am Konzil verunglimpft werden, und zwar um so schriller, je weniger die Schreier selber etwas mit dem Konzil am Hut haben. Nun mag man zwar einwenden, dass der Heilige Stuhl auf solches Geschrei keine Rücksicht nehmen dürfe. Aber gerade in diesem Punkt liegt bei der Piusbruderschaft die größere Bringschuld, da sie es ist, um derentwillen der Papst in der Öffentlichkeit demontiert wurde, und die ihn trotz der Kenntnis von Williamsons Interview ohne Vorwarnung ins offene Messer laufen ließ und somit nun ihren Teil an Verantwortung trägt für jene Seelen, die als Opfer der Medienkampagne an der Kirche irre geworden sind und ihr entfremdet wurden. Dieser Umstand würde es jedem Anstandsgefühl verbieten, sich in der Öffentlichkeit als solche zu präsentieren, die die Bedingungen einer Einigung praktisch diktieren, wie die beiden erwähnten Bischöfe es de facto getan haben. Darüberhinaus bestehen Gründe zu der Vermutung, dass 1988 auch die Sorge um eine mögliche Spaltung der Piusbruderschaft den Erzbischof zu seinem fatalen Schritt bewogen habe. Wenn dies beim Erzbischof recht ist, soll es beim Papst nicht billig sein, die quantitativ noch viel schwerwiegenderen Irritationen zu berücksichtigen, die - sei es berechtigt, sei es unberechtigt - eine großzügig entgegenkommende Einigung mit der Piusbruderschaft auslösen wird?

Zu 2: Die Fähigkeit, sich in die Situation Roms hineinzuversetzen, die Folgen der ganzen Affäre für dessen moralische Autorität mitzubedenken und dem einigermaßen Rechnung zu tragen, scheint - das ist das Erfreuliche - bei Fellay vorhanden zu sein, scheint sich aber - das ist das Unerfreuliche - auf ihn zu beschränken. Seiner realistischen Sicht stehen Verschwörungsdenken und Schwarz-Weiß-Malerei der anderen drei Bischöfe gegenüber. Ein Beispiel für diesen Widerspruch im Detail: Während Fellay im Jahr 2000 beteuerte, dass sich durch die allgemeine Freigabe der überlieferten Liturgie die Lage grundlegend ändern würde, behauptete Bischof de Galarreta in einem Interview vom 9. Juli 2009, dass das Problem exakt weiter bestehe und sich seit der Freigabe nicht gewandelt habe. Bei genauerem Hinsehen löst sich der Widerspruch freilich auf: Man kann die Aussagen Fellays auf die psychologische Situation münzen: Durch die Freigabe der Liturgie und erst recht durch die Aufhebung der Exkommunikation ist eine Situation eingetreten, in der das seinerzeitige Misstrauen keinen Platz mehr hat. 1988 war dieses Misstrauen der Grund des Scheiterns, während das Einigungsprotokoll theologisch akzeptabel war. Nun ist es umgekehrt: Theologisch hat sich durch die beiden Maßnahmen nichts geändert. “Denn die Situation des Notstands rührt ja aus der Veränderung des Glaubensgutes und der Einführung von Lehrinhalten her, die der Tradition und dem katholischen Glauben diametral entgegengesetzt sind”, läßt sich de Gallareta hören. Und erst wenn Rom “zur Tradition zurückkehrt”, kann es eine Einigung geben. Das ist die anfangs erwähnte Umkehrung der Einigungskriterien seitens der Piusbruderschaft: 1988 war der Erzbischof zur praktischen Anerkennung der Autorität des Heiligen Stuhles unter Hintansetzung der theologischen Differenzen bereit, scheiterte aber am Misstrauen. Nun ist das Misstrauen beseitigt, aber die Unterordnung unter die Apostolische Autorität wird an die Bedingung einer theologischen Einigung nach Maßgabe der Piusbruderschaft geknüpft. Eine solchermaßen erzielte Einigung würde genau das bedeuten, wovon Fellay vor neun Jahren sagte, dass die Piusbruderschaft es nicht will: “Wir wollen nicht, dass die Autorität der Kirche noch mehr vermindert wird. Das ist schon zu weit gegangen: jetzt reicht es.”

Wollen wir beten, dass der Realismus und der kirchliche Sinn in der Piusbruderschaft sich durchsetzt und der Radikalismus in ihr nicht genau das erreicht, was auch ihre Feinde wollen: das endgültige Scheitern der Einigung.


Randnotiz Nr. 25:
Urteilsfähigkeit und Augenmaß

Als Montalembert, neben Lamennais und Lacordaire einer drei bedeutendsten französischen Liberalen, die durch die kirchliche Verurteilung des Liberalismus getroffen wurden, 1870 starb, ließ es sich Papst Pius IX. nicht nehmen, für ihn ein feierliches Requiem halten zu lassen und demselben persönlich beizuwohnen. Dadurch bezeugte er die Achtung, die er diesem Verteidiger der Kirche trotz des Dissenses in der Einschätzung der Rolle des Staates im Verhältnis zum katholischen Glauben zollte.

Ganz anders dagegen die Haltung der Priesterbruderschaft St. Pius X.: Für sie sind die Liberalen Feinde Christi, die die Entchristlichung der Gesellschaft und der Kirche vorantreiben, Antichristen, die Rom besetzt halten (so Erzbischof Lefebvre 1987).

Als 1980/81 die polnische Gewerkschaft Solidarnosc unter Lech Walesa an den Grundfesten der kommunistischen Regierung zu rütteln begann, sagte mir ein führender Priester der Piusbruderschaft, die Liberalen seien gefährlicher als die Kommunisten. Mag sein, dass er in diesem speziellen Fall sein Urteil inzwischen korrigiert hat, es bleibt aber symptomatisch für die Realitätsferne des Denkens, das er repräsentiert. Bis heute fehlt der Piusbruderschaft die Fähigkeit, die Rolle des polnischen Papstes für die Überwindung des Kommunismus zu erkennen und zu würdigen. Angesichts eines verbrecherischen Regimes, das Orthodoxe, Katholiken, Baptisten und überhaupt religiöse Menschen jedweder Couleur brutal und blutig verfolgte, Religionsfreiheit selektiv nur für Katholiken zu fordern, hätte dem Papst jede moralische Glaubwürdigkeit geraubt. Und auch auf dem Zweiten Vatikanum waren es gerade Bischöfe der verfolgten Kirche im Ostblock, die auf die Religions- und Gewissensfreiheit drangen, weil sie Zeugen davon wurden, wie korrumpierend sich staatlicher Druck in diesem sensiblen Bereich auswirkt. So führte z.B. Josef Kardinal Beran, Erzbischof von Prag, aus: “Seit in meiner Heimat die Gewissensfreiheit radikal beschränkt wurde, war ich Zeuge schwerer Versuchungen vieler Menschen. Überall in meinem Bistum, auch unter den Priestern, beobachtete ich nicht nur große Glaubensnöte, sondern auch starke Versuchungen zu Lüge, Heuchelei und andere Laster, die ein Volk verderben, das wirklicher Gewissensfreiheit entbehrt. Wenn die Bedrückung der Gewissen sich bewusst gegen die wahre Religion wenden, ist es für jeden Gläubigen klar, dass es sich um ein schweres Ärgernis handelt. Aber die Erfahrung zeigt uns, dass Handlungen gegen die Gewissensfreiheit auch dann verderblich sind, wenn sie auf den Vorteil des wahren Glaubens gerichtet sind oder dies vorgeben. Überall und immer, ich wiederhole immer, erzeugt Verletzung der Gewissensfreiheit bei vielen Menschen Heuchelei. Und man muß wohl sagen, dass Heuchelei, die den Glauben vortäuscht, der Kirche noch mehr schadet als eine Heuchelei, die den Glauben verheimlichen will.”

Wie sehr muss man in seiner eigenen Gedankenwelt gefangen sein, um solche Vertreter der Religionsfreiheit auf eine Stufe mit Apostaten stellen zu können? Für jeden gutwilligen Katholiken ist klar, dass eine so verstandene Gewissensfreiheit nichts mit einem Recht auf Irrtum zu tun hat, welches dem Konzil vorzuwerfen selbst akademisch gebildete Anhänger der Piusbruderschaft nicht müde werden.

Es ist das gute Recht der Piusbruderschaft, auf einer Klärung der Frage zu bestehen, wie die Äußerungen des Lehramtes des 19. Jahrhunderts und des 20. Jahrhunderts miteinander kompatibel sind. Sie hat aber nicht das Recht, Papst und Kardinälen Apostasie, Mitwirkung an der Entchristlichung und Ähnliches vorzuwerfen. Wenn schon Pius IX. achtungsvoll mit den Liberalen seiner Zeit umgegangen ist, um wieviel mehr steht dies der Piusbruderschaft an in ihrem Urteil über den Papst - ganz abgesehen von der bis jetzt schmerzhaft vermissten Fähigkeit, dem geänderten historischen Kontext gerecht zu werden. In meinen Augen ist es nicht nur eine Frage der Ehrfurcht und der Achtung vor der Autorität des Heiligen Stuhls, sich für die Verunglimpfungen bis in die neueste Zeit hinein zu entschuldigen, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit und Wahrheit.


Randnotiz Nr. 26:
Erfreuliches

In meiner letzten Randnotiz habe ich die überzogene Kritik und die Ehrfurchtslosigkeit kritisiert, mit der die Piusbruderschaft - oder sollte man besser sagen: bestimmte Mitglieder? - den Papst immer wieder überzieht. Dass es auch anders geht, zeigt eine am Tag darauf veröffentlichte Video-Botschaft, in der P. Franz Schmidberger dem Papst mit warmen und aufrichtigen Worten für die Aufhebung der Exkommunikation dankt. Je gegenstandsloser meine Kritik an der Piusbruderschaft werden sollte, um so mehr würde ich mich freuen. Ausführlicher habe ich mich zum Thema in einem Interview geäußert, das heute, am 26. Januar 2010, in der Tagespost erschienen ist.


Randnotiz Nr. 27:
Erkennt die Piusbruderschaft das gegenwärtige Lehramt an?

Am 19. Dezember 2009 ging Alfonso de Galarreta, Bischof der Piusbruderschaft und Leiter von deren Theologendelegation, die die doktrinellen Gespräche mit dem Heiligen Stuhl führt, in einer Predigt auf diese Verhandlungen ein (veröffentlicht in der Februarausgabe des Mitteilungsblatts der Piusbruderschaft). Es gehe um eine Diskussion über das Zweite Vatikanische Konzil und das nachkonziliare Lehramt. Erkennt die Piusbruderschaft dieses Lehramt an? Wer sich von den Ausführungen Galarretas eine Bejahung dieser Frage erhofft, sieht sich enttäuscht. Er sagte:
“Das Wichtigste ist aber – und das wurde sehr klar festgestellt -, dass das einzig mögliche gemeinsame Kriterium der Gespräche das frühere Lehramt ist. Ich wiederhole: das einzige gemeinsame und mögliche Kriterium, das wir akzeptieren. Es ist dies eine Bedingung sine qua non für die Diskussionen, dass man von dem Lehramt ausgeht, wie es vor dem II. Vatikanischen Konzil bestand, vom Lehramt aller Zeiten, von der Tradition.”

Wenn man diese Worte so, wie sie dastehen, ernst nimmt, bedeuten sie das Eingeständnis, dass man das gegenwärtige Lehramt nicht anerkennt.

Das Anliegen der Piusbruderschaft, die Frage der Kontinuität zwischen dem vor- und nachkonziliaren Lehramt zu klären, ist berechtigt. Man könnte es auch noch verstehen, wenn die Piusbruderschaft aus methodischen Gründen provisorisch das frühere Lehramt zur Ausgangsbasis der Gespräche macht, um den authentischen Sinn des Maßstabs zu klären, in dessen Licht die Aussagen des Konzils und des nachkonziliaren Lehramts zu verstehen sind. Bei intakter katholischer Ekklesiologie aber hätte Galarreta sinngemäß sagen müssen: Selbstverständlich erkennen wir das Lehramt an, das frühere wie das gegenwärtige. Deshalb muss genau der Sinn dessen untersucht werden, was das frühere Lehramt verworfen hat und was das heutige Lehramt lehrt, und im nicht auszuräumenden Konfliktfall, sollte er vorkommen, muss geklärt werden, welcher Verbindlichkeitsgrad der jeweiligen Lehramtsaussage zukommt. Das ist aus katholischer Sicht die einzig mögliche Vorgangsweise, um anscheinende Traditionsbrüche in den Lehramtsaussagen zu klären.

Stattdessen anerkennt Galarreta in der theologischen Diskussion ausschließlich das frühere Lehramt und schließt das gegenwärtige kategorisch aus. Dessen Aussagen werden nicht als Aussagen einer - vorgeblich doch anerkannten - Autorität wahrgenommen, sondern nur in der Rolle des Objekts einer Zensur: Wenn sie die Zensur bestehen, gehen sie durch, wenn nicht, müssen sie verworfen werden, wobei die Piusbruderschaft nicht müde wird, öffentlich zu bekunden, dass das Zensurergebnis für sie bereits feststeht und das Raster eines möglichen Konsenses mit dem Heiligen Stuhl vorgibt.

Ob man diese Verabschiedung vom Lehramt eine schismatische Gesinnung nennt oder nicht, ist letztlich nur eine Frage der Wortwahl. Es sollte der Piusbruderschaft aber klar sein, dass sie noch einen weiten inneren Weg zurückzulegen hat, um im Vollsinn katholisch zu sein.


Randnotiz Nr. 28:
Eigenbrötlerische Positionen

In einem Interview vom Februar dieses Jahres meinte P. Franz Schmidberger, dass die Piusbruderschaft keine eigenen Lehren vertritt, sondern nur die der Päpste vor dem Konzil. Wörtlich sagte er im Blick auf die Einigungsverhandlungen mit dem Heiligen Stuhl: “Eine Einigung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bruderschaft kann nur folgendes bedeuten: Rom anerkennt die Stimme des Lehramtes vor dem Konzil. Die Bruderschaft hat sich nie eine eigenbrötlerische Position zu eigen gemacht, sondern sich vielmehr zum Sprachrohr der Päpste gemacht, insbesondere jener seit der Französischen Revolution bis zum II. Vatikanischen Konzil.”

Im selben Interview vertritt er aber die haarsträubende These, dass Juden und Christen nicht an denselben Gott glauben. Bezeichnenderweise führt P. Schmidberger für diese These kein einziges Zeugnis eines Papstes an, was auch sehr schwierig sein dürfte, denn er wird wohl keines auftreiben können. Wohl aber gibt es das Zeugnis des hl. Papstes Gregors VII., dass die Muslime “den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde” (Gregor VII., Ep. III.,21 ad Anazir (Al-Nasir), regem Mauritaniæ, ed. E. Caspar in MGH, Ep. sel. II, 1920, I, 288, 11-15; PL 148, 451 A). Dieses Zeugnis wurde vom Zweiten Vatikanischen Konzil in dessen Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate angeführt, was von der Piusbruderschaft in ihrer Polemik gegen das Konzil geflissentlich verschwiegen wird.

Wenn schon für die Muslime gilt, dass sie den alleinigen Gott anbeten, um wie viel mehr für die Juden. Der argumentative Wert von Schmidbergers Berufung auf die Dreifaltigkeit ist gering, sobald man die Unterscheidung zwischen Referenz und Bedeutung verstanden hat, die ich an anderer Stelle erklärt habe.

Das wichtigste Fazit aber besteht in der Erkenntnis, dass die Piusbruderschaft sehr wohl eigenbrötlerische Positionen vertritt, für die sie sich nicht auf das traditionelle Lehramt berufen kann.


Randnotiz Nr. 29:
Die Unfähigkeit zur Scham

Guido Horst bezeichnet in seinem Leitartikel der Tagespost vom 3. August 2010 die Überwindung der unseligen Hermeneutik des Bruchs in der Konzilsinterpretation als eine der Hauptaufgaben des Pontifikats Benedikts XVI. Zurecht stellt er den “der Tradition verpflichteten Konzils-Interpretierern” die “Bruch-Hermeneutiker” entgegen, “die von einer ganz anderen Kirche träumen”.

Es ist an Tragik kaum zu überbieten, dass in diesem geistigen Ringen die Priesterbruderschaft St. Pius X. den Modernisten in die Hände spielt, indem sie deren Bruch-Hermeneutik teilt, die modernistische Konzilsinterpretation zementieren hilft und den Glaubenszerstörern den größten (scheinbaren) Trumpf, die Berufung auf das Konzil, überläßt. Sie hat sich damit vom entscheidenden geistigen Kampf verabschiedet, um sich der Hoffnung hinzugeben, die Kirche werde das Zweite Vatikanische Konzil ungeschehen machen. Ein auch nur flüchtiger Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass diese Hoffnung völlig illusorisch ist. Neueste Äußerungen des Generaloberen Fellay lassen befürchten, dass die Einigungsbemühungen Roms an der hartnäckig festgehaltenen Bruch-Hermeneutik der Piusbruderschaft scheitern werden. Das würde bedeuten, dass der Papst, nachdem ihn die Piusbruderschaft via Williamson in die bis dahin größte Glaubwürdigkeitskrise hineingerissen hatte, mit leeren Händen dastehen wird. Außer Spesen (bzw. einem Scherbenhaufen) nichts gewesen. Wie groß muss eigentlich angesichts dieser Tragödie die Gleichgültigkeit und der Verlust an sentire cum Ecclesia seitens der Piusanhänger sein, darüber keinen Schmerz, und seitens der Verantwortlichen, darüber keine Scham zu empfinden?


Randnotiz Nr. 30:
Verdorben?

Die Beschuldigungen, die ein Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. gegen Papst Benedikt XVI. erhob und die ich in meinem Vatican-Magazin-Artikel über die Religionsfreiheit zitierte - der Papst vertrete “gotteslästerlichen Wahnsinn”, propagiere das “Gesetz Satans” usw. - haben Entsetzen hervorgerufen. Nun könnte man annehmen und hoffen, dass dies eine Außenseiterposition in der Piusbruderschaft darstelle. Auch ich würde das gerne annehmen. Doch leider sprechen drei Dinge dagegen:

1. Bis jetzt gab es keine öffentliche Distanzierung von diesen Aussagen.

2. Bischof Richard Williamson, der ähnlich extreme Positionen vertritt, kann - wieder oder weiterhin - seine Meinungen veröffentlichen, ohne dass Bischof Bernard Fellay, der Generalobere der Piusbruderschaft, einschreitet. Dies zeigt, wie stark der extreme Flügel in der Piusbruderschaft sein muss. Am 7. Mai 2011 hat Williamson seinen 199. “Eleison-Kommentar” veröffentlicht. Darin wirft er den “Konzilspäpsten”“haarsträubende objektive Häresien” vor, die beim gegenwärtigen Papst in einem “Entleeren des Kreuzes” bestehen - und beruft sich dabei auf eine Studie des Piusbischofs Tissier de Mallerais! Das zeigt, dass der Häresievorwurf an Papst Benedikt XVI. nicht eine Randerscheinung ist, sondern offensichtlich die allgemeine Linie der Piusbruderschaft darstellt.

3. Den oben genannten Priester kenne ich persönlich aus seiner Ausbildungszeit im Priesterseminar her. Damals war er noch von einer solchen Achtung vor dem Papst erfüllt, dass die genannten Beschuldigungen in seinem Mund undenkbar waren. Seine heutige harte Haltung ist offensichtlich die Frucht dessen, was man vielleicht schon als Indoktrination in der Piusbruderschaft bezeichnen muss. Muss man da nicht sagen: In dieser speziellen Hinsicht, nämlich was das Verhältnis zum Papst angeht, werden junge, ideal gesinnte Priesteramtskandidaten in der Piusbruderschaft - bei allen Verdiensten, die diese für die Bewahrung des Glaubens und einer würdigen Liturgie haben mag - verdorben?


Randnotiz Nr. 31:
Das neue Dogma der Piusbruderschaft

Bischof Fellay, der Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X., hat am 15. August erneut die Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils bekräftigt und Rom vorgeworfen, nicht mehr der Leuchtturm der Wahrheit zu sein. Er begründet seine Haltung mit der Notwendigkeit, am Glauben festzuhalten. Indem er so tut, als ob es notwendig wäre, den Glauben gegen den Heiligen Stuhl zu verteidigen, suggeriert er die Vorstellung, der Papst wolle den Mitgliedern der Piusbruderschaft den Glauben rauben - eine Dreistigkeit nach allem, was Papst Benedikt schon für die Piusbruderschaft auf sich genommen und erlitten hat.

Doch worum geht es wirklich? Rom verlangt von der Piusbruderschaft eine Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils im Licht der Tradition. Das ist genau das, was Erzbischof Lefebvre zu seinen Lebzeiten von Rom gefordert hatte. Nun, wo Rom dies auch von der Piusbruderschaft fordert, wird dies von ihr entschieden zurückgewiesen. Die Piusbrüder beharren auf einer Konzilsdeutung im Widerspruch zur Tradition. Daraus machen sie ein neues Credo, und nur deshalb erscheint ihnen Rom als eine Bedrohung ihres Glaubens. Rom verlangt von der Piusbruderschaft keine Änderung des klassischen Glaubensbekenntnisses, sondern eine Änderung ihrer Sicht des Konzils. Die Piusbruderschaft verteidigt gegenüber Rom deshalb auch nicht den traditionellen Glauben, sondern ihre These vom unheilbaren Traditionsbruch, der mit dem Konzil vollzogen worden sei. Diese These ist zum Zentraldogma des neuen Glaubens der Piusbruderschaft geworden.

Wie böswillig ihre Konzilsdeutung ist, belegt die neueste Ausgabe des Mitteilungsblatts für den deutschen Sprachraum vom September 2011. Hier wird beim Abdruck einer Predigt, die Weihbischof Alfonso de Galarreta am 29. Juni gehalten hat, die Aussage der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium, dass die Kirche “in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der Menschheit” sei, als Beweis für den Vorwurf genommen, das Konzil habe die Kirche in den Dienst “einer humanistischen Menschlichkeitsvereinigung” gestellt. Natürlich bietet der Konzilstext für diese Deutung nicht den geringsten Anhalt. Im Gegenteil, aus dem Kontext geht klar hervor, dass es um die übernatürliche “volle Einheit in Christus” geht, die durch die Verwirklichung des Missionsbefehls, allen Geschöpfen das Evangelium zu verkünden, zu erreichen ist.

Von dieser Verketzerung des Konzils wollen die Piusbrüder nicht lassen. Das ist es, was sie gegen den Papst verteidigen, nicht der katholische Glaube. Robert Spaemann hatte seinerzeit gehofft, dass der große Liebeserweis des Papstes eine Wandlung in den Herzen bewirke, also das Eis der Verhärtung zum Schmelzen bringe. Mit ihm hatten dies auch viele andere erhofft, auch ich. Diese Hoffnung ist zuschanden geworden.


Randnotiz Nr. 32:
Licht oder Belastung?

“Möge die unbefleckte Jungfrau unsere glühenden Gebete erhören, damit das Werk der Ausbildung, das in diesem Hause [dem Priesterseminar der Priesterbruderschaft St. Pius X. in Ecône] auf wunderbare Weise bewirkt wird, seine volle Ausstrahlung für das Leben der Kirche findet.” Diese Worte schrieben Edouard Kardinal Gagnon und Mgr. Camille Perl am Ende ihrer apostolischen Visitation am 8. Dezember 1987 ins Goldene Buch von Ecône. Sie wurden nun im Vorwort des Distriktsoberen P. Franz Schmidberger zur Oktoberausgabe 2011 des Mitteilungsblatts für den deutschen Sprachraum zitiert.

Dass die Gebete des Kardinals nicht erhört wurden und das Werk Lefebvres nicht seine volle Ausstrahlung für das Leben der Kirche fand, lag an Erzbischof Lefebvre selber, als er auf die Verwirklichung der mit Rom erzielten Einigung verzichtete und die Piusbruderschaft in die kirchliche Isolation leitete. Ihr Licht wurde unter den Scheffel gestellt und auf den engen Kreis ihrer Anhänger beschränkt.

Seitdem sind über 23 Jahre vergangen, und erneut steht nun die Piusbruderschaft vor der Entscheidung, ihren Weg mit oder ohne die Kirche fortzusetzen. Doch die Situation hat sich gewandelt. Durch den von Bischof Williamson verursachten Super-Gau ist aus dem Licht, das die Piusbruderschaft hätte sein können, eine Belastung für die ganze Kirche geworden. Man mag die Pressekampagne des Jahres 2009 noch so sehr bedauern und als ungerecht beklagen, Tatsache ist nun einmal, dass der Ruf der Piusbruderschaft in der breiten Öffentlichkeit ruiniert ist und dass sie selber daran nicht unschuldig ist, da sie Williamson und seine Anschauungen (die für die Bruderschaft nicht repräsentativ sind) jahrelang in ihrer Mitte duldete. Damit hat sie ihre berechtigten Anliegen kontaminiert und sich um die Chance gebracht, sie glaubwürdig in der Öffentlichkeit zur Geltung zu bringen. Dass der Papst ihr trotz des großen Schadens, den sie dem Ansehen der Kirche zufügt, dennoch goldene Brücken zur Rückkehr baut, ist ein Akt reiner Barmherzigkeit.

Bei allen Verdiensten, die das Werk Erzbischof Lefebvres sich am Anfang erworben hat und welche es sich noch hätte erwerben können: gemessen am eigenen Anspruch, die Kirche zu retten, ist es gescheitert.


Randnotiz Nr. 33:
Zerbröselnde Einheit

Dass die Einheit der Priesterbruderschaft St. Pius X. nicht mit einem plötzlichen Knall infolge einer Spaltung zerreißt, sondern von innen her durch zermürbende Richtungskämpfe ganz allmählich zerbröselt, lehren uns die Dokumente, die aus ihrem Inneren ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Da gibt es etwa den Offenen Brief der 37 Priester, Gegner einer Einigung mit Rom, die mit ihrem Generaloberen Bischof Bernard Fellay so hart ins Gericht gehen, wie es die Piusbruderschaft mit dem Papst zu tun pflegte.

Herausgreifen möchte ich allerdings den Brief eines Priesters, mit dem ich sechs gemeinsame Seminarjahre in Zaitzkofen verbracht habe und der inzwischen Sedisvakantist geworden ist. P. Hermann Weinzierl erklärt darin seinem ehemals unmittelbaren Vorgesetzten, P. Franz Schmidberger, Distriktsoberer in Deutschland, warum er sich von der Piusbruderschaft getrennt hat. Das theologische Niveau seiner Argumentation ist nicht so hoch, dass Nichtsedisvakantisten beunruhigt sein müssten. So antwortet er auf das Argument Schmidbergers, “daß es eine Kirche ohne Papst nicht gibt und geben kann” mit der Belehrung, dass doch jedes Mal zwischen dem Tod eines Papstes und der Wahl eines neuen die Kirche ohne Papst existiere. Na, das hat P. Schmidberger bis dahin sicherlich noch nicht gewusst.

Es gibt allerdings eine Passage, die zutreffend das Verhalten der Piusbruderschaft beschreibt: “Gehorcht P. Schmidberger Benedikt XVI.? Nein! Er gehorcht ihm durchaus nicht, grundsätzlich nicht, zu keiner Zeit und in keiner Entscheidung. Er ‘gehorcht’ ihm letztlich nur, wenn er es selbst für richtig hält, wenn er meint, daß etwas katholisch ist usw., und auch das eigentlich nur theoretisch. D.h. P. Schmidberger folgt in allem seinem eigenen privaten Urteil und nicht dem Urteil des von ihm doch angeblich als legitim anerkannten Papstes in all seinen authentischen Akten.” Natürlich ist diese Art des Gehorsams kein Privatprivileg Schmidbergers, sondern Charakterzug der Piusbruderschaft und aller ihrer Mitglieder einschließlich Weinzierls, als er noch Mitglied war.

Doch grundsätzlich trifft diese Kritik den Kern des Problems und ist meine Rede, nur zieht Weinzierl die entgegengesetzte Konsequenz: nicht Gehorsam gegenüber dem Papst, sondern Leugnung seiner Existenz.

Hier zeigt sich, dass sich die Piusbruderschaft gewissermaßen in einem labilen Schwebezustand befindet (in der Randnotiz Nr. 20 sprach ich von ihrem Janusgesicht), der sich durch die ergebnislosen Verhandlungen mit Rom noch zugespitzt hat. Die Mitglieder des einen Flügels nehmen Anstoß daran, dass die Verhandlungen ergebnislos sind, die anderen daran, dass sie überhaupt stattfinden. Die einen wollen Fisch sein, die anderen Fleisch, aber niemand etwas, das weder Fisch noch Fleisch ist.

Als Alternative bleibt nur der blinde Gehorsam. So schrieb P. Schmidberger an P. Weinzierl: “Gerne erwarte ich deswegen Ihre feste Zusage, in der FSSPX bleiben zu wollen, mit oder ohne kirchenrechtliche Normalisierung von Seiten Roms.” Der Bruderschaftsleitung bleibt nichts anderes als diese Forderung übrig, will sie ihre Leute beisammenhalten, aber für den Priester, der sich mit dieser Forderung konfrontiert sieht, bleibt nur die Alternative der Überzeugungslosigkeit in der das Katholischsein im Nerv treffenden Frage “Wie verhalte ich mich zum Papst?” oder das zur Dispositionstellen der eigenen Überzeugung, so er eine hat, an die völlig ungewissen, künftigen Entscheidungen seiner Oberen. Dieses sacrifium intellectus, das die Führung der FSSPX ihren Mitgliedern zumutet, wäre nur berechtigt, wenn diese das Vertrauen haben könnten, dass in jedem Fall (ob Einigung mit Rom oder nicht) das Urteil ihrer Oberen das richtige ist, dass also - mit anderen Worten - ihre Oberen unfehlbar wären. Hier sehen wir deutlich, dass die Piusbruderschaft genau jene Vollmacht für sich in Anspruch nimmt, die in der traditionellen Theologie dem Papst zugesprochen, ihm aber in der Nouvelle Théologie der Piusbruderschaft nun abgesprochen wird.


Randnotiz Nr. 34:
Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder

P. Bernhard Zaby, ehemaliges Mitglied der Priesterbruderschaft St. Pius X. und jetzt Anhänger jener “Widerstandsbewegung”, die die Piusbruderschaft wegen ihrer Versöhnungsbereitschaft mit Rom bekämpft, hat in polemischem Stil auf die Vorwürfe seines ehemaligen Vorgesetzten P. Franz Schmidberger geantwortet. Uns brauchen die Einzelheiten dieser Schlammschlacht nicht zu interessieren. Ich möchte nur ein Detail herausgreifen, weil es aufschlussreich ist zum besseren Verständnis der Entwicklung, die die Piusbruderschaft durchgemacht hat.

P. Zaby legt ausführlich dar, warum das, was Erzbischof Lefebvre als die “Konzilskirche” zu bezeichnen pflegte, nicht mehr die katholische Kirche sei und eigentlich den Namen “Konzilssekte” verdiene. Damit stellt er sein Verständnis des Begriffs dem von P. Schmidberger entgegen, für den die Konzilskirche die katholische Kirche ist, insofern sie vom liberalen Geist durchdrungen sei. Im ersten Fall kommt eine Einigung nicht in Frage, im zweiten Fall ist sie erstrebenswert, solange man selber nicht vom liberalen Geist infiziert zu werden droht.

Es ist klar, dass P. Schmidbergers Konzilskirchenbegriff mit dem von Erzbischof Lefebvre übereinstimmt, der den Begriff schon zu einer Zeit verwandte, als er einen Bruch mit Rom energisch ausschloss (1975 an Abbé de Nantes: “Si un évêque rompt avec Rome ce ne sera pas moi”). Später, als der Bruch doch eintrat, wurde er als ein notwendiges Übel betrachtet. Für Zaby dagegen ist nicht der Bruch mit Rom ein Übel, sondern die Einigung mit Rom, und zwar nicht ein notwendiges Übel, sondern ein unter allen Umständen zu meidendes.

Nun muss man aber sehen, dass Zaby nicht irgendwer ist. Er war es, der jahrelang die Website der Piusbruderschaft, genauer gesagt, ihres deutschen Distrikts, betreute und dort sein polemisches Gift gegen Papst und Kirche ausstreuen konnte. Die Polemik, die von Seiten des “gemäßigten” Flügels bloß der Krankheit galt, unter der die Kirche leidet, (und oft allerdings Papst und Kirche mittraf), war vom radikalen Flügel sehr wohl auf die Kirche, die in ihren Augen seit dem Zweiten Vatikanum aufgehört hatte, die katholische zu sein, gemünzt. Die Zweideutigkeit des Begriffs “Konzilskirche” sorgte dafür, dass dieser Unterschied von den Verantwortlichen der Bruderschaft lange Zeit nicht gesehen oder jedenfalls nicht ernstgenommen wurde. Vor lauter Besorgnis, sich nicht mit dem liberalen Geist zu infizieren, ließ man es zu, dass weite Teile der Piusbruderschaft massiv mit dem schismatischen Geist infiziert wurden. Nun geht die Saat auf.

Ein weiteres Lehrstück ist die Weise, wie der Zaby mit Schmidbergers missglücktem Versuch umgeht, seinen Begriff der Konzilskirche mit der Privatio-boni-Lehre zu untermauern. Genüßlich nimmt er die Argumentation Schmidbergers auseinander, zieht die Schlussfolgerungen und rückt mit ihrer Hilfe Schmidberger in die Nähe der Allerlösungslehre, des Monismus und des Pantheismus. So wenig er damit dem, was P. Schmidberger sagen wollte, gerecht wird, so sehr ist diese Methode nur der Widerhall dessen, was Schmidberger und Co. ihm vorgemacht haben, wenn es um die Interpretation von Konzilsaussagen geht. So abenteuerlich, wie Zaby mit Schmidbergers Aussagen umgeht, so abenteuerlich ging dieser mit dem Konzil um, etwa wenn er dessen Aussage, dass die Kirche Sakrament der Einheit der Menschen mit Gott und untereinander sei, im freimaurerischen Sinne interpretierte.

Was folgt daraus? Die Aktualität der Goldenen Regel: “Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.” Jeder Text kann fehlinterpretiert werden, angefangen von der Heiligen Schrift über Konzilsaussagen bis hin zu den Texten Lefebvres und Schmidbergers. Keiner ist davor gefeit. Nur der Interpret selber hat es in der Hand, Fehldeutungen zu vermeiden, indem er sich bemüht, den Text in dem Geist zu lesen, in dem er verfasst wurde. An diesem Bemühen bei der Konzilsinterpretation hat es sowohl dem gemäßigten wie dem radikalen Flügel der Piusbruderschaft gefehlt. Im Gegenteil, über jene, die im Anschluss an Papst Benedikts XVI. Hermeneutik der Kontinuität genau dies versucht hatten, machte man sich lustig. Gebe Gott, dass P. Schmidberger und mit ihm der seriösere Teil der Piusbruderschaft aus dem Schicksal, das sie jetzt am eigenen Leib erfahren, die richtigen Konsequenzen ziehen.


Zum Thema:

Die Piusbruderschaft und Rom.
Mein Weg mit der Piusbruderschaft und mit der Kirche.

Der Papst und die Aufhebung der Exkommunikation
Dossier zu den Vorgängen seit dem 21. Januar 2009

Der Streit um das Konzil

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